Konflikt um Milchpreis:"Vernichtung einer gigantischen Menge Milch"

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CSU-Chef Huber fordert Verbraucher zu Solidarität mit den deutschen Milchbauern auf, Minister Seehofer kündigt einen "Milchgipfel" an und die Industrie erwägt Klagen gegen die Streikenden. Der Streit um den Milchpreis geht weiter - und den ganzen Montag über versperrten in Deutschland Hunderte Traktoren die Zufahrten zu Molkereien. Die Polizei drohte mit gewaltsamer Räumung.

Im eskalierenden Streit um die Milchpreise geht der Deutsche Bauernverband (DBV) davon aus, dass Molkereien und Einzelhandel unverzüglich mit Preis-Nachverhandlungen beginnen werden.

Tausende Tonnen Milch drohen vernichtet zu werden, befürchten Verarbeiter. Die Lager der Supermärkte könnten bis Mitte der Woche leer sein. (Foto: Foto: ddp)

"Jetzt muss einzeln verhandelt werden", sagte DBV-Sprecher Michael Lohse am Montagabend nach einem Gespräch der Bauernverbände mit dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in Köln. "Die Situation ist klar. Die Molkereien müssen jetzt auf die einzelnen Handelsunternehmen zugehen."

Über das Spitzentreffen der Verbände in Köln wollte Lohse keine Einzelheiten bekanntgeben. "Das Gespräch war konstruktiv." Eine Stellungnahme zu dem Gespräch lehnte auch HDE-Sprecher Hubertus Pellengahr ab.

"Nehmt nicht jede Ramschware"

Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber forderte angesichts des derzeitigen Milch-Lieferboykotts die Verbraucher auf, beim Einkauf heimische Molkereiprodukte zu bevorzugen und sich so solidarisch mit den deutschen Bauern zu zeigen. "Auch Qualität hat seinen Preis, nehmt nicht jede Ramschware", sagte Huber am Montagabend bei einem Treffen mit Milchbauern in Spiegelau (Landkreis Freyung-Grafenau). Der CSU-Chef sprach sich für einen deutlich höheren Milchpreis aus. "Der jetzige Preis sichert die Existenz der Milchbauern auf Dauer nicht."

Nach Einschätzung des Milchindustrieverbandes (MIV) wurde weniger als die Hälfte der sonst üblichen Milchmenge geliefert. Die Industrie droht den protestierenden Bauern mit Klagen. "Die Boykotte sind illegal. Und Illegales muss man mit dem Gesetz bekämpfen", sagte Eberhard Hetzner, MIV-Hauptgeschäftsführer, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Der Verband werde seinen Mitgliedern empfehlen, juristisch gegen Boykotte vorzugehen.

"Wir prüfen gerade, ob der Aufruf des Bundesverbands der Milchviehhalter zum Lieferstopp als Boykottaufruf zu werten ist", sagte Silke Kaul, Sprecherin des Bundeskartellamts, dem Berliner Tagesspiegel. Das sei nach Paragraf 21 des Wettbewerbsgesetzes rechtswidrig. Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohten Bußgelder in Millionenhöhe, schreibt die Zeitung.

Seehofer kündigt "Milchgipfel" an

Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) kündigte unterdessen einen "Milchgipfel" an, sobald der Streit zwischen Milchbauern und Industrie beendet ist. Dabei soll es um strukturelle Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre gehen, unter anderem für die Zukunft der Milchbauern nach Auslaufen der Milchquote auf EU-Ebene im Jahr 2015, sagte Seehofer nach einer Sitzung der Agrarminister der Bundesländer in Berlin. Aus dem aktuellen Streit werde sich die Politik weiter raushalten. Die Agrarminister mahnten aber eine rasche Lösung und ein Ende des Milchboykotts an.

Die Blockaden hatten den ganzen Tag lang angehalten. Mit Autos, Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Fahrzeugen blockierten die Milchbauern am Montag überall in Deutschland Molkereien.

Blockade bis zur Preiserhöhung

In Rheinland-Pfalz verstellten wütende Landwirte mit ihren Traktoren die Zufahrten der beiden Großmolkereien Hochwald in Thalfang und Milch-Union Hocheifel (MUH) in Pronsfeld. "Es kann keine Milch mehr rein und keine Milch mehr raus", sagte der Landesvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), Oliver Grommes. Eine MUH-Sprecherin bestätigte die Angaben. Im Nachbarland Hessen waren nach Angaben der Polizei in Gießen unter anderem die Hochwald Nahrungsmittel-Werke in Hungen und ein Betrieb der Schwälbchen Molkerei in Marburg betroffen.

Die Molkereien würden so lange blockiert, bis der Milchpreis auf 43 Cent pro Liter erhöht werde, sagte Grommes. "Wir wollen bei den Verhandlungen noch mal richtig Druck reinbringen."

