Kreuzfahrtschiffe:Der digitale Zwilling

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Kreuzfahrtschiffe wie "Freedom of the Seas" könnten künftig schneller gewartet werden. (Foto: Christian Charisius/Reuters)

Jeder Tag, den ein Schiff in der Werft liegen muss, ist für den Betreiber teuer. GE will nun Abhilfe schaffen.

Von Kathrin Werner, New York

Für die Passagiere ändert sich nichts, wenn es ihr Schiff bald zweimal gibt: einmal auf dem Wasser und einmal in der digitalen Welt. Die Touristen brutzeln weiter auf dem Sonnendeck, schlürfen All-inclusive-Cocktails, machen sich für das Kapitänsdinner schick oder werden seekrank. Hinter den Kulissen entsteht ein digitaler Zwilling des Kreuzfahrtschiffs, von dem an Bord niemand etwas merkt. General Electric (GE) und andere große Industrieunternehmen arbeiten an der Digitalisierung der Kreuzfahrt. Sie soll die Touristenfrachter sicherer, sauberer und zuverlässiger machen.

Es muss sich etwas tun: In diesem Jahr erwarten die Betreiber 24 Millionen Fahrgäste, im vergangenen waren es schon mehr als 22 Millionen. Die Branche hat mit ihnen etwa 40 Milliarden Dollar eingenommen - sieben Prozent mehr als im Vorjahr, wie der Branchen-Marktforscher Cruise Market Watch ermittelt hat. Doch das Wachstum ist in Gefahr, schließlich waren die Schiffe zuletzt vor allem wegen Unfällen, Umweltverschmutzung oder technischer Schwierigkeiten in den Schlagzeilen, es gab sogar Todesopfer. Die Reeder investieren Schätzungen zufolge in den kommenden zehn Jahren gigantische 110 Milliarden Dollar in neue Kreuzfahrtschiffe. Damit sich die Investitionen lohnen, muss es weniger Vorfälle mit den Riesenschiffen geben - denn die sind nicht nur schlecht fürs Image, sondern auch teuer.

Sensoren sollen unter anderem den Verschleiß messen und die Routenführung verbessern

"So ein Kreuzfahrtschiff kostet wahnsinnig viel Geld", sagt Stephan Reimelt, der bei GE die weltweite Sparte für Elektronik zur Energieumwandlung leitet, die auch für die Digitalisierung der Schifffahrt zuständig ist. "Deshalb wollen die Betreiber ihr Schiff so viel wie möglich im Einsatz haben, Planbarkeit ist sehr wichtig. Für uns ist das eine hochspannende Industrie." Die Kreuzfahrtunternehmen sind verpflichtet, die Schiffe regelmäßig zu warten, dazu zwingen sie verschiedene Behörden. Jeder Tag, an dem das Schiff in der Werft ist, bringt aber einen riesigen Verlust - der ist umso höher, je größer die Schiffe sind. 6000 leere Betten an Bord bedeuten 6000 Einnahmeausfälle. Umso schlimmer ist es, wenn der Betreiber einen Werftaufenthalt nicht planen konnte, weil das Schiff einen Schaden hat und er alle Kunden umbuchen oder entschädigen muss.

GE möchte den Reedern Software verkaufen, mit denen die Schiffe möglichst wenig in die Werft müssen. Das amerikanische Unternehmen will die Frachter mit Sensoren ausstatten, die unter anderem Verschleiß messen, Wetterdaten einbeziehen und die Routenführung verbessern - das soll Zeit und Sprit sparen und manchmal auch raue See vermeiden. Und wenn sich ein Teil des Schiffes schneller abnutzt, könnte das System Alarm schlagen und der Kapitän so umsteuern, dass der Teil weniger belastet wird. "Die Fülle der Daten ist wie bei einer kleinen Stadt, mit ihnen kann man viel optimieren", sagt Reimelt. "Die Einsparmöglichkeiten sind riesig."

Schon beim Bau des Schiffes kann das Unternehmen einen digitalen Zwilling erstellen und dann mit den Betriebsdaten des Schiffes aktualisieren. Die große Datenmenge wird in die Cloud hochgeladen, also in einen virtuellen Speicher in der Datenwolke, und hilft bei Wartung und Reparatur. "An dem digitalen Zwilling können die Service-Mitarbeiter dann in kürzester Zeit viele verschiedene Problemlösungen durchspielen, noch bevor das Schiff in den Hafen kommt", sagt Reimelt. "Im Hafen geht es dann viel schneller." Doch den Reedern die Digitalisierung zu verkaufen, ist nicht so einfach. Denn zum einen hat GE viel Konkurrenz. Schiffe funktionieren nicht sehr anders als feste Industrieanlagen, und deren Digitalisierung ist ein großes Geschäft - bekannt unter dem Schlagwort Industrie 4.0. "Alle Industrieunternehmen und viele Softwareunternehmen beschäftigen sich mit dem Thema", sagt Reimelt. Zum anderen hatten die meisten Reeder mit digitaler Technik bislang wenig zu tun und gelten als enorm konservativ. "Die Digitalisierung der Schifffahrt steht noch am Anfang", sagt er. "Die Branche erkennt aber jetzt, dass es da Chancen für sie gibt."

Reimelts Team führt Gespräche mit Kreuzfahrtreedern über digitale Zwillinge und stattet bereits erste Schiffe mit Sensoren aus. GE muss den konservativen Investoren genau erklären, warum sich die Digitalisierung für sie lohnt. "Mit Broschüren und ein paar Power-Point-Präsentationen kommt man nicht weit", sagt Reimelt. "Sobald es aber Wettbewerbsvorteile gibt, die man den Reedern exakt vorrechnen und mit Beispielen belegen kann, kann man sie überzeugen." Wenn GE zum Beispiel einen geringeren Spritverbrauch ankündigt, ist der dann oft Teil des Vertrages, GE muss also zahlen, wenn das Schiff nicht so viel einspart wie versprochen. Bei der Überzeugungsarbeit helfen vor allem Beispiele aus anderen Industrien. Denn das Unternehmen hat die Technik nicht speziell für die Seefahrt entwickelt. Mit ähnlicher Software verwaltet es bereits Daten von Kraftwerken, zum Beispiel von Windrädern in Deutschland, oder auch von Flugzeugen. Auf einem Flug von Frankfurt nach London sammelt jedes Triebwerk zwischen einem und zwei Terabyte Daten, die es per Satellit an die Zentrale überträgt.

Die Technik ist auch für Bohrplattformen für die Ölförderung interessant

Die Technik funktioniert auch nicht nur für Touristenboote, sondern für alle Schiffe, zum Beispiel auch für Bohrplattformen für die Ölförderung im Meer. Die Offshore-Ölindustrie steht unter besonderem Kostendruck, seit die Ölpreise so enorm gesunken sind, darum hat sie noch größeres Interesse, unnötige Wartungs- und Reparaturpausen zu vermeiden. Die Bohrfirmen mieten die Schiffe für etwa 500 000 Dollar pro Tag, jeder Ausfall schmerzt. Und die Ausfallzeiten sind oft lang, weil die Offshore-Schiffe weit weg von den Häfen in der Tiefsee arbeiten und erst lange Strecken zu den Werften zurücklegen müssen. Die erste große Machbarkeitsstudie für die vollständige Digitalisierung läuft darum gerade auf zwei Bohrschiffen.

Dem Fortschritt hilft, dass die Schifffahrt aus verschiedenen Gründen im Umbruch ist. Die Behörden fast überall auf der Welt verschärfen die Sicherheits- und Umweltauflagen, zum Beispiel darf ein Schiff neuerdings nur noch Treibstoff mit einem Schwefelanteil von maximal 0,1 Prozent verbrennen, wenn es in einem Hafen der Europäischen Union anlegt. Die Reeder öffnen sich deshalb für moderne Antriebe mit verflüssigtem Erdgas statt Diesel und beschäftigen sich mehr mit Innovationen als zuvor. Außerdem wächst der Kostendruck, auch für die Kreuzfahrtreeder.

Bislang gibt es nur wenige große, globale Veranstalter um den Marktführer Carnival herum, aber neue Anbieter drängen vor allem in den schnell wachsenden Markt in China, auch der Milliardär Richard Branson treibt seine Pläne zum Einstieg ins Kreuzfahrtgeschäft voran. "Jemand, der neu in diesen sehr kapitalintensiven Markt kommt, wird noch mehr darüber nachdenken, was er anders machen kann", sagt Reimelt. "Und wenn Neueinsteiger offen sind für Innovationen, wird das Bewegung in den ganzen Markt bringen."

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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