Kompromiss im Schuldenstreit:Wie es mit Griechenland weitergeht

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Müsste auf entscheidende Teile seiner Souveränität verzichten: Premier Alexis Tsipras bei dem Versuch, den Kompromiss zu erläutern.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)
  • Die griechische Regierung soll ihr Land grundlegend umbauen - sonst gibt es keine weiteren Hilfen von den europäischen Partnern.
  • Die Auflagen für Griechenland sind dabei in der am Montagmorgen getroffenen Vereinbarung erheblich ausgeweitet worden, weil sich die Haushaltslage des Landes verschlechtert hat.
  • Ein Überblick über den Kompromiss und seine Folgen für Athen.

Fragen & Antworten von Cerstin Gammelin und Alexander Mühlauer

Auf die Frage, welche Währung jetzt in Europa die wichtigere sei, der Euro oder das Vertrauen, hatte der übernächtigt wirkende Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin keine eindeutige Antwort. Liest man die sieben Seiten, auf denen die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone die Ergebnisse des Griechenland-Sondergipfels zusammengefasst haben, sind wohl beide gleich wichtig. Gleich im ersten Satz heißt es, der Euro-Gipfel betone, dass als Voraussetzung für ein weiteres Hilfsprogramm "das Vertrauen in die griechische Regierung unbedingt wiederhergestellt werden muss". Die Botschaft ist klar: Athen muss in Vorleistung gehen.

Welche Belastungen stehen den griechischen Bürgern bevor?

Die Bürger müssen sich auf mögliche Entlassungen, steigende Preise, gekürzte Renten, wegfallende Subventionen und liberalisierte Märkte einstellen. Konkret heißt es in der Abschlusserklärung, in Absprache mit den Gläubigern müsse die Regierung "Massenentlassungen nach dem mit den Institutionen vereinbarten Zeitplan und Ansatz" vornehmen. Die Regierung in Athen muss bis Mittwoch vier Sofortmaßnahmen durch das Parlament bringen: Eine Mehrwertsteuerreform soll Geld in die Staatskasse bringen. Die langfristig wirkende Rentenreform muss angepackt sowie die "volle rechtliche Unabhängigkeit" des griechischen Statistikamtes sichergestellt werden. Abweichungen von ehrgeizigen Wachstumszielen sollen durch "quasi-automatische Ausgabenkürzungen" ausgeglichen werden. Beschließt das Parlament diese vier Gesetze, können die Euro-Partner den formalen Beschluss fassen, Verhandlungen über das neue Hilfspaket aufzunehmen. Bevor diese richtig beginnen können, müssen sieben nationale Parlamente tagen. Der Bundestag soll am Freitag über ein Mandat abstimmen.

Welche weiteren Reformen muss Athen umsetzen?

Bis zum 22. Juli muss die griechische Regierung das Zivilrechtssystem grundlegend ändern. Das soll Gerichtsverfahren schneller und günstiger machen. Hinzu kommt die Forderung, die EU-Richtlinie über die Sanierung von Banken umzusetzen. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wann und wie ein Kreditinstitut abgewickelt wird. Und das ist lange noch nicht alles.

Inwiefern sind die Reformen härter als das, was die Bürger im Referendum abgelehnt haben?

Die Auflagen für Griechenland sind erheblich ausgeweitet worden, weil sich die Wirtschaft und die Haushaltslage des Landes deutlich verschlechtert haben. Athen muss sich dazu verpflichten, die von den Geldgebern geforderten Reformen nachzubessern. Die Regierung soll darauf verzichten, Renten in Milliardenhöhe zurückzuzahlen. Auf dem Arbeitsmarkt fordern die Euro-Partner eine "tief greifende Überprüfung und Modernisierung" der Tarifverhandlungsgesetze und Arbeitskampfmaßnahmen. Alles soll an EU-Richtlinien angepasst werden; unter dem Strich steht also eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes bevor. Nicht zu vergessen: Auch die griechische Verwaltung soll umgebaut werden. Dabei geht es vor allem um eine "Entpolitisierung der griechischen Verwaltung", zudem müssten die Kosten sinken.

