Landwirtschaft im Labor:Wo die Erdbeeren ohne Sonne wachsen

Osram

Pflanzen, die noch nie die Sonne gesehen haben: Mit spezieller LED-Technik kann man auch in Hallen Gemüse und Kräuter anbauen und sogar deren Geschmack und Farbe verändern.

(Foto: oH)
  • Landwirtschaft und Gartenbau unter Laborbedingungen und in geschlossenen Räumen könnten Osrams Zukunft sein.
  • Grund dafür sind Monokulturen, überdüngten Felder und ausgelaugte Böden.
  • Die Lösung könnten Osrams LED-Lichter sein, die über Basilikum, Rosmarin und Thymian leuchten. Dadurch wären ganzjährige Ernten möglich.

Von Christoph Gurk

Die Zukunft von Osram beginnt hinter einem schmalen Gang mit grellweißen Lichtern. Er liegt im ersten Stock der Firmenzentrale im Norden von München. Im Foyer flimmern Börsenkurse über einen Flachbildschirm, Drehkreuz, Aufzug, Sicherheitsschleuse, dann steht man im firmeneigenen Museum. Glühbirnen in allen Formen und Größen sind hier ausgestellt, Licht für Wohnzimmer und Autos, für Kinoprojektoren und Stadien, 112 Jahre Unternehmensgeschichte, in denen Osram zu einem Weltkonzern aufstieg, am Ende aber auch in eine tiefe Krise taumelte.

In den hintersten Vitrinen sind die Schuldigen ausgestellt, LED-Leuchten, kleiner, haltbarer, energieeffizienter und leichter herzustellen als herkömmliche Glühbirnen. Neue Anbieter sind so in den Markt gedrängt, die EU hat mit ihrem Verbot für alte Glühbirnen die Lage noch verschärft. Seit Jahresanfang hat die Aktie weit mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren. Jobs wurden gestrichen, Geschäftsbereiche verkauft, darunter auch das traditionelle Lampengeschäft.

Wer wissen will, wie es weitergeht nach dieser Krise muss geradeaus gehen, durch den Gang mit den weißen Lichtern, zu dem Raum, in dem Osram das ausstellt, was es für seine Zukunft hält: Vernetzung, Sicherheit, Mobilität, Gesundheit. Lichter und Glühbirnen sieht man hier nicht mehr, stattdessen Infrarotchips für autonome Autos, Scanner für Gesichter und Netzhäute und auch Topfpflanzen: Rosmarin, Basilikum, Thymian in Blumenkübeln, ordentlich aufgereiht auf einem Podest und beleuchtet nur von bunten LED-Lichtern. "Die haben noch nie die Sonne gesehen", sagt Timo Bongartz und strahlt ein 150-Watt-Lächeln.

Die Lösung aller Probleme: die kleinen LED-Lichter

33 Jahre alt ist Bongartz. Früher hat er einem Verlag bei der Digitalisierung geholfen, nun kümmert er sich bei Osram um den Bereich Smart Farming und Horticultural Lighting, Landwirtschaft und Gartenbau also, nur digitaler und in geschlossenen Räumen. Lebensmittel, hergestellt unter Laborbedingungen. Das, so hofft man bei Osram, könnte auch die Zukunft des Unternehmens sein, vielleicht sogar ein Baustein zur Rettung der Welt. "Das landwirtschaftliche System, so wie wir es derzeit haben, ist kaputt", sagt Bongartz und erzählt von den gigantischen Mengen an Wasser, Treibstoff und Pestiziden, die in der herkömmlichen Agrarindustrie eingesetzt werden. Von Monokulturen, überdüngten Feldern, ausgelaugten Böden und Nahrungsmitteln, die in Plastik eingepackt und durch die halbe Welt verschifft werden, bevor sie bei uns im Supermarktregal landen. "Das ist weder frisch noch ökologisch", sagt Bongartz.

