Liechtensteins Regierungschef Klaus Tschütscher:"Wir waren die Prügelknaben"

Kleines Land und großer Wirbel: Liechtenstein machte in der Vergangenheit vor allem als Steueroase von sich reden. Regierungschef Klaus Tschütscher unterzeichnet nun ein Abkommen, das vieles ändern soll. Ein Gespräch über das schlechte Image des Landes, die Euro-Krise und Datendieb Heinrich Kieber.

Uwe Ritzer

Am Donnerstag werden Finanzminister Wolfgang Schäuble und Liechtensteins Regierungschef Klaus Tschütscher, 44, ein Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnen. Für das Fürstentum sind damit der Skandal um Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel und der Wirbel um den Bankdaten-Dieb Heinrich Kieber vorbei.

Liechtensteins Regierungschef Klaus Tschütscher: Klaus Tschütscher, Regierungschef Liechtensteins, unterzeichnet am Donnerstag mit Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Doppelbesteuerungsabkommen, das der erste Schritt zum neuen Image des Landes sein soll.

Klaus Tschütscher, Regierungschef Liechtensteins, unterzeichnet am Donnerstag mit Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Doppelbesteuerungsabkommen, das der erste Schritt zum neuen Image des Landes sein soll.

(Foto: AFP)

SZ: Herr Tschütscher, bitte vollenden Sie folgenden Satz: Heinrich Kieber hat in Liechtenstein dafür gesorgt, dass . . .

Tschütscher: . . . das globale Thema der Steuerhinterziehung in Liechtenstein beschleunigt angegangen wurde.

SZ: Kieber hat bei der Fürstenbank LGT Kundendaten gestohlen und an mehrere Staaten verkauft. Hunderte Steuersünder flogen auf, darunter Anfang 2008 Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel. Die Steueroase Liechtenstein geriet massiv unter internationalen Druck; Kieber gilt bei Ihnen seither als Staatsfeind Nummer 1. Was würden Sie ihn fragen, wenn Sie ihn treffen würden?

Tschütscher: Wie er dazu kam, die neue Berufsgattung des Datendiebs zu kreieren, wie viel Geld er wirklich damit gemacht hat, wie viele neue Identitäten ihm ausländische Geheimdienste angeboten haben. Mich würden die Hintergründe interessieren.

SZ: Kein Hass, kein Groll?

Tschütscher: Warum noch Energie verschwenden und sich über Herrn Kieber aufregen?

SZ: Hätte es ohne ihn am Finanzplatz Liechtenstein überhaupt jemals Reformen gegeben?

Tschütscher: Wir haben uns mit Reformen seit der ersten Finanzplatzkrise vor zehn Jahren befasst. Kieber hat beschleunigt, was bereits in Gang war. Ohne ihn wären die Reformen aber nicht so schnell gekommen.

SZ: Nur 13 Monate später verpflichtete sich Liechtenstein zu internationaler Zusammenarbeit in Steuerfragen auf der Basis des OECD-Standards. Ihr striktes Bankgeheimnis ist dadurch aufgeweicht.

Tschütscher: Das war ein enormer Kraftakt in der Zeit des Regierungswechsels. Alte und neue Regierung sowie das Fürstenhaus haben in dieser schwierigen Phase gemeinsam schnell reagiert. Mein wichtigstes Ziel war es, von der schwarzen Liste der Steueroasen herunterzukommen. Das ist gelungen. Wir waren die Prügelknaben auch für vieles, was nicht nur Liechtenstein betroffen hat. Inzwischen hat sich auch unser Verhältnis zu Deutschland wieder normalisiert. In wenigen Tagen werden wir in Berlin ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) unterzeichnen. Wenn das einer Anfang 2008 prophezeit hätte, hätte man ihn ausgelacht.

"Wie viel Schwarzgeld noch in Liechtenstein liegt, weiß niemand"

SZ: Liechtenstein gewährt weiter keine Rechtshilfe in Steuerfragen, wenn die Anfrage aus Deutschland auf gestohlenen Daten beruht. Ist das Abkommen mehr als ein Etikettenschwindel?

Tschütscher: Es erfüllt voll und ganz den OECD-Standard. Ich verurteile es nach wie vor, dass sich ein Rechtsstaat mit einem Rechtsbrecher einlässt, der in einem anderen souveränen Land Daten gestohlen hat.

SZ: Liechtenstein lebte jahrzehntelang davon, dass Menschen in anderen Ländern Gesetze brachen, indem sie ihre Steuern nicht zahlten und das Schwarzgeld im Fürstentum versteckten. Liechtensteiner Finanzleute haben sie sogar dazu motiviert und ihnen geholfen.

Tschütscher: Diese Frage ist inzwischen weltweit beantwortet. Kein Finanzplatz kann sich mehr auf Steuerhinterziehung ausrichten, dieses Geschäftsmodell ist Geschichte. Im Übrigen war es kein Liechtensteiner Unikum. Wir müssen jetzt darauf achten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für alle dieselben sind.

SZ: Wird es zum automatischen, grenzübergreifenden Informationsaustausch in Steuerfragen kommen, wie ihn die EU anstrebt?