Welche Rolle spielen die Institutionen der Gläubiger bei der Umsetzung der Reformen?

Der griechische Staat verliert entscheidende Teile seiner Souveränität wie Haushaltsrechte an die Institutionen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Im Beschluss heißt es wörtlich: "Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird."

Was heißt das für den Kredit des Euro-Rettungsfonds ESM?

Bevor der Euro-Rettungsfonds ESM Kredite ausgeben kann, stellen die Euro-Partner klare Bedingungen. Die Beteiligung des IWF wird zur Voraussetzung dafür gemacht, dass die Euro-Gruppe Krediten aus dem ESM zustimmt. In der Abschlusserklärung wird Athen verpflichtet, "wann immer dies möglich ist", einen Antrag für weitere Finanzhilfe beim IWF zu stellen, die ab März 2016 gewährt werden kann. Dann enden die bisherigen Vereinbarungen mit dem IWF. Ein mögliches Kreditpaket aus dem ESM unterliegt strikten Regeln. Finanzhilfen dürfen nur gewährt werden, wenn die finanzielle Situation in Griechenland so dramatisch schlecht ist, dass sie die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes gefährdet. Nach Schätzungen der Institutionen benötigt Griechenland zwischen 82 und 86 Milliarden Euro, um wieder auf die Beine zu kommen und Verpflichtungen zu erfüllen. Bereits bis zum 20. Juli braucht Athen sieben Milliarden, um unter anderem eine Anleihe bei der EZB bedienen zu können. Bis Mitte August veranschlagen die Institutionen einen weiteren Finanzbedarf in Höhe von fünf Milliarden Euro. Besonders kritisch ist die Lage der griechischen Banken, ihnen droht die Zahlungsunfähigkeit. Deshalb soll ein neues ESM-Paket einen Puffer von zehn bis 25 Milliarden Euro für den Bankensektor einbauen. Damit sollen eine mögliche Rekapitalisierung von Kreditinstituten und etwaige Bankenabwicklungskosten getragen werden. Zehn Milliarden Euro soll der ESM über ein Sonderkonto sofort bereitstellen.

Welche Schulden werden abgelöst?

Im Gipfelbeschluss stellen die Geldgeber klar, dass Griechenland seine Schulden beim IWF und der griechischen Nationalbank ausgleichen muss. Wie eine mögliche Brückenfinanzierung dafür aussehen kann, arbeiten die Euro-Finanzminister aus. In dem Beschluss heißt es: "Es bestehen ernste Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der griechischen Schulden." Einen nominalen Schuldenschnitt schließen die Euro-Partner trotzdem aus. Möglich sind ein längerer Tilgungsaufschub und längere Rückzahlungspflichten. Dieser Hinweis war Tsipras besonders wichtig.

Was passiert mit dem Schäuble-Plan eines zeitweisen Grexit?

Offiziell ist der Plan aus dem Bundesfinanzministerium vom Verhandlungstisch der Staats- und Regierungschefs verschwunden. Statt eines griechischen Austritts aus der Währungsunion haben die Staats- und Regierungschefs die Bedingungen für den Verbleib des Landes ausgehandelt. Sollten die Bedingungen allerdings nicht erfüllt werden, könnte der Plan wieder aufleben. Etwa, wenn sich das griechische Parlament weigern sollte, den strengen Auflagen für das Hilfsprogramm zuzustimmen. Schäubles Angebot, als Gegenleistung für den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion die Schuldenlast des Landes spürbar zu erleichtern sowie umfangreiche Soforthilfe zu leisten, könnte als attraktive Alternative zu den strikten Auflagen verstanden werden.

