Kompliziertes Land:Gefährlicher Morast

Manager schätzen die Risiken des Landes oft falsch ein. Deutsche Unternehmen wie Thyssen-Krupp und Volkswagen machen häufig die Erfahrung, dass Brasilien komplizierter ist als sie dachten. Vier Beispiele.

Von Kirsten Bialdiga, Boris Herrmann, Helga Einecke und Karl-Heinz Büschemann

Das größte Land in Lateinamerika muss doch ein Traummarkt sein: 200 Millionen Menschen und ihr Drang, in die Liga der großen Industrienationen vorzustoßen. Doch gerade deutsche Unternehmen machen häufig die Erfahrung, dass dieses Land viel komplizierter ist, als sie dachten.

Thyssen-Krupp

Selten hat ein einzelnes Land einem deutschen Konzern solche Sorgen gemacht wie Brasilien. Den Ruhrkonzern Thyssen-Krupp sollte ein neues Stahlwerk bei Rio de Janeiro in die Weltliga katapultieren. Doch der Plan funktionierte von Anfang an nicht. Nach zehn Jahren der Quälerei mit dem neuen Werk hatte Thyssen-Krupp in Brasilien so viele Milliarden versenkt, dass der gesamte Konzern ins Wanken geriet. Der Standort in den Mangrovensümpfen war falsch gewählt, ständig musste nachgearbeitet werden. Die Baukosten schossen in die Höhe, der Aufsichtsrat unter damaliger Führung von Gerhard Cromme erkannte die Risiken für den Konzern zu spät.

Dieses Debakel, das mit dem Baubeginn 2006 seinen Lauf nahm, verfolgt Thyssen-Krupp bis heute. Der jetzige Vorstandschef Heinrich Hiesinger scheiterte mit dem Versuch, die Hütte in Brasilien zu verkaufen. Auch jetzt macht das Werk immer wieder Probleme: Die Stahlproduktion läuft nicht stabil. Mal ist es die Wasserknappheit im Land, mal sind es technische Schwierigkeiten. Stahl im vermeintlichen Niedriglohnland Brasilien herzustellen ist für Thyssen-Krupp bis heute teurer als in Duisburg. Ein Ende der Probleme ist nicht in Sicht: Auch in diesem Geschäftsjahr schreibt das Werk wieder Verluste.

Volkswagen

Die Geschichte von Volkswagen in Brasilien begann 1953. Damals bauten zwölf Männer in São Paulo die ersten Käfer aus Teilen zusammen, die von Wolfsburg angeliefert wurden. An die Stelle der Kleinproduktion sind inzwischen fünf Werke mit 22 000 Mitarbeitern getreten. Heute sind in dem Land mehr als 22 Millionen VWs vom Band gelaufen. Brasilien ist der viertgrößte Automarkt der Welt und einer der wichtigsten für die Wolfsburger und ihre Tochtermarke Audi. Doch VW hat seine liebe Not in Brasilien. Der veraltete "Gol", ein wichtiges Modell für den brasilianischen Markt, ist nicht mehr gefragt. Die Käufer entscheiden sich lieber für Autos von Honda, Hyundai oder General Motors. Für den VW-Bus, lange ein Bestseller, hat VW keinen Nachfolger. Vor zehn Jahren besetzten die Wolfsburger ein Viertel des Marktes. Heute sind es nur noch knapp 16 Prozent. Da schmerzt es doppelt, wenn die Nachfrage auch noch zusätzlich unter der Rezession im Land leidet. Die Fabriken in Brasilien sind nicht ausgelastet. Immerhin konnte die VW-Tochter Audi Zuwächse erreichen. Aber Brasilien gehört im Wolfsburger Vorstand inzwischen zu den großen Problemfällen.

Siemens

Siemens ist nicht nur ein deutsches, sondern auch ein brasilianisches Traditionsunternehmen. Es begann 1867 mit der Verlegung eines Telegrafen-Kabels von Rio de Janeiro nach Rio Grande do Sul. Damals führte die Strecke noch größtenteils durchs Dickicht. 1905, als der Stadtteil Copacabana noch nicht existierte, öffnete in Rio das erste Büro der Siemens-SchuckertWerke. Im Jahr ihres 110. Geburtstages beschäftigt die Tochtergesellschaft Siemens Limitada mehr als 6300 Menschen in Brasilien und setzt etwa 1,5 Milliarden Euro im Jahr um. Und jetzt soll es erst so richtig losgehen. Konzernvorstand Joe Kaeser hat unlängst in São Paulo einen Entwicklungsplan vorgestellte, den er "10 by 20" nannte: zehn Milliarden Umsatz bis 2020. "Das ist leicht zu merken und schwer zu erreichen", sagte Kaeser.

Es dürfte auch deshalb schwer werden, weil das Siemens-Engagement in Brasilien alles andere als eine ungetrübte Erfolgsgeschichte ist. In der Aufregung des gigantischen Schmiergeldskandals um Brasiliens halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras ist zuletzt fast untergegangen, dass sich auch Siemens wieder mit Korruptionsvorwürfen auseinandersetzen muss. Zudem ist Siemens seit dem 3. Juni 2015 von allen brasilianischen Staatsaufträgen ausgeschlossen. In keinem anderen Land ist Siemens so etwas passiert. Der brasilianische Bann gilt für fünf Jahre. In diesem Fall geht es um Ungereimtheiten bei Ausschreibungen der brasilianischen Post zwischen 1999 und 2005. Es gibt aber noch mehr Fälle. Wegen der Beteiligung am sogenannten "Metro-Kartell" beim Bau der U-Bahn von São Paulo fordert ein Staatsanwalt noch mindestens 480 Millionen Reais von Siemens zurück. Derzeit wären das 125 Millionen Euro. In der Klage wird die Siemens Limitada gar als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet, der Staatsanwalt fordert ihre Auflösung.

BASF

Das Chemieunternehmen BASF eröffnete 1911 die erste brasilianische Filiale in Rio und hielt dem Land mit Unterbrechungen während der Kriege die Treue. "Brasilien ist und bleibt das Land der Zukunft. Der liebe Gott ist Brasilianer", schwärmte 1955 der BASF-Manager Wilhelm Pfannmüller. Heute beschäftigt der Ludwigshafener Konzern 4500 Menschen in dem Land und setzt dort jährlich 2,5 Milliarden Euro um. Schwerpunkte sind Pflanzenschutzmittel und Bauanstriche mit der Marke Suvinil, die dort so bekannt sein soll wie Coca Cola. Aber auch Grundchemie, Kunststoffe, Katalysatoren gehören zum Programm. Die Begeisterung über die Geschäfte ist allerdings verflogen. BASF-Chef Kurt Bock stellt nüchtern fest, Brasilien befinde sich in der Rezession. Dessen ungeachtet hat man gerade 500 Millionen Euro in ein neues Werk für Superabsorber investiert, die für Babywindeln gebraucht werden. Den Startknopf drückte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff höchstselbst. Das Agrarland Brasilien ist der weltweit größte Verbraucher von Herbiziden und Pestiziden. Mehr als eine Million Tonnen pro Jahr werden dort versprüht, darunter auch das umstrittene Glyphosat. Allein zehn in den USA und Europa verbotene Produktgruppen von Agrargiften sollen dort frei verkauft und großflächig angewendet werden. BASF verkauft nach eigenen Angaben keine glyphosathaltigen Produkte in Brasilien.

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