Krise bei Rolls-Royce:Der große Triebwerkschaden

Hektische Tage bei Rolls-Royce: Mängel an Exemplaren der beiden wichtigsten RR-Flugzeugtriebwerke drohen den Ruf des Unternehmens wegen technischer Mängel zu schädigen.

Jens Flottau und Andreas Oldag

Die Probleme mit Rolls-Royce-Triebwerken haben erste Folgen für die Luftfahrtindustrie. Der britische Flugzeugmotorenhersteller räumt ein, seine Bilanz werde dadurch belastet. Beim europäischen Flugzeughersteller EADS wird sich die Auslieferung der Maschinen verzögern.

Flugzeugtriebwerk

Die Fluggesellschaften stellen trotz der Triebwerksprobleme keine Buchungsrückgänge für A380-Flüge fest. Lufthansa erlebt weiter eine "sehr hohe Nachfrage".

(Foto: dpa)

John Rose hatte sich das sicher ganz anders vorgestellt. Erst kürzlich hatte der angesehene Vorstandschef des britischen Triebwerksherstellers Rolls-Royce (RR) angekündigt, er werde im kommenden Frühjahr nach 15 Jahren an der Konzernspitze in den Ruhestand gehen. Er hätte sich wohl gerne dafür feiern lassen, dass unter seiner Regie, der Umsatz des Unternehmens verdreifacht, der Gewinn auf 2,2 Milliarden Pfund vervierfacht wurde. Stattdessen steht der 58-jährige Rose, der 2003 für seine Verdienste von der britischen Königin zum "Sir John" geschlagen wurde, vor einem Scherbenhaufen.

Aufgeregte Öffentlichkeit im Nacken

Mängel an Exemplaren der beiden wichtigsten RR-Flugzeugtriebwerke, die Großraumflieger wie den Airbus A380 und die Boeing 787 antreiben, drohen den Ruf des Unternehmens zu schädigen. Daher sind die Tage für den bulligen Manager hektisch geworden. Gleich nach der Explosion eines Triebwerks an einem Qantas-Superairbus A380 am 4. November hatte der 58-jährige Rolls-Royce-Chef seine Chefingenieure zusammengetrommelt.

Seitdem rast Rose von einer Krisensitzung zur anderen. "Der Chef will möglichst schnell Ergebnisse sehen", heißt es in der Zentrale im mittelenglischen Derby. Dem Manager sitzt nicht nur eine aufgeregte Öffentlichkeit im Nacken. Ähnlich wie bei der vom britischen Ölkonzern BP verursachten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko reagieren auch in diesem Fall die Börsen nervös. Das Misstrauen der Märkte kann selbst einen finanzstarken Konzern in die Bredouille bringen,

Vor gut einer Woche zerlegte sich einer der vier Trent 900-Motoren eines Superairbus' A380 in seine Einzelteile, vier Minuten, nachdem die Maschine der australischen Fluggesellschaft Qantas in Singapur abgehoben hatte. Die rund 450 Insassen hatten riesiges Glück. Das schadhafte Triebwerk hatte Metallteile in die Tragflächen des Riesenfliegers geschleudert. Die Trümmer beschädigten wichtige Systeme wie die Hydraulik des Flugzeuges. Die Piloten konnten das Schlimmste verhüten und den Havaristen nach Singapur zurückzufliegen.

Der Beinahe-Unfall war ein Fanal, der das Ansehen des Triebwerkbauers beschädigt hat. Auch der Airbus 380, das größte zivile Verkehrsflugzeug, das erst 2007 in Betrieb genommen wurde, steht plötzlich im Zentrum einer Diskussion über die Sicherheit im Flugverkehr. Der Superjumbo kann auf zwei Decks über 800 Passagiere transportieren. Neben dem Design dieser gewaltigen Flugzeuge mit ihrer komplizierten Geometrie gehören die Triebwerke für die Riesenflieger zu den ehrgeizigsten Projekten der Luftfahrttechnik. Pro Stück kosten sie 13 Millionen Euro.

Ein Milliarde Euro an Börsenwert verloren

Die Branche ist alarmiert. Der Aktienkurs des Triebwerkbauers, der mit dem Hersteller des Luxusautos gleichen Namens heute keine Verbindung mehr hat, stürzte nach der Rückkehr des Quantas Fliegers um zehn Prozent ab. RR verlor binnen Tagen eine Milliarde Euro an Börsenwert. Doch die schockierten Manager gingen erst einmal auf Tauchstation. Sie sagten nichts und ließen die Kunden, Fluggesellschaften und den Airbus-Hersteller allein, obwohl sie für die Jet-Probleme keine Verantwortung trugen. In der größten Krise des Unternehmens seit 40 Jahren wirkte Rolls-Royce hilflos. Sofort hagelte es Kritik. "Wir brauchen absolute Sicherheit, was falsch gelaufen ist", schimpft Analyst Howard Wheeldorn von der Finanzfirma BGC in London. Wenn das nicht klar kommuniziert werde, würden "die Märkte keinen Freispruch mangels Beweisen akzeptieren".