Der Fonds, der 50 Milliarden bringen soll

Griechenland muss nun Staatsbesitz verkaufen. Die Privatisierung soll auf eine Art abgewickelt werden, die die Bundesbürger aus den Jahren der Wiedervereinigung kennen: über eine Treuhandanstalt. Der deutschen Treuhand unterstanden zeitweise bis zu 13 000 Unternehmen. In Griechenland werden es deutlich weniger sein, weil nicht ein ganzes Land abgewickelt, sondern Schulden in Milliardenhöhe abgezahlt werden sollen.

Die Funktion der Treuhand ist indes die gleiche. In der Abschlusserklärung des Euro-Sondergipfels ist nachzulesen, dass die Regierung in Athen hohe griechische Vermögenswerte an einen unabhängigen Fonds transferieren wird, der dann "die Vermögenswerte durch Privatisierungen und andere Wege monetarisiert". Der Fonds wird in Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden "unter Aufsicht der maßgeblichen europäischen Organe und Einrichtungen" verwaltet. Die insgesamt 50 Milliarden Euro, die der Fonds über drei Jahre durch den Verkauf des Staatseigentums einnehmen soll, sind auf dem Papier schon ausgegeben: 25 Milliarden Euro sind für die Rückzahlung der Hilfszahlungen an Banken und für andere Vermögenswerte vorgesehen, ein Viertel soll genutzt werden, um die Schuldenquote zu verringern. Die verbleibenden 12,5 Milliarden Euro sollen investiert werden.

Tsipras hatte sich bis zuletzt gegen diesen Fonds gewehrt. Er fürchtet, dass Zwangsverkäufe keine angemessenen Erlöse bringen. Außerdem hat der Verkauf eine weitere Kehrseite: die Einnahmen, die die Staatsbetriebe erwirtschaften, fehlen nach der Privatisierung im Staatshaushalt. Auch Unternehmensberater halten nicht viel von zwangsweiser Privatisierung. Roland Berger hatte im September 2011 in einem Strategiepapier "Ein Fonds für den Aufschwung in Griechenland" ausdrücklich vor einem "fire sale", also einer zu schnellen Privatisierung, gewarnt.

Schon damals hatten die Gläubiger gefordert, über einen Privatisierungsfonds Staatsbesitz zu verkaufen; 50 Milliarden Euro betrug das Einnahmeziel. Der konservative Premierminister Antonis Samaras ließ die zum Verkauf anstehenden Immobilien und Unternehmen auflisten, darunter 23 Häfen auf touristischen Inseln, die Wasserwerke, eine der größten Nickelindustrien Europas, die staatliche Lotterie, die Eisenbahnen und Teile der Elektrizitätsgesellschaft. Samaras schaffte es bei Weitem nicht, die 50 Milliarden Euro einzunehmen. Er scheiterte genauso wie die deutsche Treuhandanstalt, die mit mehr als 230 Milliarden D-Mark Verlust in die Geschichtsbücher einging. Cerstin Gammelin

Reicht die Summe, um alle Schulden Griechenlands zu bedienen?

Gemäß den Berechnungen der Institutionen sollte die Schuldenlast Griechenlands nach einem möglichen Programm deutlich geringer sein. Bisher lagen die Experten allerdings immer daneben. Ob Athen danach weiter finanzielle Hilfe benötigt, ist offen. Wichtig ist vor allem, dass Griechenlands Wirtschaft wieder wächst. Allein in den vergangenen Monaten wurde viel Vertrauen zerstört, auch jenes von potenziellen Investoren. Auch viele Touristen fragten sich, ob sie in diesem Sommer überhaupt nach Griechenland in den Urlaub fahren können. Um Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, kann die griechische Regierung auf bis zu 35 Milliarden Euro aus EU-Strukturfonds hoffen. Die Voraussetzung dafür sind allerdings Co-Finanzierungen, das heißt, Athen müsste erst einmal einen privaten Partner finden, der ein Projekt unterstützt.

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