Kommunalfinanzen:Raus aus den Miesen, rein in die Miesen

Bürgermeister von Monheim - Zimmermann

Der Bürgermeister von Monheim, Daniel Zimmermann, vor dem Rathaus.

(Foto: dpa)

Arme Kommunen, reiche Kommunen: Monheim ist eine kleine Stadt am Rhein - und seit Kurzem schuldenfrei. Nur 70 Kilometer entfernt liegt Essen, die Ruhrgebietsstadt hat die höchsten Schulden in der ganzen Republik. Was die Städte voneinander lernen können.

Von Jan Bielicki

Etwa 70 Straßenkilometer liegen zwischen den Arbeitsplätzen von Daniel Zimmermann und Lars Martin Klieve. Und 3,3 Milliarden Euro Schulden. Zimmermann ist erst 31, doch bereits Bürgermeister von Monheim. Die Stadt liegt zwischen Köln und Düsseldorf am rechten Rheinufer und feierte vor sieben Wochen ein großes Fest, zu dem das Rathaus eigens eine Gedenkmünze prägen ließ. Dabei überreichte Zimmermann dem Chef der Stadtsparkasse Düsseldorf einen Scheck über 2,9 Millionen Euro. Es war die letzte Rate des allerletzten Kredits der Stadt. Seitdem ist Monheim schuldenfrei.

Davon kann Lars Martin Klieve nur träumen. Essens Kämmerer verwaltet den höchsten kommunalen Schuldenberg der Republik. Mit 3,3 Milliarden Euro steht die Ruhrgebietsstadt in den Miesen. Davon entfallen fast 2,4 Milliarden auf sogenannte Kassenkredite, aufgenommen nicht für Investitionen, sondern allein zur Deckung der laufenden Kosten. Essen allein hat drei Mal so viele dieser Kassenkredite aufgehäuft wie alle Kommunen Baden-Württembergs, Bayerns und Sachsens zusammen. "Das ist leider wahr", sagt Klieve.

Doch auch der 43-jährige Christdemokrat hat bald etwas zu feiern - jedenfalls, wenn sich alles so entwickelt, wie er es in seinen Haushaltsplan geschrieben hat. Danach wird Essen 2014 Schulden tilgen, "erstmals seit 1982", sagt der Kämmerer. 34 Millionen Euro will die Stadt den Banken zurückzahlen, ein Prozent ihrer Gesamtschulden, "wie ein braver Häuslebauer", so Klieve.

Die "Klieve-Kurve"

Das ist nicht viel, aber als er vor vier Jahren sein Büro im Hochhaus der Essener Stadtverwaltung bezog, sah die Kassenlage noch viel düsterer aus. Der neue Mann, der sich zuvor in der Nachbarstadt Gelsenkirchen einen Ruf als Sanierer gemacht hatte, legte den Stadträten ein Schaubild vor. Es zeigte eine Linie mit starkem Gefälle, die im Rathaus seitdem "Klieve-Kurve" heißt: 2013, so besagte das Bild, würde Essen sein rechnerisches Eigenkapital restlos aufgebraucht haben und damit überschuldet sein. Anders als eine Firma kann eine Kommune zwar nach deutschem Recht nicht insolvent gehen, Essen hätte sich jedoch unter die Kuratel des Landes stellen müssen.

Warum es so weit kommen konnte, dafür gab es viele Gründe. Manche lagen im Verantwortungsbereich der jahrzehntelang von der SPD geprägten Lokalpolitik, andere nicht. Vor allem hat Essens Finanzkrise mit dem Niedergang jener Industrien um Kohle und Stahl zu tun, die das ganze Ruhrgebiet einst reich gemacht hatten. Vor 50 Jahren lebten 730.000 Menschen in der damals fünftgrößten Stadt der Bundesrepublik, heute ist Essen mit 570.000 Einwohnern nur noch auf Platz neun der deutschen Städtetabelle. Weg gingen vor allem jene Menschen, die anderswo Arbeit fanden. Und es blieben überdurchschnittlich viele von jenen, die keinen Job haben. Heute liegt die Arbeitslosenquote in Essen bei 12,3 Prozent, das sind mehr als doppelt so viel wie im Bundesschnitt.

Für Essens Stadtkasse bedeutete das: Es sanken die Einnahmen aus Steuern und nach Einwohnerzahl verteilten Landeszuweisungen, kaum jedoch die Ausgaben: "Die Stadt hat jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt", sagt Klieve. Vor allem die Sozialausgaben stiegen gewaltig. Gerade in armen Städten wie Essen explodierten in den vergangenen Jahren die Kosten für gesetzliche Sozialleistungen. "Vom Bund bekommen wir nur einen Bruchteil dieses Geldes zurück", klagt Klieve. Auch von den Landesregierungen in Düsseldorf kam lange wenig Hilfe. Sie ließen es zu, dass von den 30 Städten und Landkreisen mit den bundesweit höchsten Kassenkreditschulden 19 in Nordrhein-Westfalen liegen.

Spektakulärer Schlag

Und doch blieb die vom Kämmerer für 2013 ins dunkle Schaubild gemalte Überschuldung aus. Dass Klieve nun sogar von Schuldentilgung reden kann, hat mehrere Gründe: Zum einen gibt es da das radikale Sparprogramm, das sich die Rathaus-Koalition von CDU, Grünen, FDP und einer Bürgerliste verordnet hat und das auch der SPD-Oberbürgermeister Reinhard Paß unterstützt. Danach wird jede zweite frei werdende Stelle in der Stadtverwaltung nicht mehr besetzt. 2015 sollen bei der Stadt 690 Menschen weniger arbeiten als noch 2008. Auch den städtischen Gesellschaften werden Zahlungen gekürzt - oder sie müssen mehr Gewinne abführen.

Nur ausgerechnet im wichtigsten Stadtunternehmen funktioniert das nicht. Statt wie geplant 24 Millionen Euro abzuwerfen, kostet die Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft EVV die Stadt fast 13 Millionen. Denn der Energieriese RWE, an der die EVV beteiligt ist, hat seine Dividende drastisch gekürzt - "unser Opfer für die Energiewende", scherