Korruptionsskandal bei Siemens:Staatsanwälte waschen Pierer rein

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Ex-Konzern-Chef Pierer hat nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nichts vom System der schwarzen Kassen bei Siemens gewusst. Kritiker bemängeln, die Personalie werde nicht ausreichend untersucht.

Klaus Ott

Auf unteren Ebenen sei dafür gesorgt worden, dass der Vorstand davon nichts erfuhr. In Behörden- wie Unternehmenskreisen gibt es aber Zweifel daran, dass die Strafverfolger eine mögliche Verstrickung des Vorstandes ausreichend untersuchen. Die Staatsanwaltschaft soll gedrängt worden sein, die Ermittlungen schnell zu beenden. Das Justizministerium bestreitet das.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist die Münchner Staatsanwaltschaft bei ihren bisherigen Ermittlungen zu der Erkenntnis gelangt, das bei der Siemens AG über viele Jahre hinweg betriebene System schwarzer Kassen und weltweiter Schmiergeldzahlungen sei dem Zentralvorstand nicht bekannt gewesen. Auf der Ebene unterhalb der Konzernspitze sei dafür gesorgt worden, dass kein Mitglied des Zentralvorstandes von diesem System erfahren habe. Nach den Ermittlungsergebnissen haben Siemens-Mitarbeiter in vielen Ländern Geschäftspartner, Behörden und Regierungen bestochen, um Aufträge für den Bau von Kraftwerken und Telekommunikationsanlagen und für andere Projekte zu erhalten.

Seit Ende 2006 und Anfang 2007 laufen Verfahren gegen zwei frühere Zentralvorstände. Sie sollen frühzeitigen Hinweisen auf Korruptionsfälle nicht konsequent nachgegangen sein. Beide wollen von dem Schmiergeldsystem jedoch nichts gewusst haben. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Christian Schmidt-Sommerfeld, sagte auf Anfrage, es sei offen, ob man gegen weitere Vorstände vorgehe.

Nach Angaben von Beteiligten an dem Ermittlungsverfahren ist das nicht vorgesehen. Vielmehr werde überlegt, nach der ersten Anklage gegen einen ehemaligen Siemens-Direktor drei weitere frühere Führungskräfte aus der zweiten und dritten Reihe anzuklagen. Der Exdirektor hatte schwarze Kassen verwaltet. Über die Zulassung der Anklage gegen ihn will das Landgericht München nach Angaben der Justizpressestelle Mitte April entscheiden.

Der Zentralvorstand wurde von 1992 bis Anfang 2005 von Pierer und danach bis Mitte 2007 von Klaus Kleinfeld geleitet. Ihm gehörten bis zu zehn Manager an, die bei Siemens in der Regel über Jahrzehnte hinweg Karriere gemacht hatten. Der Korruptionsskandal war im November 2006 durch eine Großrazzia bekanntgeworden. Ein halbes Jahr später legte Pierer den Aufsichtsratsvorsitz nieder, den er nach seiner Zeit als Vorstandschef übernommen hatte. Konzernchef Kleinfeld schied aus und wurde durch Peter Löscher ersetzt, der von außen kam. Löscher schaffte den alten Zentralvorstand ab, verkleinerte die Konzernspitze und besetzte sie weitgehend neu.

Pierer und Kleinfeld hatten wiederholt erklärt, von dem Schmiergeldsystem nicht gewusst zu haben. Allein zwischen 2000 und 2006 sind bei Siemens nach Angaben des Konzerns etwa 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geflossen.

Der neue Antikorruptionsbeauftragte Andreas Pohlmann hatte im Februar in einem SZ-Interview gesagt, es sei "kaum vorstellbar, dass aus einem Unternehmen eine so große Summe Geld verschwindet und die Führung davon nichts bemerkt". Zu dieser Ansicht waren auch einflussreiche Aufsichtsräte bei Siemens gelangt, die daraufhin den Wechsel an der Konzernspitze betrieben hatten. Ein Aufsichtsrat sagte am Mittwoch, er habe den Eindruck, dass man jetzt "die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt".

Einen Monat nach der Großrazzia von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei vom 15. November 2006, mit der die Affäre begonnen hatte, war der damalige Aufsichtsratschef Pierer bei Innenminister Beckstein vorstellig geworden. Das bestätigte die Staatsregierung auf Anfrage. Pierer habe "die Auswirkungen der Korruptionsaffäre auf die Siemens AG dargestellt". Er habe nicht versucht, über das Ministerium Einfluss auf die kriminalpolizeilichen Ermittlungen zu nehmen. Beckstein war als Innenminister für die Polizei zuständig.

Beteiligte an dem Ermittlungsverfahren haben Zweifel, ob der Skandal vollständig aufgeklärt werde. Angeblich habe der Vorgesetzte der Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwalt Christoph Strötz, gedrängt, die Ermittlungen rasch zu beenden. Strötz sagte auf Anfrage, das sei nicht der Fall. "Die Kollegen haben in jeder Hinsicht freie Hand." Das Justizministerium teilte mit, man habe nicht darauf gedrängt, das Ermittlungsverfahren bald abzuschließen.

© SZ vom 03.04.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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