Landwirtschaft und Ethik:Wenn Hühner zu Kannibalen werden

Hühnerzucht galt lange als Tierquälerei - dann kam der Freiland-Boom. Besuch bei einem Bauern, der den Spagat zwischen Tierschutz und Profitstreben versucht.

K. Fischer

"Wir betreiben hier Freilandhaltung in ganz großem Stil", sagt Gerhard Aigner und öffnet eine weißgetünchte Sperrholzklappe. Der Blick wird frei in eine 4500 Quadratmeter große Halle, in der sich die rund 50.000 Hühner auf ihren Stangen zu stapeln scheinen.

Landwirtschaft und Ethik: Nur im Sommer verlockend: Viele Hühner scheuen bei niedrigen Temperaturen den Gang ins Freie.

Nur im Sommer verlockend: Viele Hühner scheuen bei niedrigen Temperaturen den Gang ins Freie.

(Foto: Foto: ap)

Freilandhaltung stellt sich der Laie anders vor. "Viele Hühner wollen gar nicht nach draußen", sagt Aigner und deutet auf die Außenwand der riesigen Halle: An zwei Seiten sind jeweils fünfzig Luken geöffnet, heraus traut sich kein einziges Huhn. Sicher, bei spätwinterlichen drei Grad und leichtem Schneefall ist es auch nicht unbedingt gemütlich hier im niederbayerischen Thanning. Dennoch: Selbst im Sommer verlässt höchstens die Hälfte der Legehennen den stickigen Stall. Auch wenn die Hühner dort dichtgedrängt auf ihren gesetzlich garantierten fünfzehn Zentimeter Holzstange sitzen, viele ziehen das der frischen Landluft vor. "Es gibt eben Stubenhocker und Abenteurer - auch bei den Hühnern", sagt Aigner schmunzelnd. "Solange sie ihre Eier legen, ist mir das gleich."

Unter Wissenschaftlern gilt Freilandzucht als die artgerechteste Form der Hühnerhaltung. "Es kommt dem natürlichen Lebensumfeld der Tiere am nächsten", erläutert Frigga Wirths, Fachbeauftragte vom deutschen Tierschutzbund. Mit seinen insgesamt 150.000 Freilandhühnern beweist Gerhard Aigner somit eindrucksvoll, dass ethisches Wirtschaften kein Zuschussgeschäft sein muss. Die Hühner legen jeweils 280 Eier im Jahr, insgesamt kommt Aigner somit auf rund 42 Millionen Freilandeier im Jahr. Damit macht er jährlich einen Umsatz von 3,9 Millionen Euro.

Vom Nischenmarkt zum Boomsektor

"Die Gewinnspanne bei Freilandeiern ist inzwischen fast so hoch wie bei Käfigeiern", bestätigt Michael Lohse vom deutschen Bauernverband die Rentabilität der Freilandhaltung. Dennoch: "Die zusätzlichen Investitionskosten für Impfungen und die Freilandfläche erfordern ein gewisses Maß an Idealismus." Das könnte sich bald ändern: Ab 2009 ist die Käfighaltung in Deutschland verboten. "Von da an wird es nur noch Kleinvolieren geben." Die bieten den Tieren mehr Platz und sind mit kleinen Annehmlichkeiten wie einer Sitzstange ausgerüstet. Lohse sagt daher: " Die Bauern werden also in jedem Fall investieren müssen."

Das tat Gerhard Aigner bereits vor gut neun Jahren. Da hat er seinen Betrieb komplett auf Freilandhaltung umgestellt. In drei Freigehegen hält er gut 150.000 Legehennen, alles läuft streng nach gesetzlichen Kriterien ab. "Meine Eltern haben in den fünfziger Jahren mit der Käfighaltung begonnen, ich habe mich nie besonders wohl gefühlt dabei."

Noch vor rund zwanzig Jahren gab es jedoch keinen Markt für alternative Haltungsformen. Da begann Aigner bereits mit der Bodenhaltung, jedoch in sehr kleinem Rahmen. "Sonst wäre ich heute wirtschaftlich ruiniert", meint er. Denn erst seit einigen Jahren entwickelt sich die Freilandhaltung vom Nischenmarkt zum Boomsektor in der Geflügelindustrie. Wurden 1998 noch rund 90 Prozent aller Legehennen in Käfigen gehalten, sind es heute noch knapp 68 Prozent. Der Anteil der in Freilandhaltung oder auf Ökobetrieben lebenden Legehennen vervierfachte sich von 3,7 auf 15 Prozent.