Tschütscher: Für uns ist das kein probates Mittel, um den legitimen Anspruch von Staaten auf die Steuern ihrer Bürger durchzusetzen. Ich halte unser Abkommen mit Großbritannien für wegweisender. Wir haben vereinbart, dass jeder Anleger sein Geld nachweislich versteuert haben muss, ehe er es bei uns anlegen kann. Wer bereits Geld in Liechtenstein hat, muss bis 2015 nachweisen, dass es sauber ist, oder die Geschäftsbeziehungen sind vorbei.

SZ: Wie viel Schwarzgeld liegt denn noch in Liechtenstein?

Tschütscher: Das weiß niemand. Wir sind gewillt, eine Brücke in die Zukunft zu bauen. Unsere Strategie heißt Steuerkonformität.

SZ: Das Image von Liechtenstein als Paradies für Steuerhinterzieher, Geldwäscher und andere Wirtschaftskriminelle ist nach wie vor verheerend. Die Berliner Zeitung schrieb, das Land umgebe "der Geruch des Halblegalen und der Gier". Wie sehr ärgert Sie das?

Tschütscher: Ärger hilft nicht weiter. Ich konzentriere mich darauf, die Reputation unseres Landes herzustellen, indem ich Medien, Regierungen und anderen Entscheidungsträgern darstelle, was Liechtenstein tatsächlich ist. Ich sage: Schaut genau hin, was Klischees sind und was Wirklichkeit ist. Liechtenstein hat der EU ein Betrugsabkommen auf der Basis von grenzübergreifendem Informationsaustausch auf Anfrage angeboten. Es liegt seit zwei Jahren in Brüssel auf Eis, weil sich einige europäische Zentralen nicht entscheiden können.

SZ: Das Fürstentum gilt immer noch als einer der undurchsichtigsten Finanzplätze der Welt.

Tschütscher: Das ist ein Klischee und eine Mär. Wir halten nachweislich die höchsten internationalen Standards in der Bekämpfung von Geldwäsche ein. Wir erfüllen die OECD-Standards in Steuerfragen, wir sind im Bereich der Wertpapier- und Bankenaufsicht fest im europäischen System integriert. Wir haben ein neues Steuergesetz geschaffen, das von Brüssel abgesegnet und EU-kompatibel ist. Wir haben das Stiftungsrecht reformiert. Das waren alles keine einfachen, aber notwendige Prozesse.

"Wir müssen die Durststrecke in Kauf nehmen"

SZ: Nun wachsen im reichen Liechtenstein die Probleme. Seit dem Fall Kieber bleiben Anleger weg, zig Milliarden Euro wurden abgezogen, das Geschäft mit Stiftungen ist eingebrochen, im Staatshaushalt droht bis 2015 ein Loch von einer halben Milliarde Franken, und Sie denken laut über Steuererhöhungen nach, was bislang ein Tabu war. Sind die paradiesischen Zeiten vorbei?

Tschütscher: Wir befinden uns in einem tiefgreifenden Strukturwandel, der noch einige Zeit dauern wird. Wir müssen die Durststrecke in Kauf nehmen, unsere Wirtschaftsstruktur breiter aufstellen und am Finanzplatz nachhaltige Geschäftsmodelle durchsetzen. Die Regierung fährt seit zwei Jahren einen rigorosen Sparkurs. Wir haben neun Prozent im Budget gestrichen und werden weitere sieben bis acht Prozent kürzen. Das ist sehr viel für ein so kleines Land.

SZ: Der Rest Europas spannt Rettungsschirme und kämpft um den Euro. Wie sehr betrifft Sie das?

Tschütscher: Ganz enorm, denn unser Land ist zu mehr als 99 Prozent auf den Export angewiesen. Unsere Industriefirmen wie die Baumaschinenfirma Hilti haben zwar volle Auftragsbücher und machen gute Umsätze, aber die schwierige Währungssituation macht ihnen zu schaffen. Bei den Banken ist das größte Risiko das Gegenparteirisiko. Das heißt, Geld, das sie bei anderen Banken anlegen und die wieder bei anderen. Da kann es zu Dominoeffekten kommen, die auch bei uns massiv durchschlagen würden. Wenn mit unseren drei größten Banken etwas passieren würde, würde dies die Wirtschaftskraft unseres Landes übertreffen. Wir müssen unsere Stabilität erhalten.

SZ: Wie wichtig ist für Liechtenstein, dass der Euro gerettet wird?

Tschütscher: Für mich ist es keine Euro-, sondern eine Schuldenkrise der Staaten. Ich möchte mir nicht vorstellen, wo Europa heute ohne den Euro stünde. Diese vielen Währungen von früher wären jetzt eine unerträgliche Situation.

SZ: Neben Athen schwächeln auch andere Staaten wie Italien. Wie ist Ihre Prognose: Kommt ein finanzielles Erdbeben?

Tschütscher: Diese Sorge ist überall sehr groß. Der Aufwand für die Rettung Griechenlands entspricht zwei Prozent der Wirtschaftskraft im Euro-Raum. Das muss Europa stemmen können. Aber man sollte auch unbedingt analysieren, wie es so weit kommen konnte. Das Finanzsystem hat sich ein großes Stück weit von der Realwirtschaft entfernt. Funktionieren kann es aber nur, wenn es an die Realwirtschaft gekoppelt ist.

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