Kredite für Griechenland:"Lasst uns mit dem IWF nicht spielen"

Athen wäre den Internationalen Währungsfonds gerne los. Dessen Kredite sind besonders teuer. Zudem ist er streng. EU-Kommissar Moscovici will ihn genau deswegen behalten.

Von Alexander Mühlauer

Am Tag danach sitzt Pierre Moscovici im zehnten Stock der Europäischen Kommission und schaut dem Regen draußen zu. Er muss kurz innehalten, bevor er sagt: "Er war der Größte." Mehr gibt es nicht zu sagen. David Bowie ist tot, die Nachricht hat Moscovici erschüttert. Was bleibt? "Heroes", sein Lieblingssong. Und das eigentliche Drama: Moscovici war nie auf einem Konzert des Popstars. Hat er nicht geschafft. Er sagt: "Ein großes Versäumnis."

Pierre Moscovici, geboren 1957 in Paris, ist Wirtschafts- und Währungskommissar der Brüsseler Behörde. Wenn er in diesen Tagen nicht gerade an David Bowie denkt, beschäftigen ihn weitaus unbedeutendere Helden des Alltags. Die Euro-Finanzminister zum Beispiel, die er an diesem Donnerstag mal wieder treffen wird. Im vergangenen Jahr hatten sie eigentlich nur ein Thema, wenn sie in Brüssel anreisten: Griechenland. Wie es aussieht, wird ihnen die Regierung in Athen auch 2016 Kopfzerbrechen bereiten.

Moscovici beschreibt die Lage, wie man im Technokratensprech so schön sagt, zurückhaltend positiv. In Griechenland habe die wirtschaftliche Erholung eingesetzt, sagt der Kommissar. "Im Sommer sprachen wir noch über Grexit, aber am Ende hat die Rationalität recht behalten." Seiner Ansicht nach verhält sich die griechische Regierung unter Premier Alexis Tsipras "engagiert und konstruktiv". Sie müsse allerdings schwierige Reformen voranbringen - und dazu zähle vor allem die Rentenreform. Erst dann werde man im Kreis der Gläubiger über die Frage der Schuldentragfähigkeit reden. Moscovici ist guter Hoffnung, dass "wir eine intelligente Herangehensweise für die Schuldenfrage finden werden". Denn diese ist, neben den Reformen in Griechenland, die entscheidende Voraussetzung dafür, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) sich weiter an den Milliardenkrediten für Athen beteiligt.

Erste Vorschläge für Rentenreform

Ginge es nach Tsipras, wäre die Sache schnell gelöst: Athens Regierungschef hätte den Fonds aus Washington am liebsten los. Ganz einfach deshalb, weil Griechenland an den Fonds deutlich höhere Zinsen zahlen muss als bei den Krediten der Euro-Partner. Außerdem hat sich der IWF immer wieder als harter Kritiker der griechischen Politik hervorgetan. Doch genau das schätzen viele Euro-Länder, für sie gilt der Fonds als Garant strikter Kontrollen. Die Frage, ob er sich weiter in Griechenland engagiert, wird der große Knackpunkt in diesem Jahr.

Doch bis darüber entschieden wird, dauert es noch. Die Regierung in Athen hat Anfang des Monats erste Vorschläge für eine Rentenreform vorgelegt. Diese werden nun von den Euro-Partnern geprüft. 1,8 Milliarden Euro verlangen die Gläubiger an Einsparungen. Doch Athen will die Rentenausgaben weitaus weniger stark senken. Bislang stellt die griechische Regierung lediglich Kürzungen von 1,2 Milliarden Euro in Aussicht. Die verbleibende Summe von 600 Millionen Euro will Griechenland über höhere Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erwirtschaften. Doch bei den Euro-Partnern und insbesondere beim IWF gibt es große Vorbehalte, weil steigende Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit des Landes schwächen könnten.

File photo of protesters holding a giant Greek national flag during an anti-austerity and pro-government demonstration in front of the parliament in Athens

Demonstrationen in Griechenland gegen die Sparpolitik

(Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

"Die Rentenreform ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Überprüfung der Reformen", sagt Moscovici. Eines betont er ganz deutlich: "Ich will, dass der IWF an Bord bleibt." Die Kommission werde versuchen, zusammen mit den anderen Gläubigern, eine Einigung mit dem Fonds zu erreichen. Die Beteiligung des IWF sei nicht nur wertvoll für Griechenland, sondern auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. "Denn für viele Mitgliedsländer ist die Beteiligung des IWF ein heikler Punkt, nicht nur für Deutschland", sagt Moscovici.

