Lieferausfall bei der Deutschen Bahn:Miese Bescherung

Erst Regionalzüge, jetzt der ICE: Immer wieder bestellt die Bahn Züge, doch sie werden nicht rechtzeitig geliefert. Die Leidtragenden sind die Fahrgäste in Deutschland - auch jene, die ins Ausland fahren wollen. Warum es immer wieder zu Verzögerungen kommt.

Daniela Kuhr, Berlin

Die entscheidende Frage kam ganz zum Schluss: Gut 40 Minuten lang hatten die beiden Bahnvorstände im Bahntower in Berlin über Softwareprobleme gesprochen und ihre Empörung darüber geschildert, dass Siemens nun erneut die lange versprochenen ICE-Züge nicht liefern wird, da fragte ein Journalist ganz direkt: "Und was heißt das alles nun für den Weihnachtsreiseverkehr?" - "Tja", sagte da Fernverkehrsvorstand Berthold Huber. "Das ist eine einfache Rechenaufgabe."

Acht Züge mit jeweils 400 Sitzplätzen hätte Siemens noch in diesem Jahr liefern sollen. Weil die Bahn aber schon eine ganze Weile nicht mehr so recht daran glauben wollte, hatte sie sie vorsorglich nicht fest in den Fahrplan eingeplant - sondern wollte sie lediglich zur Aufstockung der Reserve nutzen. Gerade zur Weihnachtszeit, wo ohnehin schon besonders viele Menschen Zug fahren, erst recht, wenn Schnee und Eis liegt, werden solche Reservezüge dringend benötigt. Doch wie schon im vergangenen Winter wird die Bahn auch diesmal ohne die neuen Züge auskommen müssen. Und so rechnete Huber also vor: "An den Weihnachtstagen werden wir unseren Kunden 3200 Sitzplätze weniger zur Verfügung stellen können als geplant."

Es ist kein Geheimnis: Bei der Bahn ist man stinksauer. Diesmal auf Siemens, vor Kurzem noch auf Bombardier und immer wieder mal auf das Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Denn alle zusammen bringen es seit geraumer Zeit nicht mehr fertig, dass die Bahn Züge, die sie bestellt hat, auch rechtzeitig geliefert bekommt. Erst hatte der Konzern jahrelang auf 100 Regionalzüge von Bombardier warten müssen, dann verschob Siemens mehrmals den Liefertermin für die insgesamt 16 neuen ICE-Züge vom Typ Velaro - zuletzt erneut am Mittwochabend. Und schließlich wird wohl auch der Starttermin von 27 Doppelstock-Zügen nicht klappen, die die Bahn Ende kommenden Jahres erstmals im Fernverkehr einsetzen wollte.

"Verheerendes Zeichen für den Wirtschaftsstandort Deutschland"

Letztlich ähneln sich die Gründe für die Verzögerung meist stark: Die Hersteller testen die Sicherheit der Züge, reichen daraufhin Unterlagen beim Eisenbahn-Bundesamt ein - doch der Behörde genügt das nicht. Sie fordert weitere Tests und weitere Unterlagen. Alles mit dem Ziel, für größtmögliche Sicherheit auf der Schiene zu sorgen. Doch das ändert nichts daran, dass das Ergebnis unbefriedigend ist. Oder, wie Bahn-Technikvorstand Volker Kefer es am Donnerstag im Bahntower vorsichtig zusammenfasst: "Was die Zulassungsrahmenbedingungen anbelangt, da sind wir in Deutschland von einem optimalen Prozess ein Stück weit entfernt."

Holger Krawinkel, Bahn-Experte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV), hält diese ständigen Lieferverzögerungen mittlerweile für ein "verheerendes Zeichen für den Wirtschaftsstandort Deutschland". Seiner Ansicht nach sollte man "in einem so hoch entwickelten Industriezweig wie der Zugherstellung doch erwarten können, dass pünktlich geliefert würde". Doch stattdessen seien die Fahrgäste immer wieder die Leidtragenden. "Denn sie müssen länger als nötig in alten oder überfüllten Zügen Platz nehmen", sagt der Verbraucherschützer.

In dem jetzigen Fall hätte Siemens eigentlich bereits im vergangenen Jahr die ersten der 16 ICE-Velaro liefern sollen. Doch erst gab es Probleme mit einem Zulieferer, dann mit der Software. Am Mittwochabend schließlich teilte Siemens mit, dass man das Versprechen, bis Anfang Dezember wenigstens acht Züge zu liefern, nicht einhalten könne. Der Bahn geht damit ihre geplante Reserve für witterungsbedingte Ausfälle im Winter verloren.

Auswirkungen auf den Auslandsverkehr

Fernverkehrschef Huber stellte klar, dass sich damit auch die Zulassungen dieser Züge für das Ausland verzögerten. Mit einer Betriebserlaubnis für die Strecke von Süddeutschland nach Paris sei nicht vor 2014, für Belgien 2015 und für Nordfrankreich nicht vor 2016 zu rechnen. Auch nach London hatte die Bahn mit den Zügen fahren wollen, und zwar bereits vom kommenden Jahr an. Doch jetzt räumte Huber ein: "Vor 2016 müssen wir über die Aufnahme von London-Verkehren gar nicht nachdenken."

Die Bahn verhandelt bereits seit geraumer Zeit mit Siemens über Schadenersatz wegen der ständigen Verzögerungen. Um welche Summe es dabei geht, ist allerdings noch offen. Denn zum einen steht ja noch nicht fest, wann Siemens denn nun tatsächlich liefert. Zum anderen, sagte Huber, "kann man ja nur schwer abschätzen, wie viele Fahrgäste wir mit den neuen Zügen dazu gewonnen hätten und wie viele sich stattdessen nun einfach in den alten Zügen drängen".

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