Krise in Frankreich:Willkommen bei den Sorgenländern

Zu unflexibel, zu defizitär und am Rande der Rezession: Wird Frankreich das nächste Italien? Die Ratingagenturen lauern nur auf das Wahlergebnis. Sozialisten wie Hollande mögen Investoren gar nicht, aber auch Sarkozy hat in seiner Amtszeit wenig geändert. Die Kanzlerin könnte ihren wichtigsten Spar-Verbündeten verlieren. Wichtige Fragen und Antworten zu unserem Nachbarland.

Catherine Hoffmann

Sinkende Wettbewerbsfähigkeit, schwacher Export, hohe Arbeitslosigkeit - Frankreich leidet unter ähnlichen Problemen wie die Sorgenländer der Euro-Zone. Präsident Nicolas Sarkozy hat in seiner Regierungszeit zwar viele Schwachpunkte zum Thema gemacht, aber wenig geändert. "Das wird nicht besser, wenn der Sozialist François Hollande die Präsidentschaftswahl gewinnt", glaubt Marco Wagner, Volkswirt der Commerzbank. Keiner der beiden verficht eine Politik, die ganz nach dem Geschmack Deutschlands wäre. Verliert Bundeskanzlerin Angela Merkel also ihren wichtigsten Partner in der Schuldenkrise? Wie stark ist die französische Wirtschaft wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachbarland.

Frankreich

Frankreichs Wirtschaft ist nicht gut aufgestellt: Sobald die Wahl beendet ist, droht dem Land die Herabstufung.

(Foto: Reuters)

Wie glaubwürdig ist das Vorhaben, das Defizit zu reduzieren?

Sarkozy spricht viel vom Sparen, doch während seiner Amtszeit fehlte ihm die Kraft dazu. Die französische Regierung hat immer mehr Ausgaben auf Pump finanziert. Seit 2002 war das Defizit in sechs von neun Jahren höher als nach dem Vertrag von Maastricht erlaubt; in der Folge hat sich der Schuldenberg massiv erhöht.

Beliefen sich die Staatsschulden zu Beginn der Währungsunion noch auf etwas weniger als 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, waren es Ende 2011 etwa 85 Prozent. Zwar haben sich sowohl Sarkozy als auch Hollande zum Ziel gesetzt, den Haushalt bis 2017 auszugleichen. Doch der Weg dahin ist weit. 2011 wies Frankreich ein Defizit von 5,2 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, in diesem Jahr dürfte es kaum kleiner sein.

Rutscht Frankreich in die Rezession?

Bislang ist Europas zweitwichtigste Wirtschaftsmacht knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt, doch die Wirtschaft befindet sich im Abschwung, mit wenig Hoffnung auf schnelle Besserung.

Die Regierung hat ihre Wachstumsprognose für 2012 seit dem vergangenen Sommer bereits von 2,25 auf 0,5 Prozent gesenkt. Das hat gravierende Folgen, basieren doch sämtliche Prognosen für das Budget auf den Wachstumszahlen - und die sind schon lange schwach: Die französische Wirtschaft ist von 2005 bis 2011 mit 0,8 Prozent im Jahr nur halb so stark gewachsen wie die deutsche (1,5 Prozent).

Wird Frankreich mit Hollande höhere Kreditzinsen zahlen müssen?

Noch kann sich das Land zu deutlich günstigeren Konditionen als Italien und Spanien am Kapitalmarkt Geld leihen - das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Investoren beäugen Frankreich kritisch. Das zeigt sich daran, dass am Finanzmarkt feine Unterschiede zwischen den Ländern Kerneuropas gemacht werden - zwischen einem inneren Kern (Deutschland, Finnland, Niederlande) und einem äußeren (Frankreich, Belgien, Österreich).

Die Folge: Frankreich muss für zehnjährige Staatsanleihen mit 2,9 Prozent deutlich mehr Rendite bieten als Deutschland (1,6 Prozent). Wenn sich Hollande durchsetzt, könnten Anleger von Paris noch mehr verlangen, denn der Sozialist will aus den Schulden herauswachsen - mit lockerer Geldpolitik und Investitionen auf Pump. "Wir glauben aber, Frankreich muss sparen und seine strukturellen Probleme beseitigen", sagt Commerzbank-Analyst Wagner.

Kommt es kurz nach der Wahl zur Herabstufung durch Ratingagenturen?

Wie die Bonitätswächter auf mangelnden Sparwillen reagieren, kann man sich leicht ausmalen. Sie drohen bereits damit, Frankreich die Bestnote "AAA" abzuerkennen. Das würde dann nicht nur die Zinsen für französische Staatsanleihen erhöhen, sondern die Rettungsfonds in Schwierigkeiten bringen. Denn Frankreich ist neben Deutschland Garant für die Stabilität der Brandmauer.

Ist Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit bedroht?

Frankreich hat - ähnlich wie die Südländer Europas - in den vergangenen Jahren massiv an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Das zeigen die Lohnstückkosten, die ausdrücken, wie viel Lohn für ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt werden müssen.

Diese Arbeitskosten nahmen in der französischen Wirtschaft von 1999 bis 2011 mit 27 Prozent fast genau so stark zu wie in Italien (31 Prozent), während Deutschland nur ein Plus von sechs Prozent verzeichnete. Resultat ist eine schleichende Deindustrialisierung Frankreichs: Während hierzulande die Auftragsbücher voll sind, klagen Frankreichs Unternehmer über mangelnde Nachfrage.

Unter der Verteuerung der Produktion leidet vor allem die exportorientierte Industrie, allen voran die Autobauer, die Marktanteile verloren haben. Die schwache Exportleistung ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die französische Leistungsbilanz in den zurückliegenden Jahren von einem Überschuss deutlich ins Minus gerutscht ist.

Ist der Arbeitsmarkt zu unflexibel?

Frankreich drückt eine hohe Arbeitslosigkeit, die Quote ist von 9,1 Prozent Anfang 2005 auf zehn Prozent im März 2012 gestiegen, während sie in Deutschland von 11,3 auf 5,6 Prozent sank. Der französische Arbeitsmarkt gilt als unflexibel, er macht es jungen Leuten schwer, einen Job zu bekommen.

Als Gründe dafür nennen Ökonomen einen hohen Kündigungsschutz, der nur in Griechenland, Spanien und Luxemburg noch stärker ist. In Frankreich sind nahezu alle Unternehmen und 90 Prozent der Arbeitnehmer an Tarifverträge gebunden. Die Möglichkeit, von diesen abzuweichen, ist eng begrenzt. Der Mindestlohn entspricht 48 Prozent des Durchschnittslohns. In keinem anderen EU-Land ist das Verhältnis höher.

Wie viel Staat verträgt Frankreich?

Frankreich weist eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten aller Industrieländer auf. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen werden sich die Franzosen auf noch höhere Abgaben einstellen müssen. Sarkozy will den Mehrwertsteuersatz erhöhen, Hollande den Einkommenssteuersatz für Gutverdiener sowie die Vermögens- und Erbschaftssteuer.

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