Die Lösung zu all den Problemen sollen die kleinen bunten LED-Lichter sein, die da über Basilikum, Rosmarin und Thymian leuchten. Sie versorgen die Pflanzen mit rotem und blauem Licht, Wellenlängen also, die sie optimal wachsen lassen. Im Ausstellungsraum bei Osram sind es nur ein paar Küchenkräuter, denkt man das aber größer, landet man bei gigantischen Indoor-Farmen, Felder in riesigen Hallen, getaucht in blau-rotes Licht, mit Regalen bis zur Decke, in denen die Nahrung der Zukunft wächst. Ganzjährige Ernten wären möglich und selbst tropische Pflanzen könnten im großen Maßstab regional angebaut werden. Lange seien Pflanzen mit Züchtung und Gentechnik auf ihre Umgebung angepasst worden. "Jetzt geht das andersherum", sagt Bongartz: "Wir können die Umgebung auf die Pflanzen anpassen."

All das wäre gut für die Umwelt: Mit intelligenten Kreisläufen könnte man Wasser sparen und statt Regenwälder abzuholzen für neues Ackerland, würde man einfach alte Fabriketagen in blühende Landschaften verwandeln. Es wäre auch gut für Produzenten und Konsumenten: Unwetter könnten der Ernte nichts anhaben, man könnte Pflanzen passgenau wachsen lassen und sogar ihren Geschmack und Vitamingehalt verändern, ein bisschen mehr Licht von dieser oder jener Wellenlänge, und schon werden die Erdbeeren süßer, das Basilikum herber, der Salat noch gesünder. Und, natürlich, wäre das auch gut für Osram: Ein angeschlagener Ex-Glühbirnen-Konzern, der hilft, die weltweite Ernährungsfrage zu lösen und dabei noch Geld verdient: was für eine Geschichte.

"Plantcubes" so groß wie ein Kühlschrank

Über 80 Millionen Euro hat Osram bisher in Gewächshausbeleuchtung investiert. In Klimakammern lässt die Firma an Lampen und Pflanzen forschen, fast 200 Mitarbeiter arbeiten heute in dem Bereich, Ingenieure genauso wie Biologen. Über seinen Wagniskapitalgeber Fluxunit hat Osram in Start-ups wie Agrilution investiert, eine Münchner Firma, die Mini-Gewächshäuser entwickelt. Einer dieser sogenannten "Plantcubes" steht auch bei Osram, groß wie ein Kühlschrank. Hinter einer Glastür wachsen auf zwei Ebenen Schnittlauchsprossen und Basilikum unter violettem Licht.

Agrilution verkauft nicht die Plantcubes, sondern auch Pflanzmatten mit Saatgut und einem Chip, der Daten versendet. Legt man die Matte in sein Zimmergewächshaus, erkennt der Plantcube, was da wachsen soll und passt Temperatur, Wasserzufuhr und Licht optimal an. "Das ist das Nespresso-Prinzip, nur nachhaltiger", sagt Bongartz.

112 Jahre

... ist es her, dass beim Kaiserlichen Patentamt die Wortmarke Osram geschützt wurde. Schnell stieg der Leuchtmittelhersteller zum Weltkonzern auf, Ende der 70er-Jahre wurde er zur Tochter von Siemens und hatte bald mit wachsender Konkurrenz und später den Folgen der LED-Technik zu kämpfen. 2013 trennte sich Siemens von der angeschlagenen Firma, drei Jahre später stieß Osram selbst das Geschäft mit Privatkunden ab, die Glühbirne verschwand aus dem Logo. Osram konzentriert sich heute vor allem auf Hightech-Anwendungen und Speziallampen.

Der Plantcube ist am Ende vermutlich kaum mehr, als ein Lifestyleprodukt für Großstädter, denen es knapp 3000 Euro wert ist, ihren Schnittlauch unter künstlicher Beleuchtung statt auf der Fensterbank zu ziehen. Mit ihm kann Osram allerdings gut verdeutlichen, wo es ein paar Nummern größer hingehen könnte. Restaurants, die ihre Salate selbst anbauen, Supermärkte, in denen frische Kräuter wachsen, vertikale Bauernhöfe in Fabrikhallen, die Nahrung für die breite Masse produzieren. Osram würde für all diese Visionen gern die Lampen liefern, am Ende aber auch komplette Anbausysteme, mit Sensoren und Wachstumsrezepten. Noch ist der Umsatz der Sparte im mittleren zweistelligen Millionenbereich, mittelfristig soll der aber schon bald auf einen dreistelligen Millionenbetrag wachsen.

