Landtagswahlen in Ostdeutschland:Schnelle Autos, lahme Wirtschaft

EU-Agrarreform - Rapsfeld

Sachsens Ministerpräsident Tillich lobt Innovationen des Landes, zum Beispiel schnelle Autos. Doch das Wirtschaftswachstum stagniert.

(Foto: dpa)

Sachsen gilt als "Silicon Saxony", Brandenburgs Arbeitslosigkeit schrumpft, Thüringen rühmt sich als "grün". Die Wahlländer im Osten erleben einen Aufschwung und hinken doch den alten Bundesländern hinterher.

Von Steffen Uhlmann, Berlin

"Die Sachsen bauen die schnellsten Autos, fertigen die luxuriösesten Uhren und haben die kreativsten Köpfe", sagt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) stolz. "Wir haben eine topaufgestellte Wirtschaft und blühende Landschaften", freut sich Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Und Dietmar Woidke, ihr sozialdemokratischer Ministerpräsident-Kollege aus Brandenburg, findet: "Wir sind ein optimistisches und selbstbewusstes Land." Es ist Wahlzeit, fast gebetmühlenartig bringen die drei Länderchefs seit Wochen ihre frohen Botschaften unters Volk. Nur stimmen sie auch?

"Sachsen ist eine Erfolgsgeschichte"

Stanislaw Tillich, so scheint es, muss niemanden und nichts fürchten: Die Arbeitslosigkeit mit 8,5 Prozent auf dem tiefsten Stand seit der Neugründung des Landes. Jedes zehnte in Deutschland produzierte Auto kommt aus dem Freistaat, jeder zweite in Europa hergestellte Chip aus "Silicon Saxony". Die Region Dresden ist damit Europas größter Mikroelektronik-Cluster. Bei Investitionen in Forschung- und Entwicklung ist Sachsen bundesweit Spitzenreiter, bei der Bildung sowieso - Sachsen liegt beim bundesweiten Bildungsmonitor Pisa auf Platz eins. Und sie sind Sparfüchse: Der Freistaat hat die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer. Neue Schulden sind tabu, Altschulden werden getilgt.

Niemand muckt wirklich auf im Lande, selbst die politischen Kontrahenten bleiben seltsam blass. Ein bisschen Ärger machen sie nur, wenn es um die Einstellung von Lehrern, Kita-Kräften oder Polizisten geht. Der sächsische Wahlkampf ist fast geräuschlos durch die Sommerferien geschlichen. Mit ein bisschen Glück können Tillich und seine Christdemokraten ab nächster Woche allein regieren. Denn "Sachsen ist eine Erfolgsgeschichte", wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Tillichs oberste Wahlkampfhelferin, in Grimma bei Leipzig verkündet.

Auch das "Erfolgsland" tritt auf der Stelle

Was Merkel nicht sagt: Sachsens Wirtschaftswachstum stagniert. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag laut statistischem Landesamt bei einem kläglichen Plus von 0,3 Prozent (preisbereinigt) und damit unter dem Durchschnitt aller anderen ostdeutschen Länder. War Sachsen noch vor Jahren der unumschränkte wirtschaftliche Antreiber im Osten, geben mittlerweile andere das Tempo an. Die Sachsen belegen in Sachen BIP-Wachstum nach Berlin, Brandenburg und Thüringen und knapp vor Mecklenburg-Vorpommern nur noch Platz vier. Und das nun schon seit 2005. Stocktrockene Statistiken sicherlich, die aber belegen, das auch das "Erfolgsland " mehr oder weniger auf der Stelle tritt und mit dem Wirtschaftswachstum in den alten Ländern nicht Schritt hält. Bilanzen und Prognosen dazu sind düster. Von einer Angleichung an den Westen könne schon seit Mitte der Neunzigerjahre kaum noch die Rede sein, sagt Dresdens Konjunkturexperte Robert Lehmann vom Ifo-Institut.

