Leiharbeit:Sklaverei und Jobmaschine

Die Leiharbeit hat den Arbeitsmarkt systematisch verändert. Einst als Instrument in der Not gefördert, ist sie vielerorts zur Dauerlösung geworden. Erst jetzt erkennen Politiker den Missbrauch.

Felix Berth

Das arme Land Bremen wollte besonders clever sein. Vor einigen Jahren begann die Schulbehörde, einen Teil ihrer Lehrer nicht mehr direkt anzustellen oder gar auf Beamtenposten zu befördern, sondern über einen Umweg zu engagieren: Die neuen Lehrer waren formal bei einem Verein beschäftigt, der sie an das Land Bremen auslieh. So sollten sie für den Staat billiger und flexibler einsetzbar werden, hoffte die Behörde. Doch die Strategie ging nicht auf.

Leiharbeit, Zeitarbeit; dpa

Zeitarbeitsmesse in Erfurt: Zwischen 2003 und 2008 entstand etwa eine halbe Million Jobs in der Branche. Dass diese Erfolge ihren Preis hatten, übersahen die Politiker gern.

(Foto: Foto: dpa)

Das Landesarbeitsgericht Bremen entschied im Sommer 2008, dass dies rechtswidrig sei. Eine klagende Lehrerin erhielt ein höheres Gehalt sowie eine unbefristete Stelle im Staatsdienst zugesprochen. Was das Land versucht hatte, sei "eine Umgehung gesetzlicher und tarifvertraglicher Regelungen", stellten die Richter fest (Aktenzeichen 2 Sa 111/07).

"Hart durchgreifen"

Das Urteil zeigt, dass der Missbrauch der Zeitarbeit beim Drogeriekonzern Schlecker kein Einzelfall ist. In allen Regionen und Branchen versuchen Arbeitgeber, mit dem Einsatz von Leiharbeitern auf problematische Weise zu sparen.

Das Bremer Urteil belegt aber auch, dass die Justiz skeptischer wird: "Anfangs waren die Arbeitsgerichte unsicher, ob solche Varianten erlaubt sind. Aber jetzt setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Zeitarbeit hier missbraucht wird", sagt Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Uni Münster. Die Gerichte würden nun "hart durchgreifen", erwartet der Professor.

Im Video: Das Unternehmen soll tausende Mitarbeiterinnen entlassen haben, um sie mit hohen Lohnabschlägen als Leiharbeiterinnen in anderen Filialen wieder zu beschäftigen. Weitere Videos finden Sie hier

Die positive Seite

Nicht nur die Juristen werden skeptischer. Auch Politiker sehen derzeit die Mängel der Zeitarbeit, die sie jahrelang nicht erkennen wollten. Dass der Drogeriekonzern Schlecker eine Zeitarbeitsfirma gründete, um Mitarbeiterinnen mit niedrigeren Löhnen und reduziertem Kündigungsschutz anzustellen, stößt selbst in der FDP auf Kritik. Wenn das Bundesarbeitsministerium nun den Einzelfall Schlecker genauer untersuchen will, wie die neue Chefin Ursula von der Leyen (CDU) am Sonntag versprach, kann das einen Wendepunkt markieren.

Denn jahrelang hatte dieses Ministerium - unter Führung der SPD - vorwiegend auf die positiven Seiten des Zeitarbeits-Booms geachtet. Zwischen 2003 und 2008 entstand etwa eine halbe Million Jobs in der Branche; jede dritte der in den Jahren 2006 und 2007 neu entstandenen Stellen gehörte einem Leiharbeiter, stellte die Bundesagentur stolz fest.

Das Positive an dieser Entwicklung: Oft erhielten Menschen einen Arbeitsvertrag, die vorher monatelang ohne Job gewesen waren. Dass diese Erfolge ihren Preis hatten, übersahen die Politiker gern. Lange Zeit waren die Unsicherheit der Beschäftigten und ihre niedrigen Löhne selbst der SPD und vielen Gewerkschaftern nicht besonders wichtig.

Auf der nächsten Seite: Der Aufschwung begann unter Wolfgang Clement - und entwickelte sich zu einem Boom, der die Nachteile überdeckte.

Unsichtbarer Boom

Begonnen hatte der Aufschwung der Zeitarbeit unter Arbeitsminister Wolfgang Clement, in der zweiten Legislatur des rot-grünen Bündnisses. Weil fünf Millionen Menschen arbeitslos waren, suchte die Regierung nach Möglichkeiten, den Markt zu flexibilisieren. Den Kündigungsschutz zu demontieren, wäre politisch heikel gewesen - deshalb empfahl die Kommission von Peter Hartz im Jahr 2002, ihn zu "neutralisieren".

Ein paar juristische Stellschrauben, deren Funktion nur Experten verstanden, wurden gelockert; danach war es den Betrieben möglich, Leiharbeiter dauerhaft zu beschäftigen. Geduldet vom Arbeitsministerium, schlossen einzelne Firmen billige Haustarifverträge für Leiharbeiter; ihre Partner waren oft willige christliche Gewerkschaften. Der Boom begann.

Die Stimmung wandelte sich

Für die Öffentlichkeit blieb dies lange beinahe unsichtbar. Denn Leiharbeiter wurden dort engagiert, wo bereits Leiharbeiter waren: in der Metall- und Elektroindustrie, später dann auch stärker in der Nahrungsmittelindustrie. Doch in den betroffenen Betrieben wandelte sich die Stimmung, wie der Soziologe Klaus Dörre bei seinen Befragungen feststellte.

Wenn ein Unternehmen wie BMW in seinem Leipziger Werk dreißig Prozent Leiharbeiter beschäftigt, wird die Unsicherheit überall spürbar: In jeder Abteilung begegnet man den Schlechterbezahlten, auf die das Unternehmen jederzeit verzichten kann. "Leiharbeiter wirken hier als ständige Mahnung", sagt Dörre. "Sie verunsichern auch diejenigen, die noch einen festen Arbeitsplatz haben."

Alle Instrumente vorhanden

Ist die Leiharbeit also eine moderne Variante der Sklaverei, wie manche Linken klagen? Oder ist die Zeitarbeit eine Jobmaschine, die vielen Chancenlosen zu begrenztem Wohlstand verhilft, wie manche Rechten jubeln? Das Problem an diesem Phänomen ist wohl, dass es beides sein kann - abhängig von den Zielen einer Firma, von der Haltung des Chefs und sogar der Atmosphäre unter Kollegen.

Plausibel ist, dass die Branche in den letzten Jahren arg wenig beobachtet wurde, denn juristisch könnte man die schlimmsten Varianten stoppen, sagt der Arbeitsrechtler Schüren: "Im Arbeitsrecht sind alle Instrumente vorhanden, um die Strohmann-Zeitarbeitsfirmen wie bei Schlecker auffliegen zu lassen."

Derzeit prüfen die Arbeitsgerichte auch, ob die christlichen Gewerkschaften überhaupt tariffähig sind. In erster und zweiter Instanz haben sie das verneint. "Wenn das Bundesarbeitsgericht das bestätigt, sind die schlimmsten Fehlentwicklungen korrigiert", sagt Schüren. Probleme hätten dann die Firmen, die solche faulen Tarifverträge genutzt haben - sie müssten Sozialversicherungsbeiträge und Löhne nachzahlen. "Die Branche wäre dann wieder einigermaßen sauber", sagt Schüren.

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