Krise in Griechenland:Letzte Chance für Reformen

Den Geldgebern läuft die Zeit davon. Noch haben sie ein entscheidendes Ass im Ärmel: das Geld, das Athen braucht. Doch schon bald wird Griechenland ohne die Kredite der Partner auskommen - dann wird dieses Ass nichts mehr wert sein.

Ein Kommentar von Cerstin Gammelin

Es ist mühsam und ermüdend, und eigentlich will niemand mehr etwas hören von dieser griechischen Krise. Und doch entscheiden in diesen Tagen die harten Verhandlungen zwischen der Troika und der konservativen Regierung darüber, ob die Kreditgeber Athen überhaupt noch zu Reformen zwingen können, bevor sie dem Land mindestens einen Teil der Schulden erlassen müssen.

Noch haben die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds ein entscheidendes Ass im Ärmel. Sie haben das Geld, das Athen braucht. Genauer gesagt, das Geld, das Premier Antonis Samaras derzeit noch braucht, um einigermaßen wirtschaften und sein Land vor der Pleite bewahren zu können. Das wird sich ändern. Schon Ende des Jahres wird das Ass der Kreditgeber nichts mehr wert sein, nämlich genau dann, wenn Griechenland wieder einen Primärüberschuss erwirtschaftet. Ist der griechische Haushalt aus eigener Kraft im Plus, sind die Kreditgeber im Nachteil. Und zwar gleich doppelt.

Was auf der einen Seite so positiv klingt - seht her, die griechische Wirtschaft und der griechische Staat haben sich dank unserer Kredite und unserer Reformprogramme gefangen, sie können aus eigener Kraft wirtschaften - hat eine bedeutende Kehrseite. Samaras wird unabhängig vom Geld seiner Kreditgeber. Er kann sein Land regieren ohne die Kredite, die er nur unter Auflagen erhält. Die Euro-Länder verlieren damit ihr wichtigstes Druckmittel, die griechische Regierung zum Reformieren zu zwingen.

Samaras hofft auf Primärüberschuss

Die jetzt laufenden Verhandlungen bieten deshalb die letzte Gelegenheit, überhaupt noch Reformen durchzusetzen. Was jetzt nicht erledigt wird, passiert später erst recht nicht mehr. Marode Staatsbetriebe, die jetzt nicht verkauft werden, bleiben im Staatseigentum. Staatsbedienstete, die jetzt nicht entlassen werden, bleiben an den Schreibtischen sitzen.

Samaras hütete sich bisher, Unpopuläres durchzusetzen, obwohl er zur Rechtfertigung mit spitzen Fingern auf die anderen Europäer deuten könnte. An dieser Einstellung wird sich wohl wenig ändern. Später nämlich, wenn eigene Einnahmen genügend Geld in den Haushalt spülen, wird er erst recht darauf verzichten, seine Wähler mit spürbaren Reformen zu verärgern.

Für Samaras bietet der erwartbare Primärüberschuss die beste Gelegenheit, so richtig populär zu werden. Nicht nur, weil er dann nicht mehr gezwungen werden kann, die Reformen umzusetzen. Sondern weil er umgekehrt bei den Gläubigern einen Schuldenerlass durchsetzen kann.

Beim nächsten Schuldenerlass zahlen die Bürger

Den Freibrief dazu hat er vor einigen Wochen bekommen. Der Internationale Währungsfonds musste einräumen, dass die Kreditgeber schwerwiegende Fehler bei der Rettung Athens gemacht und das Land in die Schulden getrieben haben. Heute liegt der Schuldenberg bei unvorstellbaren 170 Prozent des Bruttosozialprodukts. Für den Weltwährungsfonds ist das eigentlich untragbar, das Limit liegt bei 120 Prozent. Samaras wird auf dieses Limit verweisen, und darauf, dass sein Land wieder an Kraft gewinnt. Und dass es jetzt an den Kreditgebern sei, frühere Fehler wieder auszubügeln - und dem Land mindestens teilweise die Schulden zu erlassen.

Wer Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble genau zuhört, weiß, dass die Bundesregierung längst einige Griechenland-Milliarden abgeschrieben hat. Einen "solchen" Schuldenschnitt wird es nicht noch einmal geben, gab Schäuble jüngst zu Protokoll. Womit er formal recht behalten wird.

Einen "solchen" Schnitt wird es nicht noch einmal geben. Denn beim ersten Schuldenerlass haben die privaten Gläubiger auf 100 Milliarden Euro verzichtet. Das ist beim nächsten Schuldenerlass anders - dann werden die öffentlichen Gläubiger verzichten. Das sind die Bürger der Euro-Länder, allen voran die Deutschen.

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