Landgericht Hamburg:Verrat! Verrat?

Carsten Maschmeyer

Im Streit mit seinem Ex-Geschäftspartner Utz Claassen hat Carsten Maschmeyer gerade Oberwasser.

(Foto: Karlheinz Schindler/dpa)

Der Streit zwischen den beiden Unternehmern Carsten Maschmeyer und Utz Claassen um Geschäftsgeheimnisse wird immer bizarrer.

Von Uwe Ritzer

Die E-Mail, die angeblich ein Geheimnisverrat sein soll, stammt vom 27. August 2015, abgeschickt um 1,04 Uhr. Geschrieben hat sie Klaus Schieble, promovierter Jurist, einer der engsten Mitarbeiter von Carsten Maschmeyer und damals noch Aufsichtsratsmitglied bei der Syntellix AG aus Hannover. Sie stellt Knochenschrauben und Platten her, die sich im menschlichen Körper selbst auflösen und deshalb nicht herausoperiert werden müssen. Die Firma gehört mehrheitlich Claassen und Maschmeyer. Aus Rache und im Auftrag seines Herrn habe Mail-Schreiber Schieble Syntellix an den größten Konkurrenten verraten. So sieht das zumindest Utz Claassen.

Der Syntellix-Vorstand hat sogar Strafanzeige gegen Schieble und Maschmeyer gestellt. Schieble habe, so der Kernvorwurf, in besagter E-Mail interne Informationen über anstehende Produkte und die Auslandsstrategie von Syntellix an den US-Medizintechnikriesen Arthrex übermittelt. Doch die Beweislage für den schweren Vorwurf scheint nach SZ-Recherchen dünn. Die meisten der angeblich geheimen Informationen waren zum fraglichen Zeitpunkt vermutlich längst veröffentlicht.

Zu diesem Schluss kam auch das Landgericht Hamburg und verpasste Claassen am Montag einen Maulkorb. Er darf seinen Verratsvorwurf nicht wiederholen, sonst drohen ihm 250 000 Euro Ordnungsgeld. Schieble habe durch Unterlagen dem Gericht glaubhaft machen können, "dass die in der fraglichen E-Mail mitgeteilten Details bereits bekannt waren", so die 24. Zivilkammer in ihrer Entscheidung, die der SZ vorliegt. Im Übrigen habe sich Claassen vor der besagten E-Mail "selbst gegenüber der Presse in Bezug auf die in Rede stehenden Produkte und den damit verbundenen Einsatzbereich öffentlich geäußert". Claassen hat gegen die Entscheidung des Gerichts bereits Widerspruch eingelegt.

Die ominöse E-Mail ist ein Kerndokument in seiner Argumentationskette, die ungefähr so geht: Maschmeyer wollte die Macht bei Syntellix erobern, der Firma mit dem womöglich revolutionären und lukrativen Geschäftsmodell. Weil dies misslang, setzt er alles daran, der von Aufsichtsratschef Claassen gegründeten und dominierten Firma zu schaden. Ein Vorwurf, den Maschmeyer zurückweist. Die beiden Unternehmer-Egomanen, die jahrelang dicke Freunde waren, überziehen sich seit Monaten gegenseitig mit Vorwürfen, Drohungen und Strafanzeigen.

Nun hat die ominöse E-Mail des Maschmeyer-Vertrauten Schieble eine pikante Vorgeschichte und einen Nachspann. Wenige Stunden bevor sie abgeschickt wurde, am Nachmittag des 26. August 2015, wickelte Klaus Schieble in einem Münchner Notariat ein Immobiliengeschäft ab. Im Auftrag von Maschmeyer und dessen Ehefrau Veronika Ferres verkaufte er deren Villa am Starnberger See für einen kolportierten Preis von knapp 20 Millionen Euro. Und zwar ausgerechnet an Arthrex-Gründer und Chef Reinhold Schmieding. Umso erstaunlicher ist, dass Maschmeyer jüngst im Spiegel behauptete: "Ich kenne niemanden von Arthrex".

Auch Schieble versichert, ihm habe der Name Schmieding bis zum Notartermin "nichts gesagt". Erst im Anschluss sei man ins Gespräch gekommen und Schmieding sei an Syntellix interessiert gewesen. Stunden später schrieb ihm Schieble die ominöse E-Mail als Basisinfo. Darin ist von "Pins, Interferenzschrauben, Fadenankern und als krönender Abschluss hoffentlich auch Platten" aus jener selbstauflösenden Magnesiumlegierung die Rede, die Syntellix "in den nächsten Monaten" auf den Markt bringen werde. Zudem werde "die Internationalisierung" vorangetrieben.

Schieble sagt, es sei um die Anbahnung eines möglichen geschäftlichen Kontaktes gegangen. Er habe umgehend an Syntellix-Chef Thomas Mayer weiterverwiesen, der sich fortan um das Thema Arthrex kümmerte. E-Mails belegen das. Mayer und Claassen verweisen auf die Umstände: Eine Mail nachts um eins, kurz nach dem für Maschmeyer lukrativen Hausverkauf und wenige Stunden vor der Entscheidung über eine Kapitalerhöhung bei Syntellix.

Doch so seltsam zufällig die Umstände sein mögen - ein Verrat ist damit noch lange nicht bewiesen. SZ-Recherchen über das Internetarchiv Waybackmachine ergaben, dass ein Großteil der angeblich geheimen Informationen bereits Wochen vorher auf der Syntellix-Internetseite abrufbar waren. Die Firma bestreit dies, allenfalls eine interne Beta-Version der Internetseite habe es gegeben. Doch Waybackmachine hat nach eigenen Angaben nur Zugriff auf veröffentlichte Homepages.

Andere Informationen aus der Schieble-Mail wurden offenkundig bereits am 1. Juli 2015 von Syntellix selbst auf einer Pressekonferenz verbreitet oder finden sich in einer Patentveröffentlichung von 2013. So könnten sich die Verratsvorwürfe tatsächlich in Luft auflösen.

Während der Streit weiter tobt, nimmt Syntellix Schaden. Die Orthopädie-Klinik Annastift in Hannover verwendet vorerst keine Syntellix-Implantate mehr. Nicht weil sie schlecht seien, sondern "weil Professionalität und Seriösität des Unternehmens durch den Investorenstreit gefährdet scheinen", so der ärztliche Direktor Henning Windhagen. Claassen wittert auch dahinter Rache, weil Windhagen vor einigen Monaten als Syntellix-Aufsichtsrat abberufen worden sei. Der weist einen Zusammenhang zur Entscheidung der Klinik als "absolut unberechtigt" zurück.

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