Lieferdienste:Pizzabote mit Vertrag

Deliveroo

Die Fahrradkuriere von Unternehmen wie Delivery Hero und Deliveroo sind in vielen deutschen Großstädten mittlerweile allgegenwärtig.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

Immer mehr Bestellplattformen stellen ihre Mitarbeiter fest an. Dahinter steckt nicht plötzliche Nächstenliebe, sondern unternehmerisches Kalkül.

Von Martin Lechtape

Egal ob es regnet, schneit oder die Sonne brennt - Essenskuriere in pinken oder neongrünen Jacken hetzen jeden Tag mit dem Fahrrad durch die Städte und bringen Pizza, Sushi oder Burger vom Restaurant zum Kunden. Per App kann man etwa bei Foodora und Deliveroo deutschlandweit sein Essen einfach mit dem Smartphone nach Hause bestellen. Auch Taxifahrer, Paketboten oder Putzhilfen lassen sich über Vermittlungsplattformen schnell organisieren.

Die Nachfrage hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen, viele Start-ups stiegen in den Markt ein. Doch zugleich mehrte sich die Kritik wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Denn die meisten Vermittler vergeben weder feste Arbeitsverträge, noch zahlen sie ein geregeltes Gehalt, Krankengeld oder gar den Mindestlohn. Sie zogen sich bisher geschickt aus der Verantwortung mit der Begründung, sie seien nur eine Plattform, die Dienste vermittelt - an Selbständige.

Doch das scheint sich zu ändern: Viele Plattformen gehen dazu über, ihre Boten, Fahrer oder Putzhilfen fest einzustellen und ihnen ein geregeltes Monatsgehalt einschließlich Kranken- und Rentenversicherung zu zahlen. Book a Tiger etwa, eine Putzkräfte-Vermittlung aus Berlin, schließt seit einem Jahr nur noch feste Arbeitsverträge ab. Während die Putzkräfte ihr Gehalt früher mit dem Kunden selbst aushandeln mussten, bekommen die 600 Angestellten jetzt einen fixen Lohn. Auch der Essenbestellservice Foodora stellt Boten nun fest ein, und beim Konkurrenten Deliveroo bekommen inzwischen 60 Prozent der Fahrer ein geregeltes Gehalt. Auch in den USA und in Großbritannien ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Dahinter steckt jedoch nicht plötzliche Nächstenliebe, sondern unternehmerisches Kalkül. Denn Festanstellung lohnt sich wieder, sagt Richard Geibel, Studiendekan für Digitales Management an der Fresenius-Hochschule in Köln. Als sich vor zwei, drei Jahren die meisten Vermittlungsplattformen gründeten, sei schnelles Wachstum der wichtigste Faktor für die jungen Unternehmen gewesen, so Geibel. Sie mussten den Investoren zeigen, dass ihre Idee funktionierte. "Heute erreichen die Start-ups von damals aber eine Größe, in der sie den Kunden und Mitarbeitern auch eine gewisse Qualität bieten müssen, um zu bestehen".

"Die Kunden erwarten ab einer bestimmten Unternehmensgröße auch eine gewisse Verlässlichkeit."

Denn ein Student, der mit lauwarmem Wasser mal kurz über die Klobrille wischt, ist eben nicht so gründlich wie eine erfahrene Putzkraft. Und wenn bei Regen kein Fahrradkurier auf die Straße will, können Bestelldienste wie Foodora die Nachfrage besser mit Festangestellten bewältigen. "Die Kunden erwarten ab einer bestimmten Unternehmensgröße auch eine gewisse Verlässlichkeit", sagt Geibel. Werden die Erwartungen erfüllt, bleiben die Kunden der Plattform treu. In der Folge sparen Unternehmen Werbekosten, um Kunden und abwanderndes Personal wieder einzufangen. Festanstellung bedeute also langfristig mehr Gewinn.

Doch nicht jeder kann sich diese Umstellung leisten. Denn zunächst ist es für die Betriebe eine finanzielle Belastung: "Wir haben in kurzer Zeit sehr viel Geld ausgegeben", sagt Claude Ritter, Mitgründer und Marketingchef von Book a Tiger. Um die festen Reinigungskräfte optimal auszulasten, entwickelte er mit seinen Kollegen eine Software, die den Einstellungsprozess, das Kundenfeedback, die Auftragsvergabe und die Schichtplanung automatisch und digital organisiert. Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die Plattform mit dem neuen Modell online ging. Jetzt gleicht das hippe Start-up von einst einer gewöhnlichen Reinigungsfirma, die ihre Reinigungskräfte selbst bezahlt und schult.

Doch der Einsatz hat sich offenbar gelohnt: Ritter kann auf einen festen Stamm an Kunden und Mitarbeitern zählen. "Heute ist das Geschäft stabiler denn je", sagt er. Book a Tiger hat sich zum Platzhirsch auf dem Online-Vermittlungsmarkt für Reinigungskräfte entwickelt. Helpling ist der größte Konkurrent. Das Unternehmen setzt weiter auf Selbständige und kämpft mit einer stark schwankenden Personaldecke.

Ein weiterer Grund für das Umdenken der Unternehmen: Immer mehr selbständige Servicekräfte zogen gegen Vermittler vor Gericht, um eine Festanstellung einzuklagen - nicht nur in Deutschland. Ihr Argument: Sie arbeiten auf Anweisungen der Vermittler und müssten dementsprechend einen festen Arbeitsvertrag bekommen. Solche Rechtsstreits wollen die Unternehmen vermeiden. "Hätten wir unsere Fahrer weiter als Selbständige beauftragt, wäre das Risiko einer Scheinselbständigkeit zu groß gewesen", sagt ein Sprecher von Foodora.

Auf eine Welle von Unternehmensneugründungen folgt nun also, nur wenige Jahre später, möglicherweise eine Welle von Festeinstellungen. "Wir begrüßen natürlich, dass Foodora nun fest anstellt", sagt Clemens Melzer von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Berlin (FAU). Ein fester Arbeitsvertrag sei auf lange Sicht besser als die Selbständigkeit.

Doch die Verbesserungen seien noch sehr klein, kritisiert die FAU. Ein Blick in die Arbeitsverträge zeige: Pizzaboten und Putzkräfte arbeiten immer noch zu schlechten Bedingungen. So seien die meisten Arbeitsverträge für die Festangestellten nur befristet, und Vollzeitstellen gebe es nicht. Zwar können die Angestellten Mehrarbeit anfordern, aber für den Lebensunterhalt reiche der Job in der Regel nicht. Viele Fahrer würden außerdem auf Minijob-Basis eingestellt. "Die Anzahl der monatlichen Schichten schwankt extrem, die Fahrer wissen nie, wie viel sie am Ende des Monats verdienen", sagt Melzer. Eine weitere Unsicherheit für die Fahrer: Sie müssen ihr Fahrrad und das Smartphone selbst bezahlen. Ein geklautes Rad oder ein heruntergefallenes Handy kann den Lohn schnell mal komplett tilgen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, dass die Helpling GmbH im vergangenen Jahr kurz vor der Zahlungsunfähigkeit gestanden habe. Das trifft nicht zu. Laut der Bilanz des Unternehmens, die sich auf das Geschäftsjahr 2015 bezog, bestand damals lediglich ein Liquiditätsrisiko.

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