Luftfahrt:Bye-bye Air Berlin

Ein Air-Berlin-Flieger hebt ab.

Ein Air-Berlin-Flieger hebt ab.

(Foto: AFP)

Am kommenden Freitag hebt der letzte rot-weiße Flieger ab, von München nach Berlin. Erinnerungen an Mallorca-Flüge, Schokoherzen und den großen Fall.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Das endgültige Ende ist per Flugplan genau definiert. Am 27. Oktober, also am Freitag kommender Woche, soll der Airbus A 320 mit Flugnummer AB 6210 um 21.35 Uhr in München starten und dann um 22.45 Uhr in Berlin-Tegel landen. Und im Gegensatz zu vielen anderen Air Berlin-Flügen in vergangener Zeit ist die Nachfrage enorm. Flug AB 6210 ist seit Wochen ausverkauft. Denn es ist der letzte Flug, den Air Berlin in seiner Geschichte durchführen wird. Nach 38 Jahren wird endgültig Schluss sein für die rot-weißen Flieger.

Am 15. August hat Air Berlin den Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenregie gestellt. Seitdem ist das Unternehmen in Auflösung begriffen. Früh war klar, dass es keine wirtschaftliche Perspektive für das Unternehmen als Ganzes mehr gibt, nachdem Anteilseigner Etihad Airways die finanzielle Unterstützung aufgekündigt hatte. Dass Air Berlin nicht sofort den Flugbetrieb einstellen musste, liegt überhaupt nur an dem Übergangskredit der Bundesregierung in Höhe von 150 Millionen Euro - so ließ sich das größte Chaos vermeiden.

Die letzten Tage der Air Berlin sind dramatisch. Bis über die ursprüngliche Deadline hinaus verhandelt Sachwalter Frank Kebekus mit der britischen Billigfluggesellschaft Easyjet. Diese sollte einen Teil der Flotte übernehmen und neue Standorte in Düsseldorf und Berlin-Tegel aufbauen. Die Verhandlungen waren schwierig und mittlerweile ist nur noch von etwa 20 Maschinen die Rede, die in Tegel bleiben könnten. Eine Einigung stand am Freitag wohl unmittelbar bevor; sie müsste der Gläubigerausschuss am Dienstag absegnen.

Das Gremium hatte zuvor zugestimmt, die Tochtergesellschaften Niki und Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) an die Lufthansa zu verkaufen. Diese will insgesamt 81 der einst 144 Air Berlin-Jets übernehmen. Sie muss aber noch auf die wettbewerbsrechtliche Genehmigung aus Brüssel warten, mit der Ende des Jahres gerechnet wird. Air Berlin Technik sowie die Frachtsparte Leisure Cargo sollen offenbar an ein Konsortium unter der Führung der Berliner Firma Zeitfracht gehen.

Zerfallserscheinungen sind auch vor dem eigentlichen Ende nicht zu übersehen: Der Flughafen von Keflavik/Island hielt am Donnerstag einen Air Berlin-Airbus am Boden, weil die Fluggesellschaft der Betreibergesellschaft Isavia schon vor der Insolvenz Landegebühren schuldet. Der Schritt sei nun "die letzte Maßnahme, die Bezahlung bereits erbrachter Dienstleistungen sicherzustellen", so Isavia. Abgewickelt wird jetzt ein Unternehmen, das 1979 als winziger Nischenanbieter begann, rasant wuchs und zu einem Konkurrenten für Lufthansa wurde. Air Berlin hatte eine große Fan-Gemeinde, fiel aber schließlich über die eigenen Ambitionen und ein erstaunliches Maß an Fehlern. Am Ende war der Niedergang nicht mehr zu verhindern. Die lange Geschichte der Air Berlin in Bildern.

Der große Hunold

Es ist der 8. Juli 2007. Flugzeughersteller Boeing veranstaltet am Vorabend der ersten Präsentation der damals neuen Boeing 787 eine Party auf einer Dachterrasse mit Blick auf das riesige Werk in Everett. Plötzlich taucht als Stargast Joachim Hunold auf, grinst und sagt, er habe gerade 25 Langstreckenflugzeuge gekauft. Es herrscht Goldgräberstimmung und niemand ahnt, dass Hunolds große Zeit in der Luftfahrt schon hinter ihm liegt. Sie begann 1991 und dauerte gut 15 Jahre lang. Damals, kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands, war Hunold mit Anfang 40 im Aufbruch. Ein Jahr zuvor hatte er im Streit die damalige Ferienfluggesellschaft LTU verlassen, bei der er fünf Jahre lang Vertriebschef war.

Air Berlin

Joachim Hunold war viele Jahre Chef bei Air Berlin.

(Foto: imago stock&people)

Hunold brauchte etwas Neues und stieg bei der vom amerikanischen Piloten Kim Lundgren gegründeten Air Berlin als geschäftsführender Gesellschafter ein. Hunold machte Air Berlin groß - und sie ihn. 1991 hatte die Airline nur zwei Flugzeuge, 1998 waren es zehn und 2001 schon 25. Hunold setzte, um das Wachstum zu beschleunigen, mehr auf Einzelplatzverkauf und führte den "City-Shuttle" ein, um auf die neuen Billigflieger zu reagieren. Air Berlin hatte ihre Nische gefunden, in der es sich gut leben ließ, und mittendrin stand Hunold, der die Anerkennung, die Partys und das süße Leben in vollen Zügen genoss. Der Abstieg begann für ihn und Air Berlin 2006 mit dem Börsengang und der - im Rückblick - irren Idee, es mit der großen Lufthansa aufnehmen zu wollen. 2011 war es dann auch für den großen Hunold vorbei an der Unternehmensspitze. Die letzten Jahre verbrachte er im Verwaltungsrat, widmete sich aber längst anderen Geschäften.

Ferienflieger auf die Insel

Das schöne Mallorca

Air Berlin fliegt nach Mallorca.

Auch die Flüge nach Mallorca machten Air Berlin beliebt.

(Foto: imago)

Nein, streng genommen war das mit den Mallorca-Flügen nicht die Idee von Joachim Hunold, auch wenn er die Insel als Urlaubsziel ähnlich schätzt wie sonst wohl nur Sylt. Schon Kim Lundgren, der ehemalige Pan-Am-Pilot, der die ursprüngliche Air Berlin 1978 gegründet hatte, erkannte das Potenzial des Marktes. Und so ist es nicht erstaunlich, dass der allererste Air-Berlin-Flug am 28. April 1979 von Berlin nach Palma de Mallorca stattfand - in Gegensatz zum letzten Flug auf der schnöden innerdeutschen Verbindung von München nach Berlin. Mallorca steht wie kein anderes Ziel für die große Zeit und den Erfolg der Air Berlin, als das Ferienfluggeschäft noch von Veranstaltern kontrolliert wurde und sich Lufthansa nicht für diesen Bereich interessierte, also lang vor Eurowings-Zeiten und bevor Ryanair und Easyjet in Deutschland auftauchten.

1998 führte Air Berlin den sogenannten "Mallorca Shuttle" ein, zunächst von Berlin, Düsseldorf und Paderborn. Shuttle bedeutete, dass die Airline mindestens einen Flug pro Tag auf die Ferieninsel anbot. Später wurde das Konzept auf viele andere deutsche Flughäfen ausgeweitet, und einige Jahre lang flog Air Berlin sogar viele Strecken innerhalb Spaniens. Das Geheimnis ihres Erfolges beruhte darauf, dass Air Berlin gewissermaßen die übliche Netzlogik umdrehte: Klassische Charter-Airlines flogen von großen Flughäfen mit vergleichsweise großen Flugzeugen zu vielen Mittelmeerzielen. Air Berlin jedoch nutzte die kleineren Boeing 737, um aus Städten wie Paderborn, Münster, Nürnberg oder Bremen die großen Ferienziele anzusteuern.

Die alte DBA

Markenname dba verschwindet

Nach ihrem Börsengang übernahm Air Berlin die DBA.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Es war 2006 und Joachim Hunold hatte auch nach dem eher missglückten Börsengang noch Großes vor. Er wollte endlich nicht mehr nur Mallorca anfliegen, das beliebteste Urlaubsziel der Deutschen, sondern auch mit den großen der Branche mitmischen. Dafür brauchte er zunächst einmal ein innerdeutsches Streckennetz, das mehr ist, als nur sein saisonales Winterdrehkreuz in Nürnberg, wo er viele seiner Passagiere zu der Zeit auf dem Weg nach Palma umsteigen ließ. Wie gut, dass Hans Rudolf Wöhrl sowieso gerade die British-Airways-Gründung DBA (einst Deutsche BA) verkaufen wollte. Hunold griff zu und machte Mitgesellschafter Martin Gauss (heute Chef von Air Baltic) reich und Wöhrl selbst noch reicher - ein dreistelliger Millionenbetrag soll damals geflossen sein.

