Leitartikel:RWE braucht eine neue Führung

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Der Aufsichtsrat widmet sich einem Machtpoker statt strategischen Fragen - und bringt den Konzern so seinem Ende entgegen.

Von Karl-Heinz Büschemann

Die Lage kommt einer Katastrophe gleich. Der RWE-Konzern taumelt. Auf dem Weg bergab scheint es kein Halten mehr zu geben. Der Aktienkurs ist im freien Fall. Bald könnte die Aktie, die 2008 noch etwa 100 Euro kostete, für weniger als zehn Euro zu haben sein. In nur sieben Jahren wurde in Essen ein Wert von fast 50 Milliarden Euro vernichtet. Das Votum der Märkte ist klar: Die Aktionäre haben kein Vertrauen mehr in das Management. Beim einst größten Energiekonzern der Republik geht es um alles.

An diesem Freitag tagt der Aufsichtsrat des bedrängten Versorgers, es wird kontroverse Debatten geben, auch über die künftige Führung des Aufsichtsrates, der im April neu gewählt werden muss. Der Chef des Kontrollgremiums, der ehemalige Chemiemanager Manfred Schneider, hat den ehemaligen SAP-Finanzmanager Werner Brandt als seinen Nachfolger vorgesehen. Doch den wollen die mächtigen Kommunen nicht. Die Vertreter von Ruhrstädten und Landkreisen würden an der Spitze des Gremiums lieber den früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller sehen. Das verspricht Streit und zähe Debatten - allerdings über das falsche Thema.

Sollten die Kontrolleure sich in der Krisensitzung lieber mit Personalspielereien und Machtpoker befassen als mit der künftigen Strategie, geht der Konzern seinem Ende einen weiteren entscheidenden Schritt entgegen.

Der Energiekonzern ist tief in die Krise gerutscht. Er braucht eine neue Führung

RWE, einst eine Säule der deutschen Stromversorgung, hat keine Zeit mehr. Zu stark haben die Energiewende und die Energiepolitik der Bundesregierung den Konzern durchgerüttelt. Aufsichtsrat und Vorstand sind mit ihrem Latein am Ende. Konzernchef Peter Terium hat in seinen drei Jahren im Amt keine Antwort auf die Frage gefunden, wie der Atom- und Kohlestromerzeuger in Zeiten der Energiewende seine Geschäfte machen will. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Schneider, 76 und in vielen Kontrollgremien aktiv, hat nahezu hilflos zugesehen, wie es mit dem Unternehmen bergab ging. Von Führung konnte keine Rede sein.

Besserung ist wohl nur in Sicht, wenn auf beiden Positionen neue Manager das Kommando übernehmen.

Zugegeben: Es ist nicht leicht, Chef eines Energiekonzerns zu sein. Einen Mangel an Zukunftsstrategien gibt es nicht nur beim RWE. Beim Düsseldorfer Wettbewerber Eon ist die Lage ähnlich desolat. Doch in Essen gibt es eine besondere Schwierigkeit. Das Unternehmen ist im festen Griff der Kommunen, die 25 Prozent der Aktien besitzen, aber vier der zehn Aufsichtsratssitze der Kapitalseite besetzen. Diese unverhältnismäßige Macht ist einer der Gründe für die gewaltigen Probleme des Konzerns. Wo Gewerkschaften und Kommunen im Aufsichtsrat gemeinsam den Kurs bestimmen können, sind Management-Entscheidungen oft zu einseitig an Interessen von Städten und Arbeitnehmern orientiert als an denen der anderen Aktionäre.

Teil des Problems ist, dass die Kommunen jeden Euro Dividende brauchen, auch wenn der Konzern gut daran täte, zur Stärkung der Reserven auf eine Ausschüttung zu verzichten. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Kommunen dem Vorstand einen Mangel an Ideen vorwerfen, selbst aber nicht mit Vorschlägen glänzen. Sie sollten auf einige Sitze im Kontrollgremium verzichten, um mehr Kompetenz in das Gremium zu holen. Doch dazu sind sie nicht bereit.

Die Kommunen können aber nicht so tun, als hätten sie mit der Krise nichts zu tun. Deshalb ist es fragwürdig, wenn sie den Ex-Politiker Müller an die Spitze des Aufsichtsrates hieven wollen. Der ist ein begabter politischer Strippenzieher. Aber die Zukunftsstrategie für einen großen Energiekonzern wird er kaum beisteuern können. Er stünde mehr für die Rückkehr des Versorgers in die Klüngelwirtschaft aus Politik und Gewerkschaften, wie sie an der Ruhr lange üblich war. Den 69-Jährigen für einen Posten vorzuschlagen, der eine langfristige Strategie für einen Dax-Konzern umsetzen soll, wäre ein falsches Signal.

Dass es so weit kommen konnte und in Essen wieder über eine Quasi-Rückverstaatlichung von RWE nachgedacht wird, muss sich Aufsichtsratschef Schneider ankreiden lassen. Er sollte deshalb nun dringend die Aufsichtsräte in die Pflicht nehmen und zur Formulierung eines neuen Geschäftsmodells zwingen; erst danach stellen sich Personalfragen. Wenn Schneider hier erneut versagt, ruiniert er sein eigenes Vermächtnis endgültig. Er würde im April als Gescheiterter den Aufsichtsrat verlassen. Schlimm wäre das auch für RWE. Der Großkonzern würde zum regionalen Stadtwerk. Das können weder Mitarbeiter noch Aktionäre wollen.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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