Korruption bei Thyssen-Krupp:Ärger mit dem Schienenpapst

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Ärger in der Konzernzentrale von Thyssen-Krupp in Essen.

(Foto: Patrick Stollarz/AFP)

Bizarres bei Thyssen-Krupp: Ein wegen Bestechung verurteilter Manager blieb mit Billigung der Konzernspitze jahrelang Spartenvorstand. Der Mann soll in dieser Zeit auch noch an Kartellabsprachen beteiligt gewesen sein - und dabei weiterhin die Deutsche Bahn betrogen haben.

Von Klaus Ott

Geradezu ehrfürchtig haben sie ihn "Schienenpapst" bei Thyssen-Krupp genannt. Weil er sich so gut ausgekannt hat mit allem, was mit der Bahn zu tun hat. Und weil er so tolle Kontakte in dieser Branche hatte, die der Stahlgigant aus dem Ruhrgebiet mit Schienen und Weichen, Schwellen und Schrauben beliefert. Das Ganze inklusive Rundum-Service: Planung, Wartung, Instandhaltung. Davon verstand der Mann aus dem Ruhrpott, der inzwischen Ruheständler ist, sehr viel. Und er wusste, wie man Aufträge besorgt - notfalls mit Schmiergeld.

Im Mai 2003 wurde er vom Landgericht Frankfurt wegen Bestechung eines Managers der Deutschen Bahn verurteilt. 240.000 Euro waren dafür geflossen, dass die Bahn den Stahlkonzern gegenüber Konkurrenten bevorzugte. Mit 90.000 Euro Geldstrafe kam der Schienenpapst noch glimpflich davon. Ein alter Fall. Doch er führt jetzt mitten hinein in die schweren Turbulenzen bei Thyssen-Krupp, einem der größten deutschen Industriekonzerne.

Denn der Schienenpapst durfte seine Karriere im Essener Konzerns fortsetzen - obwohl dessen Vorstand der Bahn versprochen hatte, sich von dem korrupten Manager zu trennen. Es geschah: das Gegenteil. Der Arbeitsvertrag des Experten wurde dreimal verlängert, man brauchte ihn angeblich so sehr (er musste nur sein altes Ressort abgeben). Der Vorstand von Thyssen-Krupp um den damaligen Konzernchef Ekkehard Schulz, genannt der "Eiserne Ekki", hat das Unternehmenskreisen zufolge abgenickt.

Anerkannt als "exzellenter Vertriebsprofi"

Der Schienenpapst saß als Vorstandsmitglied einer wichtigen Spartengesellschaft in der zweiten Chefetage, direkt unter dem Konzernvorstand. Und Anfang Oktober 2008 wurde der dann 65-Jährige mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet. Und zwar per Pressemitteilung mit den Jubel-Worten, er sei bei den Kunden "allerseits als exzellenter Vertriebsprofi anerkannt" gewesen. Und er habe sich zeit seines Berufslebens durch "sein einzigartiges Gespür für Märkte und Menschen" ausgezeichnet. Wohl wahr. Wer weiß, wann, wen und wie man schmieren muss, der hat ein "einzigartiges Gespür".

Einzigartig war wohl auch der Umgang von Thyssen-Krupp mit diesem Fall. So einzigartig, dass der Aufsichtsrat sich jetzt bei einer Krisensitzung am kommenden Montag auch mit dem Schienenpapst beschäftigten dürfte. Denn von den Vorständen, die damals ihre schützenden Hände über den Manager hielten, sind drei noch im Amt. Darunter Stahlchef Edwin Eichler, der als Vertrauter des "Eisernen Ekki" gilt. Eichler hatte dem Bahn-Vorstand in einem Schreiben vom 19. September 2003 zugesagt, der Vertrag mit dem Schienen-Mann werde nach der Erledigung von "Abwicklungsaufgaben" und anderen Restarbeiten "vorzeitig beendet". Das war eine der Voraussetzungen dafür, dass eine von der Bahn wegen des Schmiergelddeliktes verhängte Vergabesperre gegen Thyssen-Krupp wieder aufgehoben wurde. Doch der Schienenpapst durfte bleiben.

Die Bahn wurde weiter betrogen

Das Staatsunternehmen Bahn wurde also getäuscht. Und sogar weiter betrogen - womöglich auch von dem raffinierten Schienenspezialisten. Denn der soll die restlichen fünf Jahre zwischen Verurteilung und Ruhestand an herausgehobener Stelle im Konzern dazu genutzt haben, dubiose Geschäfte zu machen.