Keine Milch für Ehrmann

Die Bauern wollen erreichen, dass die Preissenkung für Milch und Milchprodukte vom 21. April zurückgenommen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten sie für einen Liter Milch noch mehr als 40 Cent bekommen. Derzeit sind es nur 27 bis 35 Cent. In der Nacht zum Montag waren in Berlin Verhandlungen zwischen Bauern und Milchindustrie ergebnislos geblieben.

In Bayern demonstrierten Bauern vor mehreren Molkereien gegen die niedrigen Milchpreise. Bereits am Sonntagabend hatten Erzeuger in Oberschönegg im Unterallgäu damit begonnen, eine Molkerei der Firma Ehrmann zu blockieren. In Schleswig-Holstein wurden am Montagmorgen nach Polizeiangaben rund zehn Betriebe blockiert.

Winkende Autofahrer

Die Bevölkerung steht nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) den Landwirten zustimmend gegenüber. Die Bauern erhielten viel Unterstützung. Autofahrer grüßten hupend oder führen winkend vorbei, sagte Landesverbands-Sprecherin Karin Voss.

In Warburg (Kreis Höxter) verhinderte mehr als ein Dutzend Landwirte vor einem Humana-Milchwerk die Ausfahrt von rund 20 Lastwagen. Die Bauern hatten ihre Traktoren in Zickzack-Form aufgestellt, so dass die Lastwagen das Gelände nicht verlassen konnten. "Im Laufe des Tages müssen die Lkw ihre Produkte ausliefern, da die Ware ansonsten verderben könnte", sagte ein Verantwortlicher der zweitgrößten deutschen Molkerei.

Bilder vom Bauernstreik
:Weg mit der Milch

Tausende Bauern haben mit einem Lieferboykott gegen niedrige Milchpreise protestiert.

Die Proteste führen nach Angaben eines anderen Milchverarbeiters dazu, dass gigantische Mengen Milch vernichtet werden müssen. Durch die Blockade mehrerer Molkereien wie etwa in Waren (Mecklenburg-Vorpommern) drohe bei der Nordmilch AG (Bremen) die Entsorgung tausender Tonnen Milch, teilte der Konzern mit. Die Ausweitung des punktuellen Milch-Lieferstreiks zur Totalblockade nahezu aller Werke habe den ursprünglich friedlichen Protest einiger hundert Landwirte in neue Dimensionen eskalieren lassen.

Vernichtung von tausenden Tonnen Milch

In der Folge könnten auch lieferwillige Bauern ihre vollen Milchtanks nicht leeren und seien gezwungen, "gigantische Mengen frisch gemolkener Milch direkt in den Abfluss zu leiten." Nordmilch ist nach eigenen Angaben einer der größten Milchverarbeiter in Deutschland.

Bisher habe man Verständnis für die Landwirte gezeigt, die sich dem Druck der Märkte und der Preise in einem teilweise Existenz bedrohenden Ausmaß ausgesetzt sahen. Die bewusst erzwungene Vernichtung von Milch sowie die ebenso gezielt in Kauf genommene, massive Schädigung von 75 Prozent der Bauern, die sich nicht am Boykott beteiligen wollen, werde aber nicht toleriert. Laut Nordmilch werden vier Werke in Niedersachsen, zwei in Schleswig-Holstein sowie die Müritz-Milch in Waren und der Milchhof Magdeburg blockiert.

Gewaltsame Räumung

Im niedersächsischen Rehberg-Loccum (Kreis Nienburg) begann die Polizei nach Verhandlungen mit demonstrierenden Bauern am Nachmittag, eine Blockade gewaltsam aufzulösen. Seit Sonntagmorgen um acht Uhr hatten rund 80 Traktoren die Ein- und Ausfahrt einer Molkerei versperrt.

Durch den Lieferstopp geht ersten Einzelhändlern in Bayern die Milch aus. Wenn der Boykott fortgesetzt werde, seien bis Mitte der Woche "Versorgungsengpässe" zu erwarten, sagte eine Sprecherin von Edeka Nordbayern am Montag.

In der vergangenen Woche hätten die Kunden "mehr als die dreifache Menge" an haltbarer Milch gekauft. In den Lagern gebe es daher "nahezu keine H-Milch" mehr. "Wenn die Lager nicht bald mit neuer Milch versorgt werden, gibt es demnächst leere Milchregale", sagte sie.

Der Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes (MIV), Eckhard Heuser, geht inzwischen davon aus, dass dem deutschen Handel Dienstag oder spätestens Mittwoch die Milch ausgehen werde. "Dann ist Schicht", sagte Heuser der Financial Times Deutschland. Das betreffe Frischmilch und auch H-Milch. Der Verband vertritt den Angaben zufolge Milchverarbeiter wie etwa Nordmilch oder Humana, die von den Lieferungen der Milchbauern abhängig sind. Den Supermärkten geht nach Einschätzung der Milch-Industrie angesichts des Lieferboykotts der Bauern spätestens zur Wochenmitte die Milch aus.

© sueddeutsche.de/dpa/AP/ddp-bay/Reuters/jkr/mel/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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