Lebensmittelpreise:Katastrophe im Korb

Gerade mal elf Prozent des Einkommens geben die Deutschen für ihre Ernährung aus. Doch jetzt wird Nahrung weltweit knapp - und die Preise ziehen an. Das ist fatal für den Aufschwung.

S. Liebrich, S. Boehringer u. S. Weber

Auf den ersten Blick könnte es kaum besser laufen: Nach der schweren Finanzkrise erholt sich die deutsche Wirtschaft schneller als erwartet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und der Bundesverband der Deutschen Industrie trauen der Bundesrepublik in diesem Jahr ein Wachstum von mehr als zwei Prozent zu. Die Kauflaune der Verbraucher sei zurückgekehrt, jubeln die Experten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Doch für wie lange? Denn über all dem schwebt das Schreckgespenst der Inflation. Vor allem steigende Lebensmittel- und Energiepreise machen sich im Geldbeutel der Verbraucher bemerkbar, und das könnte die Kauflaune schnell verderben.

Lebensmittelpreise: Deutsche Konsumenten mussten im vergangenen Jahr erstmals seit Jahrzehnten wieder mehr Geld für Essen ausgeben.

Deutsche Konsumenten mussten im vergangenen Jahr erstmals seit Jahrzehnten wieder mehr Geld für Essen ausgeben.

Erste negative Anzeichen dafür gibt es bereits. "Entscheidend für den Konsum ist die gefühlte und nicht die amtliche Inflation", betont der Statistik-Professor Hans Wolfgang Brachinger. "Wenn die Leute eine hohe Teuerung fühlen, kaufen sie weniger ein." Diese Gefahr besteht durchaus, denn nach seinen Berechnungen schätzten deutsche Verbraucher die Inflation derzeit mit 5,2 Prozent viel stärker ein, als sie ist. Der amtliche Verbraucherpreisindex zeigte zuletzt einen Anstieg von 1,7 Prozent. "Eine entscheidende Rolle spielt die Teuerung bei häufig gekauften Gütern wie Lebensmitteln, da sind die Konsumenten besonders sensibel", sagt Brachinger, der an der Schweizer Universität Fribourg lehrt.

Steigende Rohstoffpreise seien neben der internationalen Schuldenkrise ein gefährlicher Stolperstein für die Konjunktur, warnt der IWF. Auch EZB-Chef Claude Trichet wies Anfang der Woche auf die davon ausgehende Inflationsgefahr hin. Ein Problem für die deutsche Wirtschaft ist, dass viele Grundstoffe eingeführt werden müssen. Laut Statistischem Bundesamt erreichten die Importpreise im Dezember ein Plus von zwölf Prozent, weil Energie, Rohstoffe und Nahrung deutlich mehr kosten. Einen solchen Sprung gab es zuletzt vor 30 Jahren.

In Deutschland wurde Essen bereits im vergangenen Jahr teurer. Im Dezember 2010 lagen die Preise um 3,6 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Ungewöhnlich ist dies deshalb, weil sich damit eine Wende abzeichnet. Gut drei Jahrzehnte waren die Deutschen daran gewöhnt, dass Nahrung billiger wird. Nur elf Prozent ihres Einkommens geben die Bundesbürger im Schnitt für ihre Ernährung aus. In den sechziger Jahren lag dieser Anteil noch bei 50 Prozent. Jahrzehntelang bremsten die fallenden Lebensmittelpreise zudem die allgemeine Teuerungsrate. Dieser Trend dürfte sich nun langfristig umkehren, weil Nahrung weltweit knapper und teurer wird.

Tatsache ist, dass sich Weizen, Kaffee, Zucker und andere Agrarprodukte an den internationalen Börsen im vergangenen Jahr erheblich verteuert haben, teilweise um bis zu 100 Prozent. Da der Rohstoffanteil an den Gesamtkosten bei einzelnen Lebensmitteln stark abweichen kann, wirken sich steigende Notierungen höchst unterschiedlich auf die Endverbraucherpreise aus. So liegen etwa die Getreidekosten bei Brot und Brötchen nur zwischen drei bis fünf Prozent. Bei Wurst schlägt der Fleischanteil mit 30 bis 40 Prozent zu Buche.