Wenn Hühner zu Kannibalen werden

Aigners größter Abnehmer ist die Fast-Food-Kette McDonalds. "Seitdem man dort komplett auf Freilandhaltung setzt, habe auch ich meinen Betrieb umgestellt." Aigner ist also bei Leibe kein überzeugter Öko, sondern in erste Linie Geschäftsmann. Er räumt ein: "Würden die Kunden plötzlich keine Freilandeier mehr kaufen, würde auch ich wieder auf Käfighaltung umsteigen - sonst müsste ich dicht machen."

Landwirtschaft und Ethik: Glücklicher Bauer: Für Gerhard Aigner lohnt sich die Freilandhaltung.

Glücklicher Bauer: Für Gerhard Aigner lohnt sich die Freilandhaltung.

(Foto: Foto: jkf)

Inzwischen hat die Branche ihre Kinderkrankheiten überwunden, die der massenweisen Freilandhaltung anfangs viel Kritik einbrachten. "Bis vor wenigen Jahren war das Problem des Hühnerkannibalismus noch weit verbreitet", berichtet Aigner, der angibt, dass es auf seinem Hof seit nunmehr sieben Jahren keinen solchen Fall mehr gegeben habe.

Zu Hühnerkannibalismus kommt es vor allem bei der Bodenhaltung. Wenn Hühner dort ihre Eier nicht im Schutz von abgedunkelten Nestern legen können, müssen sie sich direkt nach dem Legen wieder unter ihren Artgenossen tummeln. "Die Kloake der Tiere ist dann noch ausgestülpt und zieht mit ihrem roten Glanz die Aufmerksamkeit anderer Tiere auf sich", beschreibt Aigner den Auftakt zu einem blutrünstigen Schauspiel. Andere Hühner picken dann auf die Henne ein. Sobald der erste Tropfen Blut erscheint, geraten die Tiere in einen wahren Blutrausch. "Als uns das zuletzt passiert ist, sind rund 30 Prozent der Tiere im Stall verendet", errinert sich Aigner an die Bilanz des unvorhersehbaren Massakers.

Verhaltensstörungen durch Käfighaltung

Dass er inzwischen keine Probleme mehr mit dieser brutalen Reaktion hat, liegt an den Erkenntnissen der Züchtung. So konnte das Verhalten weitestgehend mit Störungen erklärt werden, die sich aus der Aufzucht in engen Käfigen ergaben. "Dort ist das Phänomen jedoch nicht aufgefallen", erklärt Aigner. Denn wo in keinem Käfig mehr als fünf Hühner zusammenleben - da kann der Blutrausch nicht mehr als vier Todesopfer fordern. Durch artgerechte Aufzucht kann das Problem inzwischen vermieden werden.

Ob Freilandhaltung nach den Kriterien des Artenschutzes erfolgt, hängt aus der Sicht Aigners nicht von der Anzahl der gemeinsam gehaltenen Hühner ab. "Grundsätzlich gibt es keine Obergrenze für die Herdengröße, von der an die Lebensqualität der Tiere abnehmen würde", glaubt er, "das Herdenverhalten ist bei 100 Tieren dasselbe wie bei 100.000."

Ganz so einfach ist das nicht, meint Frigga Wirths. "Je größer die Gruppe ist, desto weniger Tiere nutzen das Freigehege." In Kleingruppen von maximal 100 Tieren würden bis zu 90 Prozent der Tiere den Stall verlassen. "Außerdem kennen sich die Tiere dann untereinander." Das hieße für Aigner, dass er statt drei Ställen 150 aufstellen müsste. Wirths räumt ein: "Wirtschaftlich betriebene Freilandhaltung kann dieses Ziel nur schwer erfüllen." Sie findet dennoch, dass die Freilandhaltung anderen Haltungsformen unter dem Aspekt des Tierschutzes in jedem Fall vorzuziehen ist. Das meint auch Aigner. Er sagt: "Ich vertrete mit meiner Arbeit auch einen ethischen Anspruch. Wer Eier wirtschaftlich produzieren will, muss aber akzeptieren, dass Hühner Nutztiere sind."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: