Lieferung:Drohnen in den Bergen

Swiss Post Servicer delivers parcels with drones

Eine Drohne der schweizerischen Post liefert ein Paket in der Gemeinde Bas-Vully aus.

(Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Die schweizerische Post testet das neue Fluggerät. Mit ihm lässt sich ganz schnell viel Geld sparen. Und die Drohnen sind nicht das einzige Zukunftsprojekt: Ein anderes will die Schweiz untertunneln.

Von Charlotte Theile, Sitten

Ein gelbes Shuttle zuckelt durch die Sittener Altstadt. Sitten ist Hauptort des Kanton Wallis, eine Kleinstadt umgeben von Bergen. Es ist ein regnerischer Sonntag, gerade wurde ein neues Kantonsparlament gewählt. Lokale Fernsehsender filmen lokale Politiker vor lokalen Gaststätten, man spricht hier eher französisch als schweizerdeutsch, schon mittags wird Rotwein getrunken. Im Shuttle sitzen fünf ältere Herrschaften, sie schauen unbeteiligt nach draußen. Das Shuttle rollt langsam weiter. Am Steuer sitzt: niemand. "In der Schweiz hat die Ära autonomer Nahverkehrsmittel im öffentlichen Raum begonnen" hieß es beim deutschen Hightech-Portal Heise, als das "Postauto ohne Chauffeur" im Frühling 2016 seinen Betrieb aufnahm. Auch internationale Medien würdigten es als Meilenstein der Mobilität.

Der Bus fährt höchstens 20 Kilometer in der Stunde, maximal elf Passagiere können mitfahren, zur Sicherheit fährt noch eine Begleitperson mit. Sieht so Revolution aus? Eher nicht. Doch nicht nur in Sitten, landauf, landab finden im Moment ähnliche Pilotprojekte statt. Mitte März gab die schweizerische Post bekannt, im Tessin künftig Drohnenflüge zwischen zwei Spitälern anzubieten, man geht davon aus, dass dort ab 2018 "regelmäßiger Drohneneinsatz" zum Alltag gehören wird.

Das Potenzial der Drohnenflüge sieht man bei der schweizerischen Post unter anderem in abgelegenen Bergregionen: Wenn zum Beispiel ein Dorf durch eine Lawine von der Außenwelt abgeschnitten sei, könnte die Drohne wichtige Dienste leisten.

Die Zeiten, in denen man sich schicksalsergeben am Schalter angestellt hat, sind vorbei

Treiber der Innovation sei aber nicht die Topografie der Schweiz. Die Post verweist stattdessen auf die veränderten Kundenwünsche. Mehr denn je hätten die Schweizer den Anspruch, dass die Sendung dahin geliefert wird, wo es ihnen gerade passt. Die Zeiten, in denen man einen Zettel im Briefkasten vorgefunden habe und sich schicksalsergeben am Schalter angestellt habe, sind vorbei. Die Post experimentiert mit Lieferungen in den Kofferraum, die Kunden können ihre Pakete online steuern - zu Packstationen auf der täglichen Pendelstrecke, ins Büro, am freien Vormittag nach Hause. Auch autonom fahrende Roboter wurden bereits für Spezialtransporte getestet. Diesen Aufwand betreibt das Unternehmen auch, weil es die Konkurrenz von Konzernen wie Amazon oder Zalando fürchtet. Je besser das Angebot ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Wettbewerber aus dem Ausland mit der schweizerischen Post zusammen, statt gegen sie arbeiten würden.

Mit diesen Herausforderungen ist die Schweiz nicht allein. Doch anders als in Deutschland treffen diese Bemühungen auf einen Gesetzgeber, der mit Regulierungen sparsam umgeht. Beim Schweizer Verkehrsministerium hat man sich im Februar 2016 ausführlich mit der "Herausforderung zivile Drohnen" auseinandergesetzt. Der Bericht hält fest, dass es - anders als in der Mehrheit der europäischen Länder - kein generelles Flugverbot über dicht besiedeltem Gebiet geben soll und dass Verbote und Einschränkungen risikobasiert, also "nicht vorsorglich und generell" erlassen werden sollen. In einem Artikel, den die Neue Zürcher Zeitung veröffentlichte, begrüßen IT-Unternehmer und liberale Politiker die Lücken, die dort entstehen, als willkommenen Freiraum.

