Kreuzfahrten:Ahoi, woohähä, ahoi

Kreuzfahrten: Kreuzfahrten waren mal eine ziemlich biedere Angelegenheit. Mittlerweile hat sich die Zielgruppe verbreitert: in Richtung Heavy Metal, zum Beispiel.

Kreuzfahrten waren mal eine ziemlich biedere Angelegenheit. Mittlerweile hat sich die Zielgruppe verbreitert: in Richtung Heavy Metal, zum Beispiel.

(Foto: B. Gilden/Magnum/Focus)

Helene-Fischer-Gedudel oder Heavy Metal, was darf's denn sein? Die Kreuzfahrt- Gesellschaften erweitern ihre Zielgruppe. Das ist mitunter ziemlich skurril - und laut.

Von Angelika Slavik

Die Regeln sind für alle gleich, deshalb muss sich Gruppe B nun im Bordkino versammeln. Seenot-Rettungsübung. Das Schiff darf den Hafen nicht verlassen, bevor nicht jeder Passagier gesehen hat, wie man eine Rettungsweste aufbläst. "Das glaub' ich einfach nicht", mault einer. "Was machen sie denn jetzt hier so eine komische Übung, wenn doch nachher sowieso alle 'n Filmriss haben?"

Man kann nicht abstreiten, dass das ein ziemlich stichhaltiges Argument ist. Denn das hier ist nicht irgendein Kreuzfahrtschiff. Es ist die Full Metal Cruise II, ein Heavy-Metal-Schiff. Zweitausend Passagiere sind an Bord, vornehmlich Männer mit schwarzen Klamotten und Zottelbärten und einem recht, na ja, speziellen Musikgeschmack. In den nächsten fünf Tagen wird das Schiff auf dem Mittelmeer unterwegs sein, als eine Art mobile Alkoholvergiftung.

Oomphh, oomph, wooooahaha. Das ist der Sound dieser Reise.

Wybke Meier sitzt an einem kleinen Tisch in der Lounge auf Deck 12, den Rücken kerzengerade durchgedrückt, mit Schal und Jäckchen, durch und durch hanseatisch. In dieser Umgebung sieht sie aus wie jemand, dem bei der Urlaubsbuchung ein skurriler Fehler passiert ist. "Gut, die Musik ist jetzt nicht mein privater Geschmack", sagt sie. Die Zahlen allerdings sind es schon: 2000 zahlende Gäste sind auf diesem Schiff, die Reise war in weniger als zwei Stunden ausgebucht. Wybke Meier ist die Vorstandschefin von Tui Cruises und das "Ooomphh, oomph, wooooahaha"-Schiff ist ein ziemlich großer Erfolg für sie.

"Das ist hier natürlich etwas anders als sonst", sagt Meier und lächelt. "Sehr lebendig."

Die Full Metall Cruise II ist vielleicht der auffälligste, bei weitem aber nicht der einzige Versuch, mit dem die Kreuzfahrtgesellschaften versuchen, ihre Zielgruppe zu verbreitern. Das musikalische Kontrastprogramm etwa wird ebenfalls offeriert: Kreuzfahrten mit permanenter Schlager-Beschallung, zum Beispiel. Das Grundkonzept ist das gleiche wie auf dem Heavy-Metal-Schiff: Die Stars der Szene sind mit an Bord, geben während der Reise Konzerte und Autogrammstunden, und mit ein bisschen Glück kann man sie auch morgens am Frühstücksbuffet sehen. Helene Fischer hat das auch schon gemacht, eine Reise auf einem Schiff voller Helene-Fischer-Fans. Klassik-Liebhaber können demnächst eine Reise mit den Wiener Philharmonikern buchen.

Normalerweise lassen sich Unternehmen solche Dinge einfallen, wenn sie in der Krise sind. Die Kreuzfahrtgesellschaften sind es nicht, im Gegenteil. Seit Jahren verzeichnet die Branche enorme Wachstumsraten. Die Verjüngung des Publikums ist eigentlich längst vollzogen. Bis Ende der 1990er-Jahre seien Kreuzfahrten vor allem für älteres Publikum gedacht gewesen, sagt Meier, dementsprechend waren die Konzepte "eher luxuriös und daher hochpreisig". Eine Veranstaltung für gut situierte Senioren, die Ruhe schätzen und ein sehr frühes Abendessen. Die ein Erlebnis wollten, wie man es aus dem "Traumschiff" kennt: Man zieht sich dreimal täglich um und hofft - Jackpot! - abends zum Dinner an den Tisch des Kapitäns eingeladen zu werden. Zum Dessert gibt es Eistorte mit Wunderkerzen oben drauf und eine Dekoration mit bunten Luftballons. Das ist keine schlechte Klientel, aber für den großen Boom reichte das nicht.

Auf der Full Metal Cruise II gibt es keine Eistorte und kein Dinner mit dem Kapitän, obwohl der sich sehr bemüht und seine Durchsagen immer beginnt mit "Liebe Rockers!". Es gibt Currywurst in einer Grillecke, die rund um die Uhr geöffnet hat. Es gibt auch Burger und Pommes Schranke und Linsensuppe im Plastikbecher. Theoretisch hat auch das Sterne-Restaurant geöffnet, na gut.

