Kommunen:Von Handgranaten und Ostereiern

Prozess um Millionenverluste

Christel Augenstein klagte in ihrem Schlusswort vor dem Landgericht Mannheim, sie sei das „Opfer von intransparenten Geschäften vertrauenswürdiger Banken“ geworden.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Die frühere Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein, und ihre Stadtkämmerin sind nach missglückten Spekulationsgeschäften wegen schwerer Untreue verurteilt worden.

Von Josef Kelnberger, Mannheim

Auch Richter lernen nie aus. Andreas Lindenthal zum Beispiel hat als Vorsitzender der Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mannheim in den vergangenen Monaten in einem deutschlandweit beachteten Prozess sehr viel Neues erfahren, wie er am Dienstag kundtat. Zum Beispiel, dass Banken "gefährliche Dinge verkaufen", und dass sie dann, um das Risiko auf andere abzuwälzen, nach der Methode "Cover your ass" verfahren. Um in der Terminologie des Hohen Gerichts zu bleiben: Rette deinen Arsch.

Deshalb hatte Richter Lindenthal keine Haftstrafen für die Deutsche Bank oder JP Morgan zu verkünden. Vielmehr traf es Christel Augenstein, die ehemalige Oberbürgermeisterin von Pforzheim, sowie deren ehemalige Stadtkämmerin. Ein Jahr und acht Monate für Christel Augenstein, zwei Jahre für Susanne W. Das Vergehen: schwere Untreue zum Nachteil der Stadt.

Die Strafen fallen milder aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert - zwei Jahre und vier respektive sechs Monate - und sie werden zur Bewährung ausgesetzt, obwohl es um einen Schaden von vielen Millionen Euro geht. Diese Milde habe, wie Richter Lindenthal erklärte, auch damit zu tun, dass die beiden Frauen sozusagen exemplarisch angeklagt waren. Sie stehen beispielhaft für Hunderte von Kommunen, die versuchten, mit riskanten Finanzgeschäften, sogenannten Swaps, die Zinslast zu drücken und den Haushalt zu sanieren. Eine Praxis, die schon viele Gerichte beschäftigt hat. Bislang wurden mehrere Banken verpflichtet, den Kommunen Schadenersatz zu leisten. Jetzt werden erstmals politisch Handelnde bestraft.

Mehrere Banken mussten Kommunen Schadenersatz zahlen, verurteilt wurden sie nicht

Bei den Swaps handelt es sich um höchst komplexe und spekulative Wertpapiere. Eigentlich dienen sie dazu, sich für eine festgelegte Laufzeit gegen ein bestimmtes Risiko abzusichern. Oft werden Swaps deshalb vereinfacht als "Zinswetten" oder "Währungskurswetten" beschrieben. In Wahrheit sind sie extrem gefährlich, ihr Verlustrisiko ist theoretisch unbegrenzt. Solche Swaps galten in den Jahren bis zur Finanzkrise 2007 als "modernes Schuldenmanagement" schlechthin. Kritiker dagegen halten die Geschäfte für eine der größten Verirrungen des seinerzeit herrschenden neoliberalen Zeitgeistes, dass Städte und Gemeinden ihr Schicksal in die Hand des Casino-Kapitalismus legten.

Christel Augenstein ließ sich bei dem Prozess in Mannheim anwaltlich von ihrem Parteifreund Wolfgang Kubicki vertreten, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP. Kubicki kündigte an, er werde Revision einlegen und den Fall vor den Bundesgerichtshof (BGH) bringen. In seiner unnachahmlichen Art erklärte er, der Mannheimer Richter habe die komplizierte Materie nicht durchdrungen, und seine Mandantin habe bis heute übliche Geschäfte getätigt - leider wegen der Finanzkrise mit verhängnisvollem Ausgang.

Christel Augenstein klagte am Dienstagmorgen in ihrem Schlusswort über das viele Jahre dauernde, "existenzvernichtende" Verfahren. Pforzheim, sagte sie, sei das "Opfer von intransparenten Geschäften vertrauenswürdiger Banken" geworden. Ähnlich äußerte sich ihre Kämmerin: Dank der Hilfe der "weltbesten Experten" sei sie überzeugt gewesen, eine Lösung für die Finanzprobleme Pforzheims gefunden zu haben. Die weltbesten Experten, damit waren Berater der Deutschen Bank und der Investmentbank JP Morgan gemeint.

Zwei Mitarbeiter von JP Morgan saßen in Mannheim zunächst mit auf der Anklagebank, die Staatsanwaltschaft warf ihnen Beihilfe zur Untreue vor. Oberbürgermeisterin und Kämmerin hatten, nachdem zwei Zinswetten bei der Deutschen Bank in ein Millionenminus geführt hatten, den Beistand der in London ansässigen Privatbank gesucht. Sie schlossen, statt den Stadtrat zu informieren und die Misere offenzulegen, drei noch riskantere Finanzwetten mit JP Morgan ab. Um für sein Haus auf Nummer sicher zu gehen, rief der Deutschland-Chef von JP Morgan höchstselbst im Rathaus an und wies auf die Risiken hin. Motto: Cover your ass.

Das Verfahren gegen die beiden Bank-Angestellten wurde gegen eine Geldauflage von 400 000 respektive 125 000 Euro eingestellt. Der ehemalige stellvertretende Kämmerer von Pforzheim, ebenfalls der Beihilfe zur Untreue angeklagt, kam mit einer Geldauflage von 9000 Euro davon. Blieben zurück auf der Anklagebank: die Oberbürgermeisterin und ihre Kämmerin, zwei Pforzheimerinnen, die den Vorwurf energisch zurückwiesen, sie hätten bewusst zum Nachteil der Stadt gehandelt, im Gegenteil. Sie hätten die bei Amtsantritt schon erdrückende Zinslast der Stadt mindern wollen. Als jedoch Augensteins Nachfolger Gert Hager die riskanten Geschäfte 2009 beendete, war ein Schaden von 57 Millionen Euro entstanden; in Vergleichen mit den Banken holte die Stadt mehr als 40 Millionen zurück. Bis heute leidet die "Goldstadt" jedoch unter der Verschuldung.

Richter Lindenthal warf den Angeklagten ausdrücklich nicht vor, sie hätten in die eigene Tasche gewirtschaftet oder der Stadt schaden wollen. Er würdigte die persönliche Tragik des Falles. Und doch hätten die beiden "gravierende, klare, evidente Pflichtverstöße" begangen, indem sie an den Gremien der Stadt vorbei, in manchen Fällen ohne Limit, mit dem Vermögen der Stadt spekuliert hätten - nicht um Kredite abzusichern, sondern um Gewinne zu erzielen und damit ihre vorherigen Verluste zu vertuschen. Spätestens als die Geschäfte mit der Deutschen Bank schiefgegangen waren, hätten die beiden aussteigen müssen, sagte Lindenthal. Die Kämmerin bot der Oberbürgermeisterin damals sogar ihren Rücktritt an, doch dann spekulierten sie weiter. "Sie haben gewusst, dass Sie Handgranaten kaufen und keine Ostereier", sagte Lindenthal, an die beiden Angeklagten gewandt.

Der Richter zeigte sich im Übrigen überzeugt, dass sein Urteil vor dem BGH Bestand haben wird. Und er bezweifelte, dass Kommunen überhaupt das Recht haben, Spekulationsgeschäfte zu tätigen.

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