Landwirtschaft im Umbruch:Der Preis der Kühe

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Die Landwirtschaft muss sich wandeln - doch die Politik verteilt nur absurde Geschenke. Es fehlen die schlüssigen Konzepte.

Silvia Liebrich

In Brüssel fliegen Steine, in Berlin blockieren Hunderte Traktoren die Straßen. Die Wut der Milchbauern alarmiert inzwischen die Spitzen der Politik, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Hektisch wird in den Hauptstädten versucht, den Aufstand der Bauern einzudämmen - notfalls durch politische motivierte Geschenke.

Die europäische Landwirtschaft befindet sich am Anfang eines gewaltigen Veränderungsprozesses. Niemand kann sagen, wohin er führen wird. Doch es gibt auch viele Chancen. (Foto: Foto: dpa)

Heraus kommen dabei oft absurde Schnellschüsse. So hat die Bundesregierung am Dienstag beschlossen, die Steuer auf den sogenannten Agrardiesel zu senken. Solch ein Steuerpräsent reicht allenfalls, um einzelne Folgeerscheinungen einer schweren Krankheit zu lindern, die längst nicht nur die Milchwirtschaft befallen hat, sondern die gesamte Landwirtschaft.

Denn die europäische Agrarlandschaft befindet sich am Anfang eines gewaltigen Veränderungsprozesses. Niemand kann auch nur annähernd sagen, wohin er führen wird - geschweige denn, wohin er führen soll. Genau hier liegt das Problem. Es ist seit Jahren beschlossene Sache, dass die Landwirtschaft nicht mehr ewig mit Steuergeldern subventioniert werden soll.

Milliarden aus EU-Töpfen

Doch was kommt danach? Für die Agrarerzeuger ist dies eine existentielle Frage. Die Bauern brauchen Planungssicherheit, um die Weichen für die Zukunft zu stellen und über mögliche Investitionen zu entscheiden. Eine wegweisende Antwort bleiben die Entscheidungsträger in Brüssel, Berlin und in anderen Hauptstädten Europas jedoch bislang schuldig.

Seit Jahrzehnten können sich Bauern auf Hilfen aus EU-Töpfen verlassen, auf Transferleistungen, die jedes Jahr in die Milliarden gehen und von allen europäischer Steuerzahlern gemeinsam finanziert werden. Als unbestritten gilt, dass dieses komplizierte und undurchsichtige System an Mengenregulierungen und Ausgleichszahlungen mehr Probleme geschaffen als gelöst hat.

Bestes Beispiel dafür ist, dass weit mehr Milch als notwendig produziert wird. Es ist daher nur logisch und konsequent, die Subventionen abzuschaffen. Doch zu glauben, dass es damit allein getan wäre, ist naiv. Das dürfte selbst jenen Agrarpolitiker so langsam dämmern, die glauben, dass der freie Markt es schon richten wird. Sie behaupten, das Prinzip von Angebot und Nachfrage lasse sich ohne weiteres auch in der Landwirtschaft einführen - und dies werde die Preise drücken.

Natürlich wäre dies denkbar. Denn wer möchte nicht seine Milch, sein Brot, seine Joghurt so billig wie möglich einkaufen. Trotzdem ist es falsch, den Wert von einem Pfund Butter nur am Ladenpreis zu bemessen. Die Landwirtschaft, wie die Bundesbürger sie heute kennen, prägt die deutsche Kulturlandschaft, deren ökologisches Gleichgewicht, ja sogar unsere Gesellschaft. All diese Faktoren sind Teil eines Leistungspakets, das die Landwirtschaft erbringt und zu der jeder einzelne Bauer beiträgt. Das Entgelt für einen Liter Milch deckt davon allenfalls einen Bruchteil ab.

Die Milchbauern sind die Ersten

Doch welchen Preis sind die Verbraucher bereit, für Nahrung und Landwirtschaft zu zahlen? Während die Diskussion darüber noch nicht einmal richtig begonnen hat, ist der schmerzhafte Strukturwandel, der mit dem Kurswechsel der EU-Agrarpolitik verbunden ist, bereits in vollem Gange. Die Ersten, die er mit voller Wucht erfasst, sind die Milchbauern. Auch andere Zweige der Landwirtschaft werden nach und nach unter einen existenzbedrohenden Kostendruck geraten. All dies ist eine Folge einer jahrzehntelang gehegten Überproduktion. Dabei werden schon bald mehr Lebensmittel benötigt, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen.

Es geht also für viele Betriebe im wesentlichen darum, den Strukturwandel der nächsten Jahre zu überstehen. Was fehlt, sind schlüssige Konzepte, die den Strukturwandel in der Landwirtschaft abmildern und in neue, erfolgversprechende Bahnen lenkt. Ihre Notwendigkeit wurde jedoch in Brüssel dramatisch unterschätzt. Noch ist es nicht zu spät, Erst-Hilfe-Pakete zu schnüren, die diesen Namen auch wirklich verdienen. Lohnend wäre es allemal. Denn die Zukunftsaussichten für die deutsche Landwirtschaft sind besser als die manch anderer Wirtschaftszweige hierzulande.

© SZ vom 27.05.2009/lauc/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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