Doch mit der DBA und der wenig später ebenfalls von Wöhrl übernommenen LTU eskalierten die Probleme: Hunold verstand es nicht, die drei Airlines wirklich zu integrieren, die Rivalitäten zwischen den einzelnen Mitarbeitergruppen blieben lange bestehen. Hunold selbst machte aus seiner Abneigung gegen die einstigen und nun wieder neuen LTU-Kollegen intern kaum einen Hehl. Vor allem mit der LTU importierte Hunold hohe Personalkosten, die auch deswegen nicht kompensiert werden konnten, weil der Plan, mit einem integrierten Streckennetz und im Umsteigeverkehr der Lufthansa Konkurrenz zu machen, nicht aufging. Vor allem die Langstrecken blieben auf Ferienziele fokussiert. In das hochpreisige Segment der Geschäftsreisenden konnte die Airline nicht durchdringen.

Langstrecke im alten Sitz

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2011 stieg Etihad bei Air Berlin ein.

(Foto: Odd Andersen/AFP)

Das reiche Emirat

Als die staatliche Fluggesellschaft Abu Dhabis Ende 2011 beschloss, größter Aktionär bei Air Berlin zu werden, war das zugleich die vorläufige Rettung der Airline und der vorweggenommene Todesstoß. Etihad hatte die - leicht verrückte - Idee, dass sie sich in Europa und Asien an zahlreichen Airlines beteiligen müsse, um deren Langstreckenverbindungen dann nach Abu Dhabi umzulenken, wo die Passagiere das Etihad-Drehkreuz zum Umsteigen nutzen sollten. Für Air Berlin bedeutete dies, dass sie das, womit sie in der Vergangenheit ziemlich erfolgreich war, vernachlässigen musste und sich noch mehr auf einen Teil des Marktes konzentrieren sollte, den niemand im damaligen Management wirklich verstand. Statt Ferienflüge aus der Provinz waren nun Angebote für Geschäftsreisende gefragt.

Weil Air Berlin aber schon damals eigentlich kein Geld hatte, wurde nur halbherzig investiert: Die Langstreckenmaschinen bekamen die alten Business-Class-Sitze, die bei Etihad gerade ausgebaut und ersetzt wurden. Über die Jahre pumpte Etihad um die zwei Milliarden Euro allein in ihren deutschen Ableger, ohne dass sich die Lage des Unternehmens strukturell verbesserte. Im Gegenteil, unter dem letzten von Etihad nach Berlin geschickten Vorstandschef Stefan Pichler wurden die Verluste noch einmal viel größer. Es war deswegen nur eine Frage der Zeit, wann das reiche Emirat die Geduld verlieren würde. Und in der zweiten August-Woche bekam Noch-Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann den fatalen Anruf, dass kein Geld mehr zu erwarten sei. Er dürfte ihn kaum überrascht haben.

Air Berlin und das Schokoladenherz gehörten zusammen.

Das Schokoladenherz ist das Markenzeichen von Air Berlin.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Das süße Schokoherz

Was bleibt an Erinnerung an ein großes, bisweilen tragisches Kapitel im deutschen Luftverkehr? Vielleicht das Schokoherz, das die Flugbegleiter an Bord immer noch verteilen und das gerade in den letzten Tagen als Souvenir stark gefragt ist. Das Schokoherz steht als Symbol dafür, dass bei Air Berlin zumindest über lange Zeit der Service besser war als bei vielen Konkurrenten. Die Sitze waren einigermaßen bequem, der Abstand zum Vordermann auch nicht unangenehm klein. Es gab auch in den Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen Bildschirme für gelangweilte Urlauber, das Essen kostete nichts und war, gemessen an Fliegerei-Standards, essbar. Wenn sich in Berlin alljährlich im März die Branche zur größten Tourismusmesse ITB traf, gehört es für die Heim-Airline zum guten Ton, die Gäste mit kostenloser Currywurst an Bord auf das Großereignis einzustimmen.

Im kommenden März müssen die Reiseprofis nun erstmals seit Jahren ohne die fettige Zwischenmahlzeit auf der Anreise auskommen. So nett der gute Service an Bord für die Kunden war, so wenig honorierten sie ihn in Form von höheren Ticketpreisen - und so leistete sich Air Berlin über Jahre einen Luxus, der eigentlich nicht zu rechtfertigen war. Erst zuletzt, als Sparrunde auf Sparrunde folgte, spürten auch die Kunden, dass es mit der Airline nicht mehr zum Besten stand. In der Economy Class kostete Essen extra, dafür führte Air Berlin im Strategie-Wirrwarr absurderweise auch auf Kurzstrecken eine Business Class ein, auf Drängen des auf Prestige setzenden Gesellschafters Etihad. Nur eines, das blieb bis zuletzt für alle, egal ob Business oder Economy: das Schokoherz.

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