Lebensmittel:Frucht steht drauf, Aroma ist drin

Verbraucherpreise; Einkaufswagen

Ein Einkaufswagen voller Waren: Doch Vorsicht, nicht alle Zutaten, die auf Packungen prangen, sind auch in hohen Anteilen in den Lebensmitteln enthalten.

(Foto: Gero Breloer/dpa)
  • Lebensmittelfirmen werben auf Verpackungen häufig mit natürlichen Zutaten, obwohl sie den Geschmack durch Aroma erzeugen.
  • Verbraucherschützer halten das für eine potenzielle Täuschung gegenüber den Kunden.
  • Laut einer neuen Studie misstrauen 90 Prozent der Kunden den Lebensmittelproduzenten.

Von Julian Freitag

Mandelbrauner Sirup zerfließt auf einem Löffel Milchreis. Offene Kokosnüsse auf Palmzweigen ergänzen die Szenerie, im Hintergrund strahlt die Sonne über türkisenem Meer. So wirbt die Molkerei Müller auf dem Becherdeckel für ihren Milchreis "Kokos, Typ Mandel". Erst ein Blick auf die klein gedruckte Zutatenliste an der Seite zeigt: Keine einzige Mandel steckt im Becher, lediglich Aromen. Und auch der Kokosnussextrakt macht nur 0,8 Prozent des Inhalts aus.

Aus rechtlicher Sicht ist die Verpackung legal - das betont auch der Hersteller auf Anfrage. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hält die Aufmachung des Bechers dennoch für potenziell täuschend. Auf dem Portal "Lebensmittelklarheit.de" sammeln die Verbraucherschützer seit Jahren Beschwerden von Kunden und bewerten diese anschließend. Fast zwei Dritteln der aktuell 956 Produkte haben die Verbraucherschützer das gleiche Urteil verpasst wie jetzt dem Milchreis.

Für VZBV-Vorstand Klaus Müller sind diese Fälle ein Beleg für das schlechte Abschneiden der Hersteller in einer Umfrage, die der Verband am Mittwoch veröffentlicht hat. Mehr als 1200 Einwohner wurden dafür von der Universität Göttingen und einer Unternehmensberatung befragt. Rund 90 Prozent aller Verbraucher gaben an, den Produzenten nicht zu vertrauen. Mehr als drei Viertel der Konsumenten glaubten, dass Lebensmittel auf der Verpackung besser dargestellt seien als in der Wirklichkeit.

Die Gesetzgebung ist nur bei Extremfällen deutlich: Ist eine Zutat im Produkt nicht enthalten, darf auch nicht mit dieser geworben werden. So urteilte der Europäische Gerichtshof vor zwei Jahren, dass in einem Himbeertee auch echt Himbeeren stecken müssen und nicht nur Aroma. Und deshalb ist auf dem Milchreis von Müller auch keine Mandel, sondern nur braune Soße zu sehen.

Deutlich schwieriger werde es bei sogenannten "Alibi-Zutaten", sagt Müller. Diese seien im Produkt nur in sehr geringen Mengen enthalten und oft mit Aroma verstärkt. "Am Ende weiß man dann nicht mehr, was eigentlich für den Geschmack verantwortlich ist", so der Experte. Während die natürliche Zutat groß abgedruckt sei, seien die Aromen nur auf der Inhaltsliste zu finden. Ginge es nach den Verbrauchern, müssten die Hersteller diese Praxis ändern: Mehr als 80 Prozent aller Befragten gaben in der VZBV-Studie an, schon auf der Vorderseite von zugesetzten Aromen erfahren zu wollen. Mehr als ein Drittel erklärte, solche Zusätze vermeiden zu wollen. "Das heißt aber nicht, dass die Leute bei jedem Einkauf die Zutatenliste checken", sagt Achim Spiller, Professor in Göttingen und einer der Studienautoren.

Deshalb hält auch er eine deutlichere Kennzeichnung für sinnvoll. Im Tee "Träum schön" des Herstellers Teekanne sind keine Aromen zugesetzt. Dennoch führt "Lebensmittelklarheit.de" ihn als potenziell täuschend. Die gesamte Verpackung sei mit Lavendel geschmückt, aber lediglich zwei Prozent davon in der Kräutermischung enthalten, kritisieren die Experten. Doch die Stellungnahme des Herstellers zeigt, wie schwierig eine eindeutige Bewertung sein kann: Aufgrund des intensiven Geschmacks von Lavendel sei die niedrige Dosierung gewünscht, um "eine harmonische Komposition zu gewährleisten".

Jede Woche erreichen die Verbraucherschützer im Schnitt elf neue Beschwerden

Der VZBV möchte die Einschätzung am liebsten den Konsumenten überlassen. Neben den Aromen sollten die Produzenten auch den Anteil der eigentlichen Zutaten deutlich erkennbar machen, fordert der Verband. Außerdem sollten die Aromen besser erklärt werden. Müller stützt sich auf die eigene Studie: Die zeigt, dass nur wenige Leute den Unterschied zwischen "natürlichem Himbeeraroma" und "natürlichem Aroma" kennen. Ersteres muss nahezu komplett aus der eigentlichen Frucht stammen, letzteres kann mit allerlei natürlichen Zutaten wie beispielsweise Alkohol erzeugt werden.

Bisher scheint der VZBV mit seinen Forderungen jedoch auf Granit zu beißen. Jede Woche erreichen die Verbraucherschützer im Schnitt elf neue Beschwerden. So lässt sich etwa auch der Einzelhändler Netto nicht beirren. Dessen "Himbeer-Rhabarber-Schorle" enthält jeweils nur 0,1 Prozent der genannten Früchte, dafür jedoch massig Apfelsaft. Nachdem das Oberlandesgericht Nürnberg die Verpackung im Februar für irreführend erklärte, zog das Unternehmen vor den Bundesgerichtshof.

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