Kratzer am Lack von Gerhard Cromme

Auch Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Cromme ist wegen der Weiterbeschäftigung des Schienenpapstes unter Druck.

(Foto: dapd)

Der offenbar unersetzbare Manager gilt als Schlüsselfigur bei einem im Frühjahr 2011 aufgeflogenen Schienenkartell. Thyssen-Krupp und andere Unternehmen hatten über viele Jahre hinweg die Preise für Schienen abgesprochen, zulasten der Deutschen Bahn und anderer Eisenbahngesellschaften. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt gegen mehr als 200 Beschuldigte. Einer von ihnen ist der Schienenpapst. Der bestreitet, beim Kartell dabei gewesen zu sein. Thyssen-Krupp glaubt dem eigenen Ex-Manager nicht - und verklagt ihn beim Landgericht Dortmund auf Schadensersatz.

Die Kartellaffäre hat den Stahlgiganten bereits mehr als 100 Millionen Euro Bußgeld gekostet. Hunderte Millionen Euro Schadensersatz könnten hinzukommen, die Bahn bereitet eine Klage vor. Jetzt also, da Thyssen-Krupp selbst in Bedrängnis kommt, greift die Konzernspitze gegen den Schienenpapst durch. Reichlich spät. Zu spät, wie eine interne Expertise nahelegt.

Der Aufsichtsrat hat kürzlich untersuchen lassen, ob dem Stahl-Vorstand und Schulz-Vertrauten Eichler Versäumnisse wegen des Schienenkartells anzulasten seien und daher Maßnahmen ergriffen werden müssten. Die Antwort zweier Gutachter: nein. In einer der beiden Expertisen wird aber gerügt, dass der Konzern den Schienenspezialisten "nach außen hin aus dem Verkehr gezogen", tatsächlich aber weiterbeschäftigt habe. Das sei "auffällig", schließlich sei der Mann durch seine Verurteilung "vorbelastet" gewesen.

Gute Kontakte zu Saubermann Gerhard Cromme?

Haben den geschäftstüchtigen Schienenpapst seine guten Kontakte bei Thyssen-Krupp geschützt? In den Ermittlungsakten zum Schienenkartell steht sinngemäß, der Spartenvorstand habe im Unternehmen geprahlt, ihm könne niemand etwas anhaben; er habe einen direkten Draht zu Vorstandschef Schulz und zum Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme.

Zu Cromme? Zu dem Manager, der den Saubermann der deutschen Wirtschaft gibt? Der die Regierungskommission "Deutscher Corporate Governance Kodex" geleitet hat, die Standards für saubere Unternehmensführung festlegt? Der nach dem Schmiergeldskandal bei Siemens dort als Aufsichtsratschef aufgeräumt und sich dabei öffentlich empört hat, der alte Vorstand von Siemens habe Korruption "gedeckt, geduldet oder gar initiiert"?

In Thyssen-Krupp-Kreisen heißt es, Cromme habe zum Schienenpapst nur ganz normale Kontakte gehabt, bei den Treffen von Führungskräften und bei anderen Besprechungen. Bis auf eine Ausnahme: An einem vom Schienenpapst anlässlich seines Abschieds vom Konzern veranstalteten Golfturnier habe Cromme teilgenommen. Der Aufsichtsratschef habe damals aber nicht gewusst, dass der angehende Ruheständler fünf Jahre vorher wegen Bestechung bestraft worden war und dass dieses Urteil später nach diversen Einsprüchen des Unternehmens bis hin zum Bundesverfassungsgericht rechtskräftig geworden war. Von dem Schmiergelddelikt habe Cromme erst 2011 erfahren, als das Schienenkartell aufflog.

Was die Frage aufwirft, wie gut sich der bei Siemens so energische Cromme um den eigenen Stahlkonzern gekümmert hat, den er als früherer Krupp-Mann geschmiedet hat. Es könnte eine ungemütliche Sitzung am Montag werden, wenn sich der Aufsichtsrat mit vielen Krisenthemen befassen muss: Milliarden-Verluste bei Stahlwerken in Übersee, kriminelle Kartelle, Schadensersatzforderungen, dubiose Geschäfte im Ausland. Und nun auch noch die ungewöhnliche Karriere eines dem Korruptiven nicht fernen Managers. "Es reicht", sagt einer, der ganz nah dran ist am Geschehen bei Thyssen-Krupp, über die Stimmung im Aufsichtsrat. "Das ist ja unerträglich, da muss aufgeräumt werden."

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