Glivec:Pharmakonzern Novartis verliert Patentstreit um Krebsmittel

Nur eine neue Variante eines alten Wirkstoffs: Der Pharmakonzern Novartis hat einen jahrelangen Patentstreit in Indien endgültig verloren. Das höchstrichterliche Urteil um ein Krebsmedikament gilt als Präzedenzfall, von dem nun zahlreiche arme Patienten weltweit profitieren dürften.

Proteste gegen Novartis

Proteste gegen Novartis in Neu Delhi (Archivfoto)

(Foto: AFP)

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis hat den Patentstreit um sein Krebsmittel Glivec in Indien endgültig verloren. Das Oberste Gericht des Landes verweigerte am Montag den Patentschutz für das Medikament. Es erfülle nicht die indischen Patentregeln, hieß es zur Begründung.

Beobachter sehen in der höchstrichterlichen Entscheidung einen Präzedenzfall, der für andere Patentklagen westlicher Unternehmen in Indien wegweisend sein könnte. Novartis wollte bereits 2006 ein Patent für Glivec anmelden. Doch die Behörden lehnten dies mit der Begründung ab, dass das Mittel nur eine leicht veränderte Version eines älteren Wirkstoffs enthalte. Novartis verlor in der nächsten Instanz erneut und zog 2009 vor das Oberste Gericht.

Patentschutz für teure westliche Arzneien ist in Indien schwer zu erlangen. Nach dem indischen Patentrecht von 2005 werden Mittel nur geschützt, wenn eine "erhöhte therapeutische Wirksamkeit" nachweisbar ist. So soll das "Evergreening" verhindert werden, also die Verlängerung des Patentschutzes mit nur minimalen Veränderungen zum vorher patentierten Wirkstoff.

Novartis steht auf dem Standpunkt, dass Glivec sehr wohl ein neues Medikament sei und eine "bahnbrechendes Krebsbehandlung" bei Leukämie möglich mache. In fast 40 Ländern habe das Unternehmen dafür Patente erhalten. Zwar sei das Molekül bereits patentiert gewesen, aber erst nach jahrelanger Forschung habe man es in eine Kristallform gebracht, sodass das Medikament sicher verabreicht werden könne. Das Urteil entmutige die Unternehmen, innovative Medikamente zu entwickeln. Neue Pharmaprodukte zu erforschen sei sehr teuer, riskant und nur möglich, wenn die Mittel für eine gewisse Zeit patentiert werden könnten.

"Patienten sollten jubeln"

In Indien sind Millionen Menschen auf günstige Nachahmerprodukte, Generika, angewiesen. Hilfsorganisationen begrüßten das Urteil, da günstige Nachahmer-Präparate aus Indien für die ganze Welt wichtig seien. Die Entscheidung ermögliche es, "erschwingliche Medikamente für die Armen" zur Verfügung zu stellen, sagte ein Patientenvertreter. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen lobte die Entscheidung ebenfalls, weil die Generika in zahlreiche Länder exportiert würden. Dabei gehe es nicht nur um Krebsmedikamente, sondern auch um Präparate gegen HIV, sagte eine Sprecherin dem indischen Nachrichtensender NDTV. "Patienten in Indien und diejenigen in den Entwicklungsländern wie Thailand, Brasilien, Afrika südlich der Sahara, sollten alle jubeln."

Auch Indiens Pharmaunternehmen, die sich auf das Kopieren von bestehenden Präparaten spezialisiert haben, begrüßten das Urteil. Sie können damit nach dem Ablauf der meist 20-jährigen Patentfrist die Präparate als Generika herstellen und zu einem Bruchteil des Original-Preises verkaufen. Eine Anwältin des Generikaherstellers Cipla sprach von einem "Präzedenzfall": "Das Gericht sagt, dass Patente nur für wirkliche Erfindungen erteilt werden, wiederholtes Patentieren wird nicht erlaubt." Ein Geschäftsführer des Generikaunternehmens Natco sprach von einem "großen Sieg": "Davon profitieren nicht nur wir, sondern auch alle armen Menschen, die auf billige Medikamente angewiesen sind."

Die große Konzerne dagegen gehen in der Regel gegen Generika vor. Sie sehen in Indien ihre geistigen Eigentumsrechte gefährdet. Das höchstrichterliche Urteil ist der vorläufige Höhepunkt in einer Serie von Niederlagen, die große Markenhersteller in Indien einstecken mussten. Roche und Pfizer wurden im vergangenen Jahr Patente aberkannt und Bayer musste Anfang März eine Zwangslizenz für sein Krebsmittel Nexavar akzeptieren.

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