Luftfahrt:Airlines drohen, Luftverkehr nach Großbritannien auszusetzen

Luftfahrt: Ein Flugzeug kurz vor der Landung auf dem Heathrow Airport in London. Dort könnte es künftig Einschränkungen geben.

Ein Flugzeug kurz vor der Landung auf dem Heathrow Airport in London. Dort könnte es künftig Einschränkungen geben.

(Foto: Justin Tallis/AFP)
  • Viele europäische Fluggesellschaften fürchten, dass der Brexit sie hart treffen könnte.
  • Wenn bis März 2019 kein neues Luftverkehrsabkommen steht, haben sie ein ernsthaftes Problem.
  • Noch ist ein solches Abkommen jedoch nicht in Sicht und die EU hat bereits deutlich gemacht, dass sie hart verhandeln will.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Ryanair-Chef Michael O'Leary neigt normalerweise nicht zum Pessimismus. Er ist bekannt dafür, die Zukunft seiner Fluggesellschaft in den buntesten Farben auszumalen. Doch nicht beim Brexit: "Es gibt eine reale Chance, dass ab März 2019 und für einige Monate keine Flüge zwischen Großbritannien und der Europäischen Union stattfinden werden", so O'Leary. "Es wird ein riesiges Chaos geben."

O'Leary und andere Vertreter der Luftverkehrsindustrie wie Willie Walsh, Chef der British-Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group (IAG), waren nach Brüssel geflogen, um Europaabgeordneten den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Sie befürchten, dass der Brexit den Luftverkehr nicht nur wirtschaftlich trifft, sondern auch in enorme rechtliche Schwierigkeiten stürzt. O'Learys Schreckensszenario mag zwar extrem klingen und hat auch etwas mit dem Motiv Wachrütteln zu tun, ist aber tatsächlich nicht völlig abwegig.

Verkehrsrechte und andere Absprachen müssen noch geregelt werden - die Zeit wird knapp

Das liegt an den rechtlichen Grundlagen des Luftverkehrs, der anders als andere Branchen im Zweifel nicht auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückfallen kann, sollte bis März 2019 - dem fest definierten Termin für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union - kein neues Luftverkehrsabkommen stehen. Denn der Sektor ist explizit von den Regularien der WTO ausgenommen. Stattdessen werden Verkehrsrechte und andere Absprachen in vielen bilateralen Verträgen geregelt. Bislang ist Großbritannien Teil des europäischen Binnenmarktes für Luftverkehr, innerhalb dessen jede Fluggesellschaft fliegen kann, wie sie will. Von April 2019 an muss es für die Flüge von und nach Großbritannien sowie viele andere Fragen irgendeine andere Regelung geben. Diese ist aber nicht in Sicht.

Die Menge der offenen Themen ist unüberblickbar, einige sind besonders drängend, und viele hängen mit dem Prinzip von Eigentum und effektiver Kontrolle zusammen. Demnach müssen Airlines mehrheitlich im Besitz von Investoren aus den Ländern sein, die das entsprechende Luftverkehrsabkommen unterschrieben haben oder, wie im Falle der EU, aus dem Binnenmarkt kommen. Easyjet droht durch den Brexit den Status als mehrheitlich im Besitz von Europäern befindliche Airline zu verlieren und damit ihre Verkehrsrechte in Kontinentaleuropa. Ryanair gehört zu knapp 25 Prozent britischen und zu 46 Prozent nicht-europäischen Investoren, sie steht damit vor einem ähnlichen Problem und muss womöglich die britischen Aktionäre zum Verkauf zwingen.

Bei IAG ist die Lage noch komplizierter: IAG ist ein spanischer Konzern, doch Tochter British Airways fliegt im Wesentlichen aus London. BA trifft die Unsicherheit für die Flüge in die künftige EU, aber auch in die USA. Denn als mehrheitlich spanisches Unternehmen müsste sie auf eine Sonderregelung in einem neuen Abkommen zwischen den USA und England hoffen. Auch Norwegian, stark wachsender Anbieter von Billig-Langstrecken, bekommt ein Problem, denn es ist völlig unklar, ob die vielen USA-Flüge von London aus künftig überhaupt noch erlaubt sind.

Die drei transatlantischen Joint Ventures rund um British Airways/American, Delta/Air France-KLM und Lufthansa/United basieren auf der Annahme eines freien Marktzugangs für Konkurrenten. Mit dem Brexit droht dieser Geschichte zu sein - siehe Norwegian. Die Gemeinschaftsunternehmen wären nicht mehr haltbar, mit massiven Folgen für die Beteiligten.

Der Brexit soll schmerzhaft werden - vielleicht auch für die Flugbranche

Die Fluggesellschaften fordern, dass sich Großbritannien und die EU bis spätestens in einem Jahr auf ein Luftverkehrsabkommen einigen. Denn dieses müsste dann in den 27 EU-Mitgliedsländern ratifiziert werden, ein Prozess, der noch einmal ein halbes Jahr in Anspruch nehmen könnte. "Wenn wir im September 2018 keine klaren Rechtsgrundlagen haben, dann werden wir nicht mehr nach Großbritannien fliegen", kündigte O'Leary an. Man mag daran zweifeln, denn so müsste er 30 Prozent des Ryanair-Streckennetzes verlegen. Aber stark ausdünnen würden O'Leary und seine Kollegen die Flüge auf jeden Fall.

IAG-Chef Walsh weist darauf hin, dass Fluggesellschaften ihre Tickets bis zu ein Jahr im Voraus verkaufen. Sie müssen also auch sichergehen, dass sie die verkauften Flüge auch tatsächlich anbieten können. "Wir brauchen so schnell wie möglich Klarheit", fordert er. Ein Jahr im Voraus - das würde sogar März 2018 bedeuten.

Walsh fordert ein "Open Skies-Abkommen" zwischen England und der EU, das dem heutigen Binnenmarkt sehr ähnelt. Anders als O'Leary ist er "optimistisch", denn eine Lösung liege in jedermanns Interesse. Das stimmt zwar für die Fluggesellschaften, jedoch hat die EU deutlich gemacht, dass sie hart verhandeln will. Der Brexit soll schmerzhaft werden. Es könnte sein, dass die Flugbranche dies am deutlichsten spüren wird.

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