Erst am Freitag - mehr als eine Woche nach der Beinahekatastrophe von Singapur - bequemte sich RR zu einer Reaktion und zu einer Art Schuldeingeständnis: Erste Untersuchungen hätten ergeben, dass ein Ölfeuer wahrscheinlich die Ursache des Schadens war. In der Folge sei es im Inneren des Triebwerkes so heiß geworden, dass wichtige Komponenten den Temperaturen nicht mehr standhielten und barsten.

Schon geht bei RR die Frage um, ob die Strategie des Hauses noch die richtige ist. Ist der Konzern im lukrativen Triebwerksgeschäft zu schnell gewachsen? Wurden Entwicklungen zu hastig und auf Kosten von Erprobung und Sicherheit vorangetrieben? Immerhin räumt Konzernchef Rose ein, die Probleme mit den Triebwerken verhagelten dem Maschinenbauer die Bilanz. Das Ereignis werde

"Einfluss auf das finanzielle Abschneiden der Gruppe in diesem Jahr haben", sagte er am Freitag vieldeutig. RR rutsche deshalb aber nicht in die Verlustzone. Auch EADS, der europäische Hersteller des Airbus' leidet unter dem Zwischenfall von Singapur. Die Auslieferungen neuer Superflieger dürften sich wegen des Vorfalls im kommenden Jahr verlangsamen, kündigte Airbus-Chef Tom Enders am Freitag an. Auch der Aktienkurs von EADS ist unter Druck geraten.

Gesamte Flotte am Boden

Fluggesellschaften fragen sich, was sie tun sollen. Noch immer steht die gesamte A380-Flotte der Qantas am Boden, die drei Singapore Airlines-Flieger sollen am Wochenende wieder eingesetzt werden. Die Lufthansa beschränkte sich darauf, ein Triebwerk an einem ihrer drei Superjumbos auszuwechseln und die Flieger in der Luft zu halten. Aber Rolls-Royce sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, selbst die relativ konventionelle Technologie der Trent 900-Triebwerke nicht zu beherrschen.

Die Fluggesellschaften stellen trotz der Triebwerksprobleme keine Buchungsrückgänge für A380-Flüge fest. Lufthansa erlebt weiter eine "sehr hohe Nachfrage". Bei Singapore Airlines haben sich "eine Handvoll" Passagiere nach den Motoren erkundigt, ihre Flüge aber angetreten.

Prekäre Lage

Dennoch ist die Lage für Rolls-Royce inzwischen prekär: Wichtige Kooperationspartner wie der US-Triebwerkshersteller Pratt & Whitney drohen damit, die Zusammenarbeit zu kündigen und wenn es schlecht läuft, ist Rolls-Royce in einigen Jahren auch noch aus dem ganz großen Geschäft mit den Standardflugzeugen Boeing 737 und Airbus A320 heraus. Unter deren Flügeln werden dann nur noch die Motoren der Konkurrenz hängen. Der Markt ist klein und wird von nur wenigen aber mächtigen Namen beherrscht. Das globale Geschäft mit zivilen Triebwerken teilen sich hauptsächlich drei Hersteller: Die amerikanischen Konzerne General Electric (GE) und Pratt & Whitney sowie Rolls-Royce.

Schon einmal ist RR mit Triebwerkspannen in den Abgrund gestürzt. Das war 1971. Damals ging die Firma pleite, weil sie sich mit der Entwicklung des RB211-Modells übernommen hatte, das es für die Großraumflugzeuge der damaligen Zeit baute. Rolls-Royce war zeitweise sogar verstaatlicht. Wenn die Briten nicht schnell eine technische Lösung finden, droht der Verlust von Marktanteilen - oder das Aus.

Neue Kunden werden es sich überlegen, ob sie sich auf technische Unwägbarkeiten bei den RR-Motoren einlassen oder lieber zur Konkurrenz gehen. Und selbst wenn die RR-Triebwerke in einigen Tagen wieder einsetzbar sein sollten, bliebe der Imageschaden. Der kann lange haften bleiben. Und es gibt weitere Probleme: RR entwickelt auch für den neuen Boeing-Langstreckenjet 787 Dreamliner den neuen Motor Trent 1000. Die ersten Versionen haben dem Vernehmen nach die versprochenen Leistungs- und Verbrauchsdaten nicht erfüllt. Branchenkreisen zufolge brauchte das Aggregat bei Tests rund fünf Prozent mehr Sprit als erhofft. In der Luftfahrt sind das Welten.

Sir John hat daher viel zu tun, um seinem designierten Nachfolger John Rishton ein geordnetes Haus zu übergeben. Zweifel gibt es jedoch daran, ob der 52-jährige Brite in dieser Situation der richtige Mann ist. Rishton hat sich als Handelsexperte profiliert, der zuletzt die niederländische Supermarktkette Ahold führte. Deshalb spotten Branchenkenner in London, der neue Mann verstehe sich vor allem auf den Verkauf von Tiefkühlpizzen.

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