Sachsen drücken dieselben Probleme wie alle anderen ostdeutschen Länder. Hier industrielle Leuchttürme wie Dresdens Mikroelektronik, dort abgehängte Regionen wie die Oberlausitz. Zwar ist die Abwanderung weitgehend gestoppt, dafür wächst die Vergreisung, weil es viel zu wenig Geburten gibt. Fachkräfte fehlen schon, Gründungen sind eher selten. Die ostdeutschen Strukturprobleme sind auch in Sachsen nicht getilgt. Es fehlen international tätige Großunternehmen mit ihren Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Die Sachsen müssen sich auf ihre Mittel- und Kleinbetriebe verlassen. Die wirtschaften zwar zumeist solide, können aber keine vergleichbare Arbeitsproduktivität, Exportquote oder Forschungstätigkeit wie ihre Konkurrenten im Westen erreichen. Was bleibt ist Tillichs Versprechen. Wenn es nach dem alten und voraussichtlich neuen Ministerpräsidenten geht, dann wird Sachsen soll in den nächsten Jahren zu den fünf innovativsten Regionen Europas zählen. Eine Jahreszahl dazu hat er vorsorglich nicht genannt.

In Brandenburg wächst die Wirtschaft. Die Armut auch

"Brandenburg für alle - wir wollen wirtschaftliche Erfolge und soziale Gerechtigkeit auf produktive Weise miteinander verbinden." Dietmar Woidke (SPD) hat diesen Satz von Matthias Platzeck geerbt, von dem er erst im Sommer 2013 das Ministerpräsidentenamt übernommen hat. Der Neue in der Potsdamer Staatskanzlei kann damit gut leben. Denn die Zahlen, die er bei seinen Wahlkampffahrten durch das "wunderschöne Land" (Woidke) allerorts präsentiert, können sich durchaus sehen lassen: Die Arbeitslosenquote, die bei Antritt der rot-roten Regierungskoalition 2009 noch bei über zwölf Prozent gelegen hatte, liegt jetzt bei zehn Prozent. Gestiegen sind dagegen die Bruttolöhne - um mehr als acht Prozent.

Auch hat Rot-Rot im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen gelernt, mit Geld umzugehen. Neue Kredite werden seit 2011 nicht mehr aufgenommen. 2013 wurden erstmalig Schulden getilgt . Und das Wirtschaftswachstum setzt sich, wenn auch bescheiden, fort. Das reale Plus von 0,7 Prozent im vergangenen Jahr reichte aber immerhin, Brandenburg auf Platz eins unter die ostdeutschen Flächenländer zu hieven. Vergessen sind die Pleiten, die Brandenburgs Regierende in den Neunzigerjahren eingefahren haben. Ob Cargolifter-Luftschiffbau, Chipfabrik in Frankfurt/Oder, Lausitzring oder Chemie-Großstandort Premnitz, niemand spricht mehr davon, weil an allen Orten mehr oder weniger erfolgreich weitergemacht wurde. Selbst das Fiasko um den Bau des Hauptstadtflughafens, das den Miteigentümer Brandenburg Millionen um Millionen kostet, kann Woidke im Wahlkampf nicht viel anhaben. Er sitzt ja nicht wie sein Vorgänger Platzeck im Aufsichtsrat.

Offene Baustellen gibt es aber zur Genüge. Die Regierung sieht ihr Land als Hort der alternativen Energien und kann sich dennoch nicht konsequent von der Braunkohle lossagen. Der mit vielen Millionen aus der Landeskasse vorangetriebene Plan, aus Frankfurt/Oder einen Cluster der Solarindustrie zu machen, ist ebenfalls kläglich gescheitert. Auch gibt man nicht gern zu, dass Brandenburgs wirtschaftlicher und sozialer Aufschwung vornehmlich von seinem Berliner Speckgürtel getragen wird. Doch je weiter man sich von ihm entfernt, desto schwächer werden Industrie, Dienstleistungsgewerbe und medizinische Versorgung, desto mehr wachsen Arbeitslosigkeit und Armut unter den Brandenburgern. Das Armutsrisiko ist laut Sozialreport 2014 in den vergangenen sechs Jahren um ein Prozent auf jetzt 18 Prozent gestiegen. So sieht denn auch jeder fünfte Brandenburger, laut Report, die deutsche Einheit heute eher als Verlust an.

