Lidl: Zehn-Euro-Kampagne:Auf Schmusekurs mit der Gewerkschaft

Lidl und Verdi pflegten lange Zeit ein zerrüttetes Verhältnis. Doch nun herrscht plötzlich Harmonie. Denn der Discounter fordert voller Raffinesse eine Lohnuntergrenze.

Sibylle Haas

Es hat Kalkül, dass sich ausgerechnet Lidl für einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro stark macht. Zehn Euro - das ist mehr, als in der politischen Debatte von den meisten Befürwortern gefordert wird. Zehn Euro verlangt lediglich die Linkspartei und nun also auch der auf Sparsamkeit bedachte Discounter aus Neckarsulm. Ausgerechnet Lidl, der noch vor gar nicht so langer Zeit für seine Arbeitsbedingungen gescholten wurde und Vorwürfe für die Bespitzelung von Mitarbeitern einstecken musste.

Einzelhandelsverband gegen Lidl-Vorschlag von zehn Euro Mindestlohn

Einkaufswagen vor einer Lidl-Filiale: Der Einzelhandelsverband HDE hat das Plädoyer des Discounters für einen branchenübergreifenden Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde zurückgewiesen. Dabei erodieren die Tarifverträge in der Branche seit Jahren.

(Foto: dapd)

Ein Grund für Lidls Kehrtwende ist so schlicht wie wirksam: Es war der öffentliche Druck. Gewerkschafter, Politiker und Verbraucher prangerten den Einzelhändler wegen seiner Methoden heftig an. Tagelang kam Lidl nicht aus den Negativ-Schlagzeilen heraus. Viele Kunden kehrten dem Unternehmen den Rücken und gingen zur Konkurrenz. Schlechter konnte ein Image nicht werden.

Der Fall Lidl zeigt beispielhaft, wie und dass öffentlicher Druck etwas bewirken kann, ein Unternehmen sogar dazu bringt, sich seiner sozialen Verantwortung zu stellen. Die Firma Lidl durchleuchtete die eigene Führungsstruktur, zog Konsequenzen, verbesserte die Kommunikation und arbeitete an seinem Image. Bei letzterem ließ sich Lidl offenbar sehr gut beraten. Denn die Skandale sind längst abgehakt. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Botschaft angekommen, dass Lidl die Zustände geändert hat und ein guter Arbeitgeber ist.

Inzwischen könnte man von einer Zehn-Euro-Kampagne sprechen. Denn Lidl fordert nicht nur einen gesetzlichen Mindestlohn in dieser Höhe, sondern zahlt selbst seit März mindestens diesen Betrag jedem Mitarbeiter als Stundenlohn aus. Das ist mehr als die Tarifverträge für die meisten Berufsgruppen im Einzelhandel vorsehen.

Mit dem Slogan "Gleiche Arbeit - gleicher Lohn. Gute Arbeit - fairer Lohn" lehnt sich Lidl sogar an die Werbekampagnen vieler Gewerkschaften an. Das macht diese geschmeidig und die Rechnung geht wohl auf: Die Gewerkschaft Verdi will auf keinen Fall von einer Marketingkampagne reden, sondern ist im Gegenteil voll des Lobes für den Discounter. Doch so viel Harmonie macht misstrauisch und hat meist - und so auch in der Causa Lidl - einen weiteren triftigen Grund.

Im Einzelhandel ziehen Gewerkschaft und Arbeitgeber in Sachen Mindestlöhne nämlich an einem Strang. Denn die Tarifverträge in der Branche erodieren seit Jahren. Immer mehr Unternemen treten aus den Arbeitgeberverbänden aus und verabschieden sich so auch von der Tarifbindung. Damit können sie die Löhne und Arbeitsbedingungen selbst festlegen. Dies hat zur Folge, dass in einigen Firmen Arbeitnehmer für Hungerlöhne arbeiten und zusätzlich vom Staat unterstützt werden müssen. Doch Lohndumping schadet nicht nur den Beschäftigten, sondern auch allen Arbeitgebern, die sich an die Tarifverträge halten: wer bei den Lohnkosten nicht sparen kann, muss seine Produkte teurer anbieten. Das ist die Logik und im konkreten Fall ein echter Wettbewerbsnachteil.

Doch die tariflich gebundenen Arbeitgeber haben sich das selbst eingebrockt, indem sie vor etwa zehn Jahren die Allgemeinverbindlichkeit ihrer Tarifverträge beendet haben. Bis dahin waren sich beide Tarifpartner nämlich einig, dass sie ihre Tarifverträge vom Arbeitsminister für allgemeinverbindlich erklären lassen. Dies bedeutete, dass die ausgehandelten Löhne und Arbeitsbedingungen auch in den Firmen galten, die keinem Arbeitgeberverband angehörten und nicht tarifgebunden waren. Heute herrscht Wildwuchs. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist daher die einzige Option, um die teilweise unwürdigen Zustände in einigen Einzelhandelsfirmen zu beenden.

Tarifliche Lohnuntergrenzen müssen also für alle gelten. In den meisten EU-Staaten gibt es ja allgemeine, branchenübergreifende gesetzliche Mindestlöhne. Längst ist klar: Jobs wurden dadurch nicht vernichtet, wie die Mindestlohn-Gegner gern behaupten.

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