Hoffen auf den grünen Boom

Tatsächlich hoffen auch andere Unternehmen in der Branche auf einen grünen Boom. Vertikale Bauernhöfe sammeln Millionen von Wagniskapitalgebern ein, und 2017 investierten der Softbank-Vision-Fund und Jeff Bezos 200 Millionen Dollar in das Smart-Farming-Start-up Plenty. Analysten rechnen damit, dass der Markt für Pflanzen-LEDs spätestens 2020 die Milliarden-Dollar-Marke überschritten hat, in den nächsten zehn Jahren soll er sich dann noch mal fast vervierfachen, auf dann 3,7 Milliarden Dollar.

Allerdings, und das ist die Schattenseite, gibt es auch schon erste Pleiten: 2017 musste der vertikale Bauernhof FarmedHere dichtmachen, einst der größte der USA. Und auch andere smarte Farmen kämpfen, vor allem mit den Kosten für Löhne, Technik und Energie. Anders als die Sonne ist der Strom für die Lampen nicht umsonst, zudem muss er erst mal produziert werden, im besten Fall in Solarfarmen oder Windkraftanlagen, im schlimmsten Fall aber wird Kohle verstromt, um so Tomaten zum Wachsen zu bringen. Ökologisch ist das nicht, dazu sind die Produkte der bisherigen Anbieter teilweise auch noch dreimal so teuer wie herkömmlich angebaute.

Ob sich vertikale Bauernhöfe und Felder in Fabrikhallen mit LED-Beleuchtung also wirklich durchsetzen, ist fraglich. Und selbst wenn, würden sie am Ende nur einen verschwindend geringen Teil der traditionellen Landwirtschaft ersetzen. Denn letztlich lohnt sich der Anbau unter künstlichem Licht nur für Früchte und Gemüse, die frisch verkauft werden. Sie machen aber nur fünf Prozent der weltweiten Landwirtschaft aus. Während man also Erdbeeren, Dill und Tomaten mit viel Technik in Hallen anbauen würde, wüchsen Reis, Mais, Weizen und Soja auch weiterhin in gigantischen Monokulturen, mit viel Dünger, Pestiziden, Wasser und Treibstoffeinsatz. "Horticulture Lighting und Smart Farming ist noch eine kleine Pflanze, sie wird aber schnell wachsen", glaubt Osram-Mann Timo Bongartz. Doch auch er weiß: "Wir müssen schauen, dass die Erwartungshaltung hier realistisch bleibt."

Kaum eine Pflanze reagiert so stark auf Licht wie Cannabis

Eine große Hoffnung aber gibt es noch: Cannabis. Immer mehr US-Bundesstaaten legalisieren Marihuana, für medizinische Zwecke, längst aber auch für den Feierabend-Kiffer. Das hat einen grünen Boom ausgelöst, bei Züchtern, Händlern, Pharmaunternehmen und auch bei Leuchtenherstellern. Denn kaum eine Pflanze reagiert so stark auf Licht wie Cannabis (Hanf), aus dessen weiblicher Pflanze Marihuana und Haschich hergestellt werden. Hobbyzüchter wissen das, genauso wie auch die Pharmaindustrie, die für ihre Produkte möglichst gleichbleibende Rohstoffqualität braucht. Ein Milliardenmarkt, an dem auch Osram mitverdienen möchte.

Statt Basilikum, Thymian oder Rosmarin könnten also bald stattliche Hanfpflanzen unter den bunten LEDs wachsen, wie sie in der Osram-Firmenzentrale stehen. Erlaubt wäre das in Deutschland noch nicht. Wer wissen will, wie schnell sich solche Gesetzeslagen aber ändern, der braucht nur nach Kanada zu schauen: Als erste große Volkswirtschaft der Welt hat das Land diese Woche den Konsum von Cannabis komplett legalisiert.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Marihuana fälschlicherweise als Pflanze beschrieben. Richtig ist jedoch, dass Marihuana genau wie Haschisch ein Produkt der Hanfpflanze (Cannabis) ist.

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