Kriselnde Weltwirtschaft:Japans Krankheit gefährdet Europa

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Geschäftsleute im Ginza-Bezirk in Tokio: Japan ist im vierten Quartal in die Rezession zurückgefallen (Foto: Bloomberg)

Eine simple Steuererhöhung hat Japans Wirtschaft in die Rezession gestürzt. Die Ansteckungsgefahr für Europa ist groß. Die EZB muss ihren Weg deshalb beibehalten - vor allem Deutschland ist gefordert.

Von Nikolaus Piper, New York

Es ist ein Schock für die Weltwirtschaft: Japan ist im dritten Quartal völlig überraschend in die Rezession zurückgefallen. Noch bis Sonntag hatten die Konjunkturforscher Wachstum vorausgesagt - wenig zwar, aber immerhin. Stattdessen jetzt der große Rückschlag.

Die Nachricht wird weitreichende Folgen für die japanische Innenpolitik haben - Regierungschef Shinzō Abe soll Neuwahlen planen. Mindestens ebenso wichtig aber sind die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Rest der Welt: Der Einbruch in Japan bedeutet nicht nur, dass das Risiko einer Rezession besonders in Europa steigt, sondern auch, dass die sogenannten Abenomics erst einmal gescheitert sind - jenes kühne, manche sagen: tollkühne, Experiment des japanischen Premiers zur Wiederbelebung der Wirtschaft.

Die japanische Krankheit hat sich wieder verschlimmert

Abe und die Bank von Japan hatten während der vergangenen zwei Jahre zusammen Billionen Yen in die Wirtschaft gepumpt. Die Geldschwemme sollte die Japaner zum Investieren und Konsumieren veranlassen. Wer sich über niedrige Zinsen in Deutschland beklagt, der blicke nach Japan: Zehnjährige Staatsanleihen bringen dort weniger als ein halbes Prozent Rendite ein.

Kühn war das Experiment vor allem wegen seiner Dimension. Die Bank von Japan blähte ihre Bilanz viel stärker auf als die amerikanische Federal Reserve oder die Europäische Zentralbank (EZB) - und deren Kurs war schon umstritten. Der Schuldenberg Japans erreichte das Zweieinhalbfache der jährlichen Wirtschaftsleistung (zum Vergleich: In Deutschland sind es 76 Prozent, in den USA 100 Prozent).

Jetzt brachte eine simple Erhöhung der Verbrauchssteuern - also der Versuch, den gefährlichen Anstieg der Staatsschuld zu bremsen - die Wende nach unten. Aus heutiger Sicht ist die Diagnose klar: Diese Steuererhöhung, so verständlich sie war, kam zu früh.

Das bedeutet, dass die japanische Krankheit sich wieder verschlimmert hat. Die Krankheit hatte zu Beginn der Neunzigerjahre begonnen, als in Japan eine monströse Immobilienblase platzte. Seither kämpft das Land mit Deflation, Wachstumsschwäche, strauchelnden Banken und bedrohlichen Staatsschulden.

Immer wieder versuchten Regierung und Notenbank, die Wirtschaft aufzupumpen, immer wieder kamen Rückschläge, unter anderem weil Japan seine Strukturprobleme nicht löste und seine Banken zu spät sanierte.

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Für den Rest der Welt wurde Japan das große abschreckende Beispiel. Nach der Finanzkrise 2008 versuchten Politiker und Notenbanker alles, um die Ausbreitung der japanischen Krankheit zu verhindern. Mario Draghis, Janet Yellens und Ben Bernankes Handeln sind nur vor dem Hintergrund von zwei Jahrzehnten Stagnation in Japan zu verstehen. Auch US-Finanzminister Jacob Lew dürfte Japan im Hinterkopf gehabt haben, als er die Europäer zum Geldausgeben aufforderte.

Die Vereinigten Staaten haben es immerhin zunächst einmal geschafft - dort wächst die Wirtschaft zwar langsamer als nach früheren Rezessionen, aber doch einigermaßen verlässlich. Ein globaler Einbruch würde aber auch die USA nicht unbeschädigt lassen.

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Es wächst die Gefahr für das europäische Projekt

Kritisch ist Europas Lage. Deutschland, die stärkste Volkswirtschaft der EU, steckt im Abschwung, wenn auch noch nicht in einer Rezession. In der EU insgesamt steigen die Preise so langsam, dass der Abstand zu einer lähmenden Deflation sehr klein ist. Das sieht auf beunruhigende Weise nach einem nahen Ausbruch der japanischen Krankheit aus: Stagnation ohne Aussicht auf Besserung. Sollte es wirklich dazu kommen, drohen nicht nur ein paar schlechte Jahre, es wächst die Gefahr für das europäische Projekt insgesamt.

Die Anti-EU-Stimmung ist jetzt schon aggressiv genug. Was wird passieren, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen und die Staatshaushalte zusätzlich unter Druck geraten? Japan wird durch Deflation und schlechte Politik als Nation nicht infrage gestellt, die EuroZone mit ihren nur oberflächlich gekitteten Widersprüchen dagegen schon.

Seit der Finanzkrise wird die Weltwirtschaft durch die Gelddruckereien der Notenbanken in Gang gehalten. Das ist unpopulär, weil die Sparer dabei bestraft werden - aber es ist ohne Alternative. Wer immer glaubt, die EZB solle jetzt schnell den Hebel umlegen und Geld, zur Freude der Sparer, wieder teurer machen, den sollte der Japan-Schock vom Sonntag eines Besseren belehren. Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zurück zur Normalität.

Was die Finanzpolitik betrifft, fällt auf Deutschland zudem eine besondere Verantwortung: Das Land muss dringend seinen Rückstand an privaten und öffentlichen Investitionen beseitigen. Das ist nicht nur nötig im nationalen Interesse, es trägt auch zur Zukunft des Euro und zur Stabilität auf dem Kontinent bei.

© SZ vom 18.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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