Leben mit dem Niedrigzins:Ausgeben, was auf dem Konto liegt

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Was macht ein Verein, wenn die Zinsen wie jetzt extrem niedrig sind? Renovieren, zum Beispiel.

Von Gianna Niewel, München

Günter Lang gibt das Geld aus. Nicht, weil er übermäßig viel hätte, es liegt viel eher am Niedrigzins. Überhaupt beschäftigt er sich gerade verstärkt mit Darlehen, Anleihen und Renditen. Finanzverwalter? Ist er nicht. Er ist Vorsitzender der Turner-Alpen-Kränzchen, eines Vereins mit etwa 2000 Mitgliedern. Seit Jahren bleiben dessen Einnahmen in etwa gleich. Seit einiger Zeit aber hat Günter Lang ein Problem: die niedrigen Zinsen.

Die Zinsen für sichere Geldanlagen dümpeln gerade bei Null. Darunter leiden nicht nur Privatpersonen. Es betrifft auch Vereine. "Wir dürfen mit dem Geld nicht pokern", sagt Lang. Soll heißen: Er darf kein Risiko eingehen. Die meisten Aktien scheiden deshalb für die Turner-Alpen-Kränzchen aus, ebenso andere spekulative Anlagen. Zumal der Verein immer mal wieder Geld braucht und deshalb größere Summen nicht langfristig anlegen kann.

Die Turner-Alpen-Kränzchen, kurz Kranzl, sind eine von 355 Sektionen innerhalb des Deutschen Alpenvereins (DAV). Wer sich hier anmeldet, kann Kurse belegen im Langlauf und Eisklettern, er kann lernen, wie man sicher fällt, wenn das Mountainbike am Hang abdriftet. Der Verein bietet Skitouren an, die Mitglieder bauen marode Berghütten um und befestigen Alpenwege. Finanziert werden dieses Angebot und die Arbeit des Vereins über Beiträge, 72 Euro zahlt jedes der 2000 Mitglieder im Jahr. Wer kein Mitglied ist, zahlt Gebühren für den jeweiligen Kurs. Zusammen mit Spenden und Geld aus einer Stiftung nahmen die Turner-Alpen-Kränzchen im vergangenen Jahr mehr als 380 000 Euro ein. Geld, das angelegt werden will. Geld, das sich vermehren soll.

Die Einnahmen der Turner-Alpen-Kränzchen lagen fest bei der Bank. Jetzt denkt Günter Lang um. (Foto: oh)

Günter Lang hat das Haushalten schon als Kind gelernt. Er trug Zeitungen aus, er sammelte Tennisbälle ein, er fuhr Einkaufswägen zurück. Die paar Mark, die er hierfür bekam, sparte er. Bei der Bank bekam Lang Zinsen, nicht viel, aber irgendwann reichte es, um sich eine Musikanlage kaufen zu können. Da war er 15. Und interessierte sich mehr für die Dire Straits und Wolfgang Ambros als dafür, sich an Seilen einen Fels hinab zu hangeln oder mit Eispickeln Gletscher hoch zu kraxeln. Erst Mitte 30, die Knie waren vom Squash lädiert, die Ellenbogen vom Badminton geschunden, zog es ihn raus in die Berge. Und zu den Turner-Alpen-Kränzchen. Jetzt ist er 50. Und Zinsrechnung ist wieder ein Thema.

Die Einnahmen der Turner-Alpen-Kränzchen hatten Lang und der Schatzmeister lange Zeit auf einem Tagesgeldkonto bei einer Bank angelegt. Sie ließen sich beraten, sie verglichen die anfallenden Gebühren. Sie eröffneten Konten, sie schlossen sie wieder. Sie wollten schließlich dafür belohnt werden, dass sie das Geld eben nicht sofort wieder ausgeben. Tatsächlich lag ihr Zinsertrag 2007 bei 14 000 Euro. 2015 waren es nur noch 40 Euro. Menschen, die ihr Erspartes längerfristig anlegen wollen und das nicht bei einer Bank, können ausweichen. Sie können Gold kaufen oder in ein Apartment in der Münchner Innenstadt investieren. Auch Anlagen, die Risiken bergen, sind eine Option. Für einen gemeinnützigen Verein wie die Turner-Alpen-Kränzchen gilt das eben nicht. Was also tun?

"Wir investieren", sagt Lang. Gerade jetzt sei eine gute Zeit, um das Geld zu nutzen - und an Bedarf mangele es ohnehin nie.

Die Mitglieder der Turner-Alpen-Kränzchen haben also das Rotwandhaus in den Bayerischen Voralpen renoviert, besserer Brandschutz, neue Toiletten, die Küchengeräte sind jetzt alle aus Edelstahl. 2,7 Millionen Euro hat der Umbau gekostet. Ihr nächstes Projekt ist die Gruttenhütte auf der Südseite des Wilden Kaisers. Lang zeigt ein Foto, schneebedeckte Berge, im Vordergrund drei Häuser. Eines davon hat eine Lawine weggeschoben, zwei sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Die Männer und Frauen werden helfen, die Wände einzureißen, neu hochzuziehen und zu malern. Der Umbau soll 1,6 Millionen Euro kosten. "Für uns ist das letztlich auch eine Form der Geldanlage", sagt Lang, "vielleicht sogar die sinnvollste." Denn nur wenn die Hütten intakt sind, kann der Verein sie für Wandertouren nutzen. Und nur dann kommt er an Geld, weil er für Übernachtungen etwas berechnen kann.

Der Dachverband des DAV bezuschusst solche Aktionen zwar in Form von Darlehen, dennoch dürfte das Ersparte des Vereins nach dem Umbau der Gruttenhütte fast aufgebraucht sein. Und dann? Lang schaut zu seinem Schatzmeister, der lacht. "Wenn wir wieder eine nennenswerte Summe zusammen haben, suchen wir das Gespräch mit den Banken", sagt er. Bis dahin wird weiter renoviert.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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