Kunstschnee:Wie eine ganze Branche vom Klimawandel profitiert

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Drei bis vier Millionen Liter Wasser werden verbraucht, um einen Hektar Piste zu beschneien - dafür müssen große künstliche Teiche angelegt werden. (Foto: dpa)
  • Etwa die Hälfte der 100 000 Hektar Skipisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden künstlich beschneit.
  • Die Nachfrage nach neuen Schneekanonen steigt stetig - dabei sind sie ökologisch umstritten.

Von Uwe Ritzer

Weil kein Schnee vom Himmel fallen wollte, holte sich der Wirt zwei Kamele. In der Woche nach Weihnachten waren Farina und Dahib die große Attraktion auf der 1950 Meter hoch über Adelboden im Schweizer Kanton Bern gelegenen Tschentenalp. Fotos und Filmchen zeigen fröhliche Kinder, die auf dem Rücken der Kamele über braunes Gras reiten. Weil kein Schnee da sei, habe er sich etwas einfallen lassen müssen, um Gäste anzulocken und seinen Betrieb am Laufen zu halten, erklärte der Wirt örtlichen Medien.

Hinter der Schweiz liegt der schneeärmste Dezember seit Beginn der Aufzeichnungen 1864. Nicht nur in den Alpen wird es als Folge des Klimawandels immer wärmer. Viele Wintersportgebiete, hierzulande etwa auch im Schwarzwald, im Bayerischen Wald oder im Harz beklagen als schlimmste Folge zu wenig Schneefall. Vor allem im Weihnachts- und Neujahrsgeschäft, der wichtigsten weil besucherstärksten Zeit der Saison. Und Klimaexperten prophezeien, dass sich die Erde in den kommenden Jahrzehnten weiter erwärmen wird. Unter natürlichen Umständen taugen Regionen unter 1300 Meter dann überhaupt nicht mehr als Skigebiete.

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Etwa 50 000 Hektar Skipisten werden künstlich beschneit

Vielerorts löst man das Problem nicht tierisch, sondern technisch - mit Schneekanonen. Vereinfacht dargestellt pressen sie Wasser mit hohem Druck durch spezielle Düsen in die kalte Luft, wo aus Wassermolekülen Schneeflocken werden. Respektive Schneekügelchen, die auch enger aneinander kleben als natürliche Kristallflocken, so dass dieser Kunstschnee eine höhere Dichte aufweist und damit auch langsamer schmilzt als das Original.

Solche Anlagen, ob als kleine und bullige Propellermaschinen oder als bis zu 15 Meter hohe, giraffenhalsartige Lanzen, sind aus keinem nennenswerten Skigebiet mehr wegzudenken. Entsprechend profitiert kaum eine Branche mehr von dem Boom wie ihre Hersteller. Wie viele es davon gibt, weiß niemand genau, ebenso wenig ist das Marktvolumen bekannt. Einen Branchenverband gibt es nicht.

Wohl aber gibt es Daten, welche die Branche und deren Boom einigermaßen zuverlässig abschätzen lassen. Etwa die Hälfte der 100 000 Hektar alpiner Pistenfläche werden künstlich beschneit, manche sagen sogar noch mehr. "In Bayern sind es etwa ein Viertel, in Österreich knapp 70 und in Südtirol fast 100 Prozent", sagt Tobias Hipp, Geowissenschaftler beim Deutschen Alpenverein (DAV). Schweizer Experten für Beschneiungsanlagen beziffern das Investitionsvolumen auf etwa eine Million Euro pro Kilometer Piste. Schneekanonen sind folglich ein Milliardengeschäft.

Ein Kubikmeter Kunstschnee kostet je nach Wetter zwischen 50 Cent und fünf Euro

Der mutmaßliche Weltmarktführer sitzt in Bozen, Südtirol. Es war in den achtziger Jahren, als die Schneeausfälle vor allem vor und an Weihnachten immer häufiger wurden und die Betriebsleiter des Dolomiten-Skigebietes Obereggen, Walter Rieder und Georg Eisath, verstärkt über die Produktion von künstlichem Schnee nachdachten. Sie importierten eine Schneemaschine aus den USA, die sich aber als untauglich für die relativ warme Alpensüdseite erwies. Also entwickelten Rieder und Eisath mit Gerätschaften aus der Landwirtschaft selbst eine Apparatur, ein Dorfschmied half dabei. Die Nachfrage war von Anfang an enorm und aus dem Start-up wurde die Firma Technoalpin.

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Für sie arbeiten weltweit 500 Beschäftigte, die zuletzt 170 Millionen Euro Umsatz erwirtschafteten. Die jährlichen Steigerungsraten liegen einer Sprecherin zufolge bei durchschnittlich zehn Prozent. Auch bei der Konkurrenz laufen die Geschäfte. So ließ Demaclenko mit Sitz in Telfs/Österreich bereits verlauten, der Absatz an Schneekanonen sei 2016 "deutlich höher" gewesen als im Jahr zuvor.

Technoalpin wickelte seine größten Aufträge 2016 in China ab. "Dort, in den USA und in Russland entstehen noch neue Skigebiete", so die Sprecherin. In Europa scheint der Markt nur auf den ersten Blick gesättigt. DAV-Experte Tobias Hipp, promovierter Geowissenschaftler, erwartet "eine nach wie vor hohe Nachfrage." Vielerorts sei die Nach- und Umrüstung älterer Anlagen ein großes Thema. Auch die Zusammenschlüsse kleinerer zu größeren Skigebieten schafft Nachfrage. "Wir gehen davon aus, dass rund 90 Prozent aller Skigebiete über Beschneiungsanlagen verfügen", sagt Hipp. Unterstützt wird deren Anschaffung nicht selten durch öffentliche Subventionen. Obendrein ist die Anwendung nicht billig. Ein Kubikmeter Kunstschnee kostet Hipp zufolge je nach Wetter zwischen 50 Cent und fünf Euro.

Vor allem aber sind Schneekanonen ökologisch umstritten. Die Anlagen benötigen viel Strom und Wasser, das in großen Auffangbehältern gesammelt wird, kritisieren Umweltschützer. Das Regenwasser werde dem Bergwald, den Böden und der Pflanzenwelt entzogen, argumentieren Kritiker. Ganz abgesehen davon müssen ganze Berge umgegraben werden, weil viele Anlagen nur dank aufwendiger Leitungssysteme funktionieren. Die Folgen all dessen seien unabsehbar.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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