Korruption in Unternehmen:"Schwächen im Kontrollsystem"

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Aufsichtsräte sollten künftig misstrauischer sein und genauer hinschauen - auch das ist eine der vielen Lehren aus dem Korruptionsfall Siemens.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Als Aufsichtsräte noch hinter gepolsterten Türen Zigarren rauchten und ihr Feldherr, der selige frühere Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs ("Mein Name ist Abs, A wie Abs, B wie Abs, S wie Abs") eine Art Generalstab anführte, konnten Kontrolleure fast völlig unkontrolliert agieren.

In der alten Deutschland AG wäre niemand auf die Idee gekommen, Aufsichtsräte haftbar zu machen. (Foto: Foto: ddp)

Aufsichtsräte als müde Zuschauer

Durch raffinierte personelle Kreuz- und Querverbindungen hatte sich die industrielle Oberklasse des Landes abgesichert. Selbst bei großen Krisenfällen wie der Pleite des Elektrokonzerns AEG erlebten Aktionäre die von ihnen bestellten Aufsichtsräte in der Rolle von müden Zuschauern.

In der alten Deutschland AG wäre niemand auf die Idee gekommen, Aufsichtsräte vom Schlage Abs haftbar zu machen.

Die Zeiten der gegenseitigen Rücksichtnahmen sind vorbei. Das Kontrollgremium des Weltkonzerns Siemens will fast den gesamten früheren Zentralvorstand auf Schadenersatz verklagen, weil die frühere Leistungsriege es versäumt habe, gegen das Korruptionssystem einzuschreiten.

Die Abteilung Compliance, die für die Einhaltung von gesetzlichen Regeln und internen Standards sorgen soll, sei ungenügend organisiert gewesen. Die Klage ist aus Sicht der Aufsichtsräte unvermeidbar: Wenn sie nicht gegen die alte Konzernspitze vorgehen würden, könnten sie von den Aktionären selbst für Schäden haftbar gemacht werden.

Auch das Kapitel der Kontrolleure muss neu geschrieben werden. Bisher ist die Frage der Aufsichtsratshaftung in der Literatur nur am Rande untersucht worden. "Hängt das vielleicht mit einer fehlenden praktischen Bedeutung des Problems zusammen?", hat der Mainzer Rechtsprofessor Uwe H. Schneider in einem Aufsatz provokant gefragt.

Gegenseitige Abhängigkeiten

Es habe bislang "systemimmanente" Hindernisse gegeben, meint der Frankfurter Advokat Martin Pelter, ein Spezialist für Schadenersatzansprüche. Aufsichtsräte hätten Hemmungen gehabt, gegen Vorstände vorzugehen, weil ihnen dann "Überwachungsfehler hätten vorgeworfen werden können". Und Vorstände seien nicht gegen Aufsichtsräte vorgegangen, weil von den Kontrollgremien ihre Wiederbestellung oder Abberufung abhänge.

Fälle, bei denen Aufsichtsräte in Haftung genommen wurden, sind selten. Ein Kontrolleur der Bielefelder Balsam AG wurde einmal zu rund 2,5 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Er hatte von Tricksereien und Manipulationen erfahren und nicht sofort etwas unternommen, sondern die nächste Aufsichtsratssitzung abgewartet. Am Ende zahlte eine Versicherung. Durch das 2005 beschlossene Gesetz zur "Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts", kurz UMAG, könnte sich etwas ändern.

Auf der nächsten Seite: Die Pflichten der Aufsichtsräte sind ausgeweitet worden.

Mit dem Gesetz wurde auch das Klagerecht von Aktionären gegen Aufsichtsratsmitglieder eingeführt. "Damit könnte die Organhaftung auch im Konzern eine größere Bedeutung bekommen", glaubt Schneider. Im Falle Siemens würde es, wenn etwa die Aktionäre Einwände erheben würden, um andere Summen als bei dem Sportböden-Hersteller Balsam gehen. Haben die Kontrolleure geschlafen, weggeschaut, oder sind sie von den Managern hereingelegt worden? Aufgaben und Pflichten der Aufsichtsräte sind in den vergangenen Jahren ständig ausgeweitet worden. "Mit dieser Ausweitung ist die Gefahr von Pflichtverletzungen naturgemäß erheblich gewachsen", stellt der Bonner Gesellschaftsrechtler Marcus Lutter fest.

