London:Was der Brexit für den Immobilienmarkt bedeutet

London: US-Banken werden nach dem Brexit wohl nicht mehr davon profitieren, dass ihre Geschäfte automatisch in der gesamten EU anerkannt sind, wenn sie nur ihren Sitz in London haben.

US-Banken werden nach dem Brexit wohl nicht mehr davon profitieren, dass ihre Geschäfte automatisch in der gesamten EU anerkannt sind, wenn sie nur ihren Sitz in London haben.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Brexit könnten Banken viele Tausend Arbeitsplätze aus London in andere europäische Städte verlagern.
  • Die Aktien von Bau- und Immobilienunternehmen gehören derzeit zu den größten Verlierern an der Londoner Börse.

Von Benedikt Müller und Meike Schreiber, Frankfurt

Was in den nächsten Monaten auf den Finanzplatz London zukommen könnte, wird bei Twitter schon als "Brexodus" bezeichnet: Nachdem sich die britische Bevölkerung mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, die Europäische Union zu verlassen, könnten Banken viele Tausend Arbeitsplätze von der Themse in andere europäische Städte verlagern.

Die Deutsche Bank etwa hatte vor einigen Wochen angekündigt, einen Teil ihrer Investmentbanker im Falle eines Brexits von London nach Frankfurt zurückzuholen, will nun aber zunächst die Austrittsverhandlungen abwarten. Auch amerikanische Banken könnten nach einem Austritt Großbritanniens nicht mehr davon profitieren, dass ihre Geschäfte automatisch in der gesamten EU anerkannt sind, wenn sie nur ihren Sitz in London haben. Auch sie dürften deshalb Niederlassungen in Kontinentaleuropa ausbauen, sobald es zum Brexit kommt.

Börse nimmt Befürchtungen vorweg

Doch wenn viele Gutverdiener auf einen Schlag eine Stadt verlassen, ist das immer eine schlechte Nachricht für alle, die in den Wohnungsmarkt investiert haben. Das britische Finanzministerium hatte vor dem Referendum gewarnt, im Falle eines Brexits könnten Londoner Immobilien um zehn bis 18 Prozent an Wert verlieren. Nun mehren sich die Anzeichen, dass der heiße Wohnungsmarkt an der Themse tatsächlich abkühlen wird. Wie die Londoner Zeitung Financial Times berichtet, schieben potentielle Immobilienkäufer zurzeit ihre Entscheidungen auf. Ein Grund sei die wirtschaftliche Unsicherheit. Ein anderer sei die Hoffnung, ihr Traumobjekt könnte schon in ein paar Monaten deutlich günstiger sein.

Die Börse nimmt diese Befürchtungen bereits vorweg. Als die Entscheidung für den Brexit am Freitagmorgen bekannt wurde, gehörten die Aktien von Bau- und Immobilienunternehmen zu den größten Verlierern an der Londoner Börse. Die Wohnungsbaufirma Redrow etwa verlor in der Nacht des Referendums 76 Prozent ihres Börsenwertes; inzwischen hat sich der Kursverlust auf 34 Prozent verringert. Ganz ähnlich ist es dem Konkurrenten Bovis Homes ergangen. Die Analysten der Investmentbank Liberum erwarten, dass Bauunternehmen, die sich auf teure Immobilien rund um London spezialisiert haben, zu den größten Verlierern eines Brexits gehören werden. Denn die Nachfrage der Gutverdiener droht einzubrechen.

Höhere Grunderwerbsteuer hatte die Abkühlung eingeleitet

Damit scheint ein jahrelanger Boom zu Ende zu gehen. Seit der Finanzkrise haben sich Wohnimmobilien in London jedes Jahr um acht bis 13 Prozent verteuert. Immer mehr Londoner beklagen, dass sie sich das Wohnen in ihrer Stadt nicht mehr leisten können. Aufgrund der niedrigen Zinsen in Europa und den USA haben internationale Anleger, allen voran aus China und den Golfstaaten, Milliarden in den Markt investiert. Immobilien in London galten als sicherer Hafen, aus Mangel an Alternativen. Nun droht diese Preisblase zu platzen. Bereits im Frühjahr hatte sich angedeutet, dass die Preise für Neubau-Wohnungen in London in diesem Jahr fallen dürften - zum ersten Mal seit vielen Jahren. Eine höhere Grunderwerbsteuer hatte die Abkühlung eingeleitet, nun schockt das überraschende "Nein" zur EU.

Doch was in London wegbricht, wird sich dann in anderen Städten ansiedeln. "Der Austritt Großbritanniens stellt den deutschen Immobilienmarkt vor eine große Herausforderung", sagt Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses. "Internationale Investoren könnten sich nun verstärkt auch in den deutschen Standorten nach neuen Möglichkeiten umsehen." So hofft etwa der deutlich kleinere Finanzplatz Frankfurt, einen Teil des Geschäfts von der Themse abzubekommen. Das würde die Nachfrage nach Immobilien im Rhein-Main-Gebiet weiter ankurbeln. Selbst wenn nur zwei Prozent der Londoner Finanzbeschäftigten nach Frankfurt umziehen würden, rechnet der Immobilien-Dienstleister Colliers vor, stiege die Anzahl der Bankmitarbeiter dort um elf Prozent. Nur: Wo sollen sie alle wohnen?

Bereits jetzt ist Frankfurt sehr dicht bebaut. Als die Europäische Zentralbank vor eineinhalb Jahren rund 1000 neue Bankaufseher aus vielen verschiedenen europäischen Ländern einstellte, konnte der Wohnungsmarkt das halbwegs verkraften. Doch nun hofft der Finanzplatz auf das Zehnfache dessen. Stadtviertel wie das Ostend, die bislang noch nicht so schick sind, könnten weiter aufleben; es droht aber auch eine weitere Verdrängung von Einheimischen. Bereits jetzt sind die Wohnungsmieten mit Ausnahme von München in keiner deutschen Stadt so hoch wie in Frankfurt, berichtet das Forschungsinstitut Empirica. Frankfurter Familien konkurrieren heftig um Plätze in Kindertagesstätten, Gymnasien und Fußballvereinen. Für die Stadt wie für die Immobilienwirtschaft wird der "Brexodus" zur Herausforderung.

Allerdings steht noch lange nicht fest, ob der Finanzplatz Frankfurt wirklich der große Gewinner wäre. Schließlich wirbt auch die Stadt Paris unter Banken für die Ansiedlung an der Seine. Dublin wiederum könnte davon profitieren, dass dort ebenfalls Englisch gesprochen wird - und das Regelwerk für Banken dem in Großbritannien ähnelt. Der Standort-Wettbewerb um die Banker ist längst entbrannt.

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