Leben mit dem Niedrigzins:Die Gunst der Stunde

Wie Städte von Niedrigzinsen profitieren, zeigt die Stadtkämmerin von Weiden. Sie arbeitet mittlerweile ganz anders als ihre Vorgänger.

Von Felicitas Wilke, Weiden

Cornelia Taubmann zieht einen Ordner aus dem Schrank, holt ein Papier hervor und zeigt auf die Zahl: 81,6 Millionen Euro. Der Schuldenstand der Stadt Weiden. Taubmann blickt ruhig, fast gelassen auf das Blatt. Schulden gehören für sie zum Alltag. Als Stadtkämmerin ist Taubmann seit sechs Jahren für die Finanzen einer Stadt verantwortlich, die im reichen Bayern zu den armen Kommunen gehört. Mit einer Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent liegt die 40 000-Einwohner-Stadt auf dem vorletzten Platz in Bayern.

Schon vor Jahren ging es mit dem Glaskeramikgewerbe in der nördlichen Oberpfalz bergab und der Dienstleistungssektor bietet auch nicht genügend Arbeitsplätze. "Die verhärtete Struktur auf dem Arbeitsmarkt ist für uns die größte Sorge", wie es Taubmann ausdrückt. Denn wenn es den Menschen und den Unternehmen schlecht geht, spiegelt sich das auch in den Stadtfinanzen wider: Die Einnahmen aus der Gewerbe- und der Einkommensteuer fallen gering aus. Gleichzeitig stagnieren die Ausgaben, zum Beispiel für Sozialleistungen, auf hohem Niveau.

Trotzdem: Stadtkämmerin Taubmann kann in Weiden zurzeit Schulden tilgen, "wirklich wegmachen", wie sie sichtlich erfreut sagt. Zehn Millionen Euro waren es in den vergangenen fünf Jahren. Etwa die Hälfte der Summe stamme aus bayerischen Fördergeldern für Kommunen mit hohen Soziallasten, die andere Hälfte könne man auf die niedrigen Zinsen zurückführen, erklärt die Kämmerin. Niedrigzinsphasen sind gute Zeiten für Schuldner, das gilt für Städte genauso wie für Privatpersonen. Wer investieren will, bekommt einen Kredit momentan fast zum Nulltarif.

Cornelia Taubmann

Stadtkämmerin Taubmann macht vieles anders als ihre Vorgänger.

(Foto: oh)

Schon vor einigen Jahren begann Taubmann, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sobald alte Kredite mit teuren Konditionen ausliefen, schuldete sie auf günstige Alternativen um. Weil Kredite mit langfristig niedrigen Zinsen nicht ganz so günstig sind, setzte sie verstärkt auf kurzfristige Verträge mit variablen Zinsen. Dabei ändert sich der Zinssatz alle drei Monate und orientiert sich am Leitzins der EZB. Bei den kurzfristigen Krediten fallen für die Stadt momentan gerade einmal zwischen null und einem Prozent Zinsen an.

Ihre Vorgänger seien meist auf Nummer sicher gegangen, wenn es darum ging, einen neuen Kreditvertrag abzuschließen, sagt Taubmann. Wer wie sie auf variable Verträge setzt, geht hingegen ein gewisses Risiko ein. Denn wenn die Zinsen wieder steigen, ist es mit dem billigen Geld schnell vorbei. Also beobachtet die Kämmerin jeden Morgen den Markt, liest Reports von Banken und schaut darauf, wie sich die Rohstoffmärkte entwickeln. "Ein Angebot einholen, einen Vertrag abschließen und dann zehn Jahre Ruhe haben, die Zeiten sind für mich vorbei", sagt Taubmann. Schuldenmanagement, das bedeute auch, schnell zu reagieren, wenn sich die Richtung der Zinsen zu ändern droht - um dann wieder längerfristige Verträge abzuschließen.

Nicht nur Weiden profitiert von der momentanen Geldpolitik. Besonders verschuldete Städte und Gemeinden, vor allem in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, nutzen die günstigen Konditionen, um neue Kredite aufzunehmen. "Auf diese Weise können sich Kommunen vor Einsparmaßnahmen drücken", sagt Taubmann. Sie wisse aber auch, dass manchen Städten wegen ihrer hohen Belastungen, vor allem bei den Sozialleistungen, kaum eine andere Wahl bleibe als sich weiter zu verschulden.

Leben mit dem Niedrigzins

Die niedrigen Zinsen verändern unser Leben. In dieser Serie beschreibt die SZ immer montags, wie Menschen im Alltag damit umgehen.

Weiden versucht, zu sparen. Seit drei Jahren habe die Stadt keine neuen Schulden angehäuft, sagt die Stadtkämmerin. Die Bibliothek hat vor einiger Zeit ihre Gebühren erhöht, mit der Gewerbesteuer ging es auch nach oben. Vielen Bürgern und Unternehmen gefiel das gar nicht. Gleichzeitig könne man in Weiden in der aktuellen Situation auch gezielt investieren. "Wir müssen das sogar tun", sagt Taubmann. Vor Kurzem ist die neue Fachoberschule fertig geworden, bald sollen weitere Bildungseinrichtungen renoviert werden. Eher jetzt als später, bei diesen Zinsen. "In der Summe ist für die Stadt vieles leichter geworden", sagt die Stadtkämmerin. Privat versucht sie übrigens "so sparsam wie möglich" zu sein. Aktien besitzt die 61-Jährige keine, dafür aber ein Haus. Und so kommt es, dass sie auch privat von den niedrigen Zinsen profitiert. Ihr Haus, das habe sie "natürlich umfinanziert", sagt die gebürtige Fränkin.

Langfristig jedoch bereite ihr die Geldpolitik auch Sorgen. "Es gibt mir zu denken, dass viele Menschen keine private Altersvorsorge mehr betreiben können", sagt sie. Sollten die Zinsen auf diesem Niveau bleiben, werde sich die Altersarmut irgendwann in den Sozialetats der Stadt niederschlagen. Dann wären die günstigen Kredite wohl nur noch ein schwacher Trost - für Taubmann und die Weidener Bürger.

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