Interview mit Lothar Späth (2007):"Helmut Kohl ist ein Kandidat für den Friedensnobelpreis"

Früher Ministerpräsident, heute Chef bei der Investmentbank Merrill Lynch: Lothar Späth über die deutsche Angst vor Finanzinvestoren, den Web 2.0 - und seinen ehemaligen Erzfeind.

Interview von Martin Hesse und Ansgar Siemens

sueddeutsche.de: Warum sind deutsche Firmen für Investmentbanken im Moment so interessant?

Lothar Späth: Ganz einfach: Auf dem deutschen Markt ist vieles noch nicht gelaufen, was zum Beispiel auf dem britischen Markt längst durch ist. Oder denken Sie an die Zahl der Fusionen im französischen Markt, etwa im Finanzdienstleistungsbereich.

Sie sehen dann, dass Deutschland zwar noch immer ein unglaublicher Produzent von Exportartikeln ist, mit internationaler Bedeutung, aber eigentlich noch nicht die entsprechende Rolle hat bei der finanziellen Bewältigung dieser Strukturen. Wenn Sie sehen, welches Gewicht etwa London in Europa hat verglichen mit Frankfurt, dann zeigt sich ganz deutlich, dass in Deutschland Reserven sind.

sueddeutsche.de: Gefährden die Beteiligungen von Finanzinvestoren an Medienunternehmen den Journalismus?

Späth: Ich kann diese Sorge nicht teilen. Ich glaube, in Deutschland gibt es mehrere Sicherungen. Wir haben das öffentlich-rechtliche System mit ARD und ZDF: Die Sender haben einen Gebührenanspruch zur Finanzierung und als Gegenleistung die Sicherung der sogenannten Grundversorgung. Wenn Sie dann noch die Tochtergesellschaften dazu nehmen, etwa Phoenix und 3sat, dann glaube ich nicht, dass es ein Riesen-Problem wäre, wenn ein Privatkanal beispielsweise im Nachrichtenbereich kürzt.

sueddeutsche.de: Ist die zweite Internetwelle mit Web 2.0 nachhaltiger als die erste in den 90er Jahren?

Lothar Späth: Ja, wobei sich manche Fehler der ersten Welle nicht vermeiden lassen. Ich habe die erste Welle sehr intensiv erlebt und begleitet. Mein Eindruck ist, dass es auch jetzt ein paar Bereiche gibt, wo ich sagen würde: Die machen schon wieder falsch, was vor fünf, sechs Jahren falsch gemacht wurde. Aber insgesamt lernt man aus den Fehlern. Das heißt: Die neue Welle ist nachhaltiger, substantieller, aber Fehlentwicklungen werden sich auch diesmal nicht vermeiden lassen.

"Helmut Kohl ist ein Kandidat für den Friedensnobelpreis"

sueddeutsche.de: Immer mehr Größen aus der Politik arbeiten als Berater. Gibt es eine Renaissance der Deutschland AG?

Lothar Späth: Nein, ich glaube, dass man das nicht vergleichen kann. Die Deutschland AG war ja eine ganz starke Verflechtung der Finanzinstitute, vor allem der deutschen Banken, mit den großen Unternehmen. Wichtige Unternehmenslenker saßen in einer ganzen Reihe von Aufsichtsräten. Jetzt ist es anders: Der ein oder andere, der seine Hauptaufgabe etwa als Vorstand abschließt, und eine Investmentbank berät, der bringt seine Lebenserfahrung ein. Und das ist etwas anderes.

sueddeutsche.de: Helmut Kohl soll für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden. Zu Recht?

Lothar Späth: Er ist für mich ein Kandidat. Ganz einfach deshalb, weil er mit Sicherheit in die Geschichte eingehen wird. Zu recht - ich sage das, obwohl mein Verhältnis zu ihm ja nicht immer ganz unproblematisch war. Wer heute sieht, welche Bedeutung Europa hat und wieviel Helmut Kohl bewegt hat - auch im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung und der Überwindung der europäischen Spaltung -, der muss sagen: Er gehört zu einer Gruppe von Menschen, die Stabilität und Frieden vorangebracht haben, wie ganz wenige. Gerade in Europa. Und deshalb ist er für mich ein ganz klarer Kandidat.

sueddeutsche.de: Lafontaine ist zurück in der deutschen Politik. Was könnte Sie zu solch einem Schritt bewegen?

Späth: Nichts kann mich dazu bewegen. Erstens bin ich fast zehn Jahre älter als Oskar Lafontaine. Und zweitens habe ich meine letzte Pflicht für meine Partei bei der Wahl 2002 erfüllt. Damals habe ich mich im Wahlkampf für das Wirtschaftsministerium nominieren lassen. Also gewissermaßen für den Bereich, der mich fachlich am meisten in der Politik interessiert hat. Das ist abgeschlossen. Nicht nur weil ich sage: Ich habe jetzt genügend Politik gemacht in meinem Leben. Sondern auch, weil ich sagen möchte: Jetzt muss eine andere Generation persönlich um die Mandate kämpfen. Das ist ein Stück Demokratie. Da bringe ich lieber im Hintergrund Lebenserfahrung ein im ein oder anderen Fall - aber das war's dann.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: