Krise in der Automobilindustrie:Cold Turkey

Folge konsequenter Tatenlosigkeit: GM und die gesamte US-Automobilindustrie stehen vor dem Kollaps, weil die US-Regierung das Geld nicht zu billig machen will. Die einzige Rettung: der kalte Entzug.

Hans von der Hagen

Wie sich die Bilder gleichen: Anfang Oktober weigerte sich das Repräsentantenhaus, dem Bankenrettungspaket zuzustimmen. Jetzt ist es der Senat, der die üppigen Hilfen für die amerikanischen Autobauer nicht in Bausch und Bogen genehmigen will. Die Botschaft ist: Vom US-Kongress gibt es kein billiges Geld, keine Carte blanche.

Krise in der Automobilindustrie: Vier Männer - ein Problem: General-Motors-Chef Richard Wagoner (li.), UAW-Präsident Ron Gettelfinger, Ford-Boss Alan Mulally und Chrysler-Chef Robert Nardelli haben bislang kein überzeugendes Konzept zur Sanierung der Autoindustrie

Vier Männer - ein Problem: General-Motors-Chef Richard Wagoner (li.), UAW-Präsident Ron Gettelfinger, Ford-Boss Alan Mulally und Chrysler-Chef Robert Nardelli haben bislang kein überzeugendes Konzept zur Sanierung der Autoindustrie

(Foto: Foto: AP)

Selbst wenn es am Ende aller Abstimmungen dann doch Geld fließt - es wird zumindest teurer gemacht. Bei dem Bankenrettungspaket musste Finanzminister Paulson sein Konzept von schlappen drei Seiten auf rund vierhundert Seiten erweitern, bei den Autobauern wollen nun die Republikaner weitere Zugeständnisse von den Gewerkschaften haben.

Mit aller Macht hatte im Vorfeld der Abstimmung die Autoindustrie auf die Hilfen gedrungen. Das Rezept: möglichst laut Wehklagen. Die US-Autoindustrie dürfe nicht pleitegehen, weil derart viele Arbeitsplätze daran hängen.

Tatenloses Kontinuum

Überzeugende Ideen für die Zukunft hat die Branche freilich nicht zu bieten. Wie auch. Über Jahre schon schleppen sich die US-Autobauer von Quartal zu Quartal. Das Denken in kurzen Zeiträumen hat alle langfristigen Planungen zunichtegemacht. Die US-Autobauer kennen nur noch ein Ziel: Verkaufen um jeden Preis, damit Geld in die Kasse kommt.

Dazu die großen Probleme, die die Hersteller schon jetzt in der Fertigung haben: Die Produktivität ist gering und die Löhne sind im Vergleich zu ausländischen Fahrzeugherstellern fast anderthalbmal so hoch.

Kein Konzept, hohe Kosten, drohende Pleite: Warum auch nur ein Politiker einem Rettungspaket zustimmen sollte, das Milliarden ins Nichts pumpt, ist unklar. Aktive Sterbehilfe ist auch in den USA verboten.

Die Demokraten wollten sie trotzdem leisten, doch viele Republikaner sträubten sich. Wenn eine Zukunft schon nicht erkennbar ist, wollen sie wenigstens die Bereitschaft zu weiteren Kostensenkungen in der Gegenwart sehen.

Nur: Selbst da kann General Motors wenig ausrichten, weil sich das Unternehmen in einem verzehrenden Machtkampf mit der Autogewerkschaft UAW befindet, die ihrerseits ums Überleben ringt.

Die UAW hatte sich zwar erst vor wenigen Tagen überraschend zu Zugeständnissen bereiterklärt, doch die Republikaner fordern, dass die nicht erst im Jahr 2011 greifen, sondern schon im kommenden Jahr.

Auch das Konzept "Auto-Zar" - ein Beauftragter für die Autoindustrie, der von Präsident George W. Bush hätte benannt werden sollen, um die Sanierung der Unternehmen zu überwachen - konnte kaum jemand überzeugen.

Kalte Weihnachten

Genau das ist jetzt das Problem: Es gibt keinen, der eine Sanierung der Automobilindustrie durchsetzen kann. Das tatenlose Kontinuum der vergangenen Jahrzehnte lässt sich von einem Mann nun nicht mehr korrigieren - es sei denn, er wäre ein Diktator.

Solche Befugnisse besitzt in den USA nur ein Paragraph: Chapter 11 des Insolvenzrechts der Vereinigten Staaten. Er bietet die einzige Chance für einen Neuanfang. Aber es ist ein Cold Turkey, ein kalter Entzug mit ungewisser Prognose.

Sollte sich GM ihm unterziehen, würden viele Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. General Motors würde die Fahrzeughalden wohl mit enormen Rabatten abtragen und damit die Konkurrenz schwer unter Druck setzen. Das Schlimmste aber wäre das Misstrauen, das der Gläubigerschutz sät: Die Erkenntnis, dass dieser Industriekoloss nicht nur in Szenarien, sondern tatsächlich pleitegeht, würde eine gewaltige Schockwelle auslösen und zeigen: In dieser Krise ist alles möglich.

Weihnachten könnte sehr kalt werden.

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