Es ist nicht das einzige Projekt, dem die offizielle Schweiz wohlwollend gegenübersteht: Auch die als U-Bahn für Güter bekannt gewordene Komplett-Untertunnelung der Schweiz, Cargo sous terrain, wird vom Verkehrsministerium unterstützt. Bei dem Projekt geht es darum, die ganze Schweiz zu untertunneln und dort mit selbstfahrenden Zügen Pakete zu verschicken, Supermärkte zu beliefern und die Straßen zu entlasten. 2030 könnte die erste Strecke in Betrieb genommen werden. Ende 2016 erklärte sich die Schweiz offiziell bereit, ein Spezialgesetz für die Güter-U-Bahn zu erlassen. Finanziell will man aber den privaten Interessenten, zu denen auch die schweizerische Post, das Telekommunikationsunternehmen Swisscom und die großen Supermärkte des Landes gehören, nicht unter die Arme greifen. Und auch das Spezialgesetz kommt nur, wenn das Projekt in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird und eine solide finanzielle Basis vorweisen kann.

Zukunftsforscher Lars Thomsen sitzt mit seiner Agentur Future Matters im Kanton Zürich. Er berät Unternehmen und Institutionen in ganz Europa, seine Fachgebiete sind Energie und Mobilität. Thomsen glaubt: Die Schweiz hat einen starken Anreiz, ganz vorn mit dabei zu sein: "Die Lohnkosten sind in der Schweiz so hoch, dass man mit Robotern, Drohnen und selbstfahrenden Autos sehr schnell sehr viel Geld sparen kann", sagt Thomsen. Dieser "große Hebel" mache der sonst eher behäbigen Schweiz Beine. Zudem sei das Land mit seiner starken Forschung, etwa in der ETH Zürich, gut aufgestellt.

Im "weltweiten Kampf" um die Zukunft von autonomer Mobilität und künstlicher Intelligenz sei die Schweiz daher ein interessantes Experimentierfeld. Auch die große Eigenständigkeit der lokalen Regierungen, die zum Teil unbürokratisch Pilotversuche genehmigen, käme neuen Ideen zupass.

Und die Berge? Die abgelegenen Alpdörfer mitten in Europa, die per Drohne versorgt werden könnten? Thomsen glaubt, auch hier gehe es vor allem ums Geld: "Ein Drohnenflug kostet etwa 100 Mal weniger als ein Helikopterflug." Bei solchen Margen würden auch Bergbauern schon bald ihre Skepsis ablegen.

Aber können die Schweizer, die weltweit für vorsichtiges Abwägen bekannt sind, sich Entwicklungen erst mal ein paar Jahre anschauen und dann einsteigen, wenn die ersten Kinderkrankheiten besiegt sind, überhaupt vorne mitspielen? Passt das zu ihrer Mentalität? Tatsächlich begegnen viele Schweizer Robotern mit viel Unbehagen und offener Feindseligkeit. Als der selbstfahrende Bus in Sitten vor einigen Monaten einen leichten Unfall verursachte - das Fahrzeug touchierte die offene Heckklappe eines abgestellten Lieferwagens, eine Glasscheibe ging zu Bruch - sprudelten die Kommentarspalten der nationalen Medien über. "So ein automatisiertes Postauto ist sicher eine gute Alternative zum Freitod", schimpft dort einer, ein anderer schreibt: "Modernisierung ist ja gut und schön, aber das kostet nur wieder Arbeitsplätze und das geht gar nicht. Keine Persönlichkeit und immer weniger Kontakt."

Zukunftsforscher wie Lars Thomsen nehmen solche Kritik gelassen: Wer einmal ausprobiert habe, wie komfortabel es sich mit Autopilot fahre, werde ihn bald nicht mehr missen wollen. Und überhaupt: "Als der elektrische Strom aufkam - geruchslos, unsichtbar, tödlich - waren sich die Menschen sicher, dass sie so etwas nicht im Haus haben wollten." Doch was bequem sei, das Leben "kuschlig und einfach" mache, das setze sich eben durch.

Lars Thomsen sieht die neuen Zeiten ohnehin nur noch einen Wimpernschlag entfernt. In "520 Wochen" werde die Mobilität auf Knopfdruck für fast alle so normal sein, dass wir uns die jetzigen Startschwierigkeiten kaum mehr vorstellen könnten.

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