Problem für Merkel

Nicht nur, aber vor allem für Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihr Schicksal in der Euro-Krise an die künftige Beteiligung des IWF geknüpft. Im Sommer 2015 konnte sie die eigene Bundestagsfraktion nur zu einer Zustimmung zum Griechenland-Paket bewegen, weil sie klargemacht hat, dass der IWF weiter dabeibleibt. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte sie weite Teile der CDU/CSU-Abgeordneten nicht überzeugen können. Für viele in der Union gilt der IWF nach wie vor als Institution, die Athen am stärksten unter Druck setzt. Viele in Berlin sehen in den Hardlinern aus Washington das Gegenteil zum Kurs der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde gilt besonders in Deutschland als zu verständnisvoll, zu nachsichtig, zu gutmütig. Falls der IWF also tatsächlich aussteigen sollte, wäre das vor allem ein innenpolitisches Problem von Merkel. Ein Problem, das sie angesichts anderer Krisen unbedingt vermeiden will.

Moscovici jedenfalls spricht eine Warnung an Athen aus: "Lasst uns mit dem IWF nicht spielen." 2015 war aus seiner Sicht schon kompliziert genug, 2016 müsse nun "ein Jahr der Lösungen" werden. Vor allem die Flüchtlingskrise habe viel Energie gekostet. "2015 hat Europa mit Humanität und Solidarität geantwortet. Aber auch mit Egoismus", sagt Moscovici. Die Flüchtlingskrise sei ein Ventil für Populisten. "Wir müssen Europa aber vor denjenigen schützen, die das Elend für ihre Zwecke ausnutzen."

"Deutschland muss dafür sorgen, dass die heimische Nachfrage noch stärker wird"

Tax Rulings II - Economic and Monetary Affairs Committee

Pierre Moscovici

(Foto: Laurent Dubrule/dpa)

Die Flüchtlingskrise beschäftigt auch sein Ressort. Denn um sie zu bewältigen, braucht man Geld. Länder wie Österreich oder Italien dringen schon länger darauf, dass die Kosten zur Eindämmung der Flüchtlingskrise als außerordentliche Ausgaben bei der Kommission anerkannt werden - damit sie gegen die Auflagen des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht noch stärker verstoßen.

Kritiker, besonders jene aus Berlin, werfen Moscovici vor, die Maastricht-Kriterien so stark zu dehnen, dass der Pakt ein stumpfes Schwert geworden sei. Doch der Kommissar widerspricht: "Der Pakt ist nicht tot! Die Regeln sind für alle gleich. Und für diese Kommission ist der Pakt die Regel. Er muss respektiert werden. Würde ich das nicht tun, wäre ich selbst nicht glaubwürdig." In Berlin verweisen sie gerne darauf, dass Moscovici in seiner Zeit als französischer Finanzminister nicht ein einziges Mal die Vorgaben des Paktes einhielt. Und dass er als Kommissar vor allem sein Heimatland Frankreich schone, das seit Jahren immer wieder Aufschub bekommt, seinen Haushalt zu sanieren.

Präsident François Hollande hat nach den Terroranschlägen von Paris diesen einprägsamen Satz gesagt: "Der Sicherheitspakt ist wichtiger als der Stabilitätspakt." Moscovici war einst Hollandes Wahlkampfleiter, er meint: "Ja, es gibt Flexibilität, aber die ist marginal. Wenn es um die Bewältigung außerordentlicher Ereignisse wie die Bekämpfung des Terrorismus oder die Flüchtlingskrise geht, müssen wir flexibel bleiben. Und wir werden die Maßnahmen der einzelnen Länder ex post objektiv prüfen." Klar sei jedenfalls: Die Regierung in Paris müsse das Defizit weiter abbauen.

Frankreich ist mit seinen Problemen nicht allein. Die neue Regierung in Portugal müsse liefern, findet Moscovici; im Februar werde die Euro-Gruppe über das Lissabonner Budget beraten. Den überarbeiteten spanischen Haushaltsplan werde die Kommission prüfen, sobald eine neue Regierung im Amt ist. "Und was Italien betrifft, zeigen wir wirklich die gesamte Flexibilität, die uns die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts geben", sagt der Kommissar. Auch für Berlin hat er eine Aufgabe: "Deutschland muss dafür sorgen, dass die heimische Nachfrage noch stärker wird."

Am Ende des Gesprächs will Moscovici über Steuerpolitik reden. Er sei sehr stolz auf das, was 2015 in Sachen Transparenz erreicht worden sei. Die EU-Länder haben den Vorschlag der Kommission zwar deutlich abgeschwächt, aber im Ergebnis erstmals einen automatischen Informationsaustausch über Steuervorbescheide beschlossen. Auch beim G-20-Treffen in Lima waren es die Länder der EU, die auf einen Wandel in der Steuerpolitik drangen. Am 27. Januar wird Moscovici das Paket der Kommission gegen Steuerflucht und Steuervermeidung vorstellen.

Bis dahin ist noch ein wenig Zeit. Zeit, dem Regen draußen zuzuschauen. Und leise vor sich hin zu summen. Oh we can be heroes, just for one day.

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