Die Lebensmittelindustrie hat bereits angekündigt, dass sie die gestiegenen Rohstoffpreise an die Kunden weitergeben will. Die Branche steht in harten Verhandlungen mit dem Handel. Verbraucher müssten sich in diesem Jahr darauf einstellen, dass Lebensmittel im Durchschnitt um zwei bis fünf Prozent teurer werden, sagt Jürgen Abraham, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Er verweist auf die ohnehin geringen Gewinnspannen der Hersteller. "So können viele nicht weitermachen, sonst zahlen sie drauf", ergänzt Abraham. Er kritisiert den starken Preisdruck, den große Handelsketten, wie Aldi, Lidl, Rewe oder Edeka auf die Produzenten ausüben.

Naschen - und zwar billig

Wie sich der scharfe Wettbewerb auf die Süßwarenbranche auswirkt, zeigt eine in dieser Woche veröffentlichte Studie, in der die Marktforscher von Nielsen 19 europäische Länder verglichen haben. Gegenstand der Untersuchung war ein Warenkorb mit 14 Markenartikeln, darunter Schokoriegel von Mars, Kaugummis von Wrigley und Gebäck von Bahlsen. Ergebnis: Nirgendwo in Europa können Verbraucher so billig naschen wie in Deutschland. In den heimischen Supermärkten ist der Warenkorb im Durchschnitt für 18,48 Euro zu haben. In Italien zahlen Käufer vier Euro mehr, und in Norwegen, wo Süßigkeiten besonders teuer sind, ist der Preis mit 39,60 Euro mehr als doppelt so hoch.

Die steigenden Preise bei Zucker, Weizen und Fetten setzen auch den Süßwarenherstellern zu. Teuer einkaufen müssen die Produzenten seit gut zwei Jahren auch Kakao. Hauptursache dafür sind die anhaltenden politischen Unruhen in Elfenbeinküste. Das afrikanische Land ist der weltweit größte Kakaoproduzent. Einzelnen Spekulanten gelang es in den vergangenen Jahren immer wieder, mit künstlich erzeugten Engpässen die Preise hochzutreiben. Im Zangengriff zwischen steigenden Rohstoffpreisen und heftigem Wettbewerb im Handel geraten die Margen vieler Süßwarenhersteller kräftig unter Druck. In der Branche geht man deshalb davon aus, dass es zu weiteren Fusionen und auch Firmenaufgaben kommen wird. Ein Ausweg bestehe nur darin, das Exportgeschäft auszubauen, meint Tobias Bachmüller, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie. Denn in anderen Ländern würden die Verbraucher für süße Sachen sehr viel tiefer ins Portemonnaie greifen.

In anderen Regionen dieser Erde schlugen anziehende Lebensmittelpreise bereits deutlich stärker auf die Inflation durch als in Deutschland. In Indien wurden Nahrungsmittel innerhalb eines Jahres um 15 Prozent teurer. Die Zentralbank des Landes erhöhte deshalb gerade zum siebten Mal seit vergangenem März die Zinsen. Indiens Regierung macht neben schlechten Ernten Spekulationsgeschäfte an den Agrarmärkten für den Preisanstieg verantwortlich.

Wie stark die Börsennotierungen für Agrarrohstoffe letztendlich auf die Lebensmittelpreise durchschlagen, ist aber von Region zu Region unterschiedlich. Tendenziell sind Entwicklungsländer am stärksten betroffen, weil sie über eine unzureichende oder gar keine Lagerhaltung verfügen, heißt es beim Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn. "In afrikanischen Ländern übertragen sich die Preissteigerungen an den Rohstoffmärkten daher zu 50 bis 90 Prozent", erklärt ZEF-Direktor Joachim von Braun.

"In Europa ist der internationale Preiseffekt gering", ergänzt von Braun. Die europäische Marktordnung, die Preisschwankungen glättet, schütze die Verbraucher hierzulande - und damit genau jene, die sich in wohlhabenden Ländern teilweise auch selbst als Rohstoffanleger und damit Preistreiber betätigen.

Spekulationen an den Agrarmärkten beschäftigen auch die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20). Frankreich hat zum Auftakt seiner G-20-Präsidentschaft neue Regeln zur Eindämmung der schwankungsanfälligen Lebensmittelpreise angekündigt. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnt vor einer neuen Lebensmittelkrise wie im Jahr 2008.

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