Aufsichtsrat mit Compliance-Aufgabe

In einem Gutachten für den Siemens-Aufsichtsrat hat der Bonner Wirtschaftsrechtler Holger Fleischer mögliche Pflichtverletzungen ganz allgemein erläutert: "Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Compliance-Aufgabe durch den Vorstand." Fleischer beschrieb auch die Anforderungen an den Prüfungsausschuss im Siemens-Aufsichtsrat, der dafür sorgen soll, dass die Bilanzen korrekt sind und Unregelmäßigkeiten abgestellt werden.

"Die Mitglieder des Prüfungsausschusses müssen sich davon überzeugen, dass die Compliance-Organisation besteht und funktionsfähig ist. Werden sie vom Vorstand über gravierende Compliance-Verstöße unterrichtet, so müssen sie ihre Überwachungstätigkeit intensivieren." Ob die Ausschussmitglieder bei Siemens ihre Kontrollpflichten erfüllt hätten, lasse sich "auf der Grundlage des mitgeteilten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen", notierte Fleischer.

Die US-Kanzlei Debevoise & Plimpton, die Siemens im Auftrag des Aufsichtsrats durchleuchtet, hat dem Ausschuss bescheinigt, korrekt gehandelt zu haben. Andererseits hat der Ausschuss Anfang 2006 brisante Informationen erhalten. Der damalige Anti-Korruptionsbeauftragte des Konzerns, Albrecht Schäfer, teilte mit, in der Schweiz seien auf Treuhandkonten eines griechischen Siemens-Vorstandes in den vorherigen fünf Jahren 37 Millionen Euro eingegangen.

Auf der nächsten Seite: Generelle Schwäche bei Kontrollsystemen - nicht nur bei Siemens.

Die Dresdner Bank habe Anzeige wegen Geldwäsche erstattet. Der griechische Manager habe gegenüber der Bank erklärt, dass das Geld "im Wesentlichen von Siemens stamme". Warum hat der Prüfungsausschuss, dem seit Anfang 2005 der frühere Thyssen-Krupp-Chef und heutige Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme vorstand, keine Sonderuntersuchung veranlasst?

Der Vorstand kümmert sich

"Anlass zur Ergreifung eigener Ermittlungsmaßnahmen dürfte erst bestehen, wenn es konkrete Anzeichen dafür gibt, dass der Vorstand seine Compliance-Verantwortung nicht in ausreichendem Maße wahrnimmt", schreibt der Gutachter Fleischer etwas umständlich in seiner Expertise. "Wir sind davon ausgegangen, der Siemens-Vorstand kümmert sich darum", sagt Heinz Hawreliuk von der IG Metall, der dem Aufsichtsrat seit mehr als zehn Jahren angehört. "Wir haben auf die Verantwortung der zuständigen Vorstände und Abteilungen gebaut".

Im April 2005 hatte sich Hawreliuk im Prüfungsausschuss erkundigt, ob es "Indizien für die Existenz von Kassen außerhalb der Siemens AG" gebe. Laut Protokoll hat der damalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger geantwortet, es gebe "keine Hinweise, dass etwaige Konten dem Unternehmen zuzurechnen" seien.

Maximales Maß an Misstrauen

Der Prüfungsausschuss sei in die Irre geführt worden, sagt Hawreliuk heute. Durch "Weglassen oder falsche Erklärungen" sei gegenüber dem Ausschuss "systematisch ein falsches Bild erzeugt worden". Auch Cromme fühlt sich getäuscht. In der Konzernzentrale sei es früher beinahe konspirativ zugegangen, hat er mal vor Vertrauten geklagt.

Hawreliuk spricht von einer "generellen Schwäche in den Kontrollsystemen, nicht nur bei Siemens." Für effektive Aufsicht bräuchten Aufsichtsräte "größere Kompetenzen, und sie müssten auch mit eigenen Ressourcen für unabhängige Ermittlungen"ausgestattet werden. Hawreliuks Lehre für die Tätigkeit von Aufsichtsräten aus dem Fall Siemens: "Man muss alle Vorgänge mit einem maximalen Maß an Misstrauen beurteilen." Das hätte vielleicht auch Abs gefallen. Der Übervater der Deutschland AG galt als beinhart - und äußerst misstrauisch.

© SZ vom 01.08.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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