Thüringens Arbeitslosigkeit schrumpft. Doch das Land vergreist

Schon sechsmal hat die CDU die Regierung im Freistaat Thüringen angeführt. Doch diesmal könnte nach der Wahl mit Bodo Ramelow ein Politiker der Linken als Ministerpräsident in die Erfurter Staatskanzlei einziehen - selbst für den linksparteiaffinen Osten ein politisches Erdbeben. "Schuld" daran wäre Christine Lieberknecht, die erste und bisher einzige weibliche Regierungschefin im Osten. 2009 hat sie von ihrem glücklosen Vorgänger Dieter Althaus die Geschäfte übernommen und damals versprochen, einen anderen Politikstil einzuführen, um "Verrostetes und Verkrustetes" aufzubrechen, damit Thüringen schneller vorankommt. Ob ihr das zusammen mit den in der Regierung sitzenden Sozialdemokraten gelungen ist, darüber scheiden sich die Geister. Lieberknecht lässt sich davon nicht beirren. "Wir haben gemeinsam 90 Prozent der Vorhaben abgearbeitet", sagt sie.

Doch auch hier steckt der Teufel im Detail. Die Arbeitslosigkeit etwa ist mit einer Quote von 7,5 Prozent die mit Abstand niedrigste im Osten. Geholfen dabei aber hat die Nähe zum Westen. Fast 130 000 Thüringer pendeln Woche für Woche in die alten Bundesländer - der Verdienst liegt in den Nachbarländern Hessen und Bayern um ein Drittel höher. Die Auspendler aber würden daheim gebraucht. Am Ende der nächsten Legislaturperiode, so jüngste Prognosen, werden der Wirtschaft 200 000 Facharbeiter und Hochschulabsolventen fehlen. Und in den nächsten Jahren schlägt der demografische Wandel in dem nur noch knapp 2,2 Millionen Einwohner zählenden Land weiter durch. Thüringen ist trauriger Vorreiter in Sachen Bevölkerungsschwund. Dem Land gehen die Leute aus, ganze Regionen drohen zu verwaisen.

Kommunen sind trotz Millionenüberschuss pleite

Zugute hält sich Lieberknecht auch, dass die Trendwende bei den Landesfinanzen vollzogen wurde. "Wir machen keine Schulden mehr" sagt sie stolz. "Wir tilgen sogar welche." Stimmt, 2013 wurden knapp 300 Millionen der fast 16 Milliarden Euro Landesschulden abgetragen. Doch für die Frankfurter Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) ist dies längst nicht genug.

Unzufrieden sind auch andere. Trotz Millionenüberschuss beim Land sind viele Thüringer Kommunen und Gemeinden pleite - siehe Gera, wo nach der Insolvenz von Stadtwerken und Verkehrsbetrieben ein für Deutschland einmaliges finanzielles Elend ausgebrochen ist. Andere fordern eine gerechtere Beteiligung an den Steuermehreinnahmen. Mehr Geld also, das auch für eine solide Finanzierung der Kultureinrichtungen benötigt wird, die in ihrer Dichte "einmalig" in Deutschland sind. Nur, wo das Geld herkommen soll, weiß niemand. Den Doppelhaushaltsentwurf für die nächsten zwei Jahre haben Lieberknecht, Voß und Co auf die Zeit nach den Landtagswahlen verschoben.

Warten auf bessere Zeiten: Die "grüne Modellregion", zu der Thüringen aufsteigen will, ist bisher nicht viel mehr als Polit-Reklame. Der schnelle Ausbau der Windenergie bleibt umstritten, der Einbruch der Solarindustrie hat Thüringen schwer getroffen. Die dringend notwendige Gemeindereform steckt fest, der versprochene Ausbau des örtlichen Nahverkehrs nimmt keine Fahrt auf. In der Staatskanzlei kamen und gingen die Minister. Auch das hat das Land viel Geld und Christine Lieberknecht Reputation gekostet. Wohin ihr Weg jetzt führt, ist offen. Sogar ganz raus aus der Politik? Vielleicht. Zumindest ihre Enkelkinder, hat sie unlängst verraten, warten sehnsüchtig auf sie. Die Oma soll Märchen erzählen.

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