Am Ende werden 32 000 Liter Bier verbraucht worden sein, aber nur 6000 Liter Wasser

Vor allem aber gibt es: Bier. Richtig viel Bier. 32 000 Liter hat das Schiff geladen, mehr als drei Liter pro Tag und Person. Zum Vergleich: Der Verbrauch von Mineralwasser wird am Ende bei schnöden 6000 Litern liegen.

"Ich find's irre geil hier, irre geil!", brüllt einer, der möglicherweise Holger heißt oder wenigstens so ähnlich. Genau kann man das nicht verstehen, denn auf dem Pooldeck spielen gerade Russkaja, eine österreichische Formation, die derzeit, mit Verlaub, der heißeste Scheiß ist. Der potenzielle Holger geht gut ab. Er trägt ein T-Shirt, das deutlich macht, dass er 2004 in Wacken dabei war, dem weltweit größten Heavy-Metal-Festival, das jedes Jahr auf einem Krautacker in Schleswig-Holstein stattfindet. Holger hat nicht mehr ganz die gleiche Kleidergröße wie 2004, aber wen schert das schon. "Wart mal, sorry, aber ich muss, ich muss!", schreit Holger plötzlich, drängelt sich zum Pool und breitet die Arme aus, mit dem Bier in der Hand. Er schreit "wooooahahaaaaa!!!!" und stürzt sich Kopf voran ins Wasser. Man ist irgendwie erleichtert, dass er auch wirklich wieder auftaucht. Den Becher hat er immer noch in der Hand.

Es waren die Aida-Schiffe, die dem deutschen Kreuzfahrtmarkt um die Jahrtausendwende wieder Leben einhauchten. Die Schiffe bieten Cluburlaub, familientaugliche All-Inclusive-Atmosphäre für die gut verdienende Mittelschicht, das hat sich durchgesetzt. Seither wächst kein touristisches Segment prozentual so schnell wie die Kreuzfahrtbranche. Aber insgesamt sei das Potenzial längst nicht ausgeschöpft, sagt Meier. Zwei Millionen Kreuzfahrtreisende aus dem deutschen Markt soll es in diesem Jahr geben. "Im Vergleich zum Gesamtreisemarkt ist die Durchdringungsquote bei uns noch viel geringer als zum Beispiel in den USA", sagt sie.

In den USA allerdings ist das Angebot auch noch mal eine Stufe, sagen wir: differenzierter. Trinkfreudige Metalheads wirken da im Vergleich fast schon ein bisschen spießig. Unter anderem im Angebot: Kreuzfahrten speziell für Männer über 50, die gerne mal das Portemonnaie öffnen, und Frauen unter 30, die gerne Geschenke bekommen. Sugardaddy sucht Sugarbabe irgendwo auf hoher See, sozusagen. Seit kurzem gibt es auch das Gegenmodell Cougar-Cruises: Cougars nennen die Amerikaner Frauen, die auf der Suche nach deutlich jüngeren Liebhabern sind. Außerdem gibt es Schiffe für Singles, für Schwule und Lesben, für Golfspieler, für Nacktradler. Und in der Karibik und im Mittelmeer gleichermaßen kreuzen regelmäßig Schiffe für FKK-Anhänger.

Wybke Meier will lieber auf Sport setzten, Yoga, Fitness, solche Dinge. "Das könnten Anknüpfungspunkte sein", sagt sie. Und dass es für solche Themenreisen am wichtigsten sei, dass es eine Community gebe, die gut vernetzt und leicht greifbar sei. Jazz zum Beispiel würde sich auch gut machen auf einem Schiff, aber die Leute hören Jazz zu Hause in ihren Wohnzimmern oder in kleinen Clubs rund um den Globus. Wie will man die finden?

Die Heavy-Metal-Menschen dagegen sind leicht zu orten, sie sind in Blogs und Facebook-Gruppen, und vor allem sie sind in Wacken, jedes Jahr im August. Die Schiffsreise ist eine Kooperation zwischen den Wacken-Organisatoren ICS und Tui Cruises, deshalb sind die Full Metal Schiffe kein wirtschaftliches Risiko: die nächste findet schon in diesem August statt, natürlich waren alle Tickets in weniger als einer Stunde weg.

Doro ist jetzt da, na endlich. Wurde aber auch Zeit. Es warten ja schon alle dicht gedrängt vor dem Saal. Russkaja mögen gerade der heißeste Scheiß sein, aber Doro Pesch, 50, ist eine Ikone. Die große alte Frau des Metal. Doro ist die einzige, die nicht allein zum Frühstücksbuffet gehen kann, weil die Metalfans bei ihr in den Helene-Fischer-Fan-Modus fallen und es dann eher nix wird mit dem Frühstück. Aber jetzt ist es Abend geworden, das Schiff ist irgendwo zwischen Barcelona und Ibiza, und Doro soll im Schiffstheater auftreten. Als sie endlich da ist, trägt sie etwas, das Ähnlichkeit mit einer Hose hat, mit viel Schwarz und viel Metall drauf. "Ihr seid so geil!", brüllt sie. Zurück schallt, tausendfach, die größtmögliche Liebesbekundung: "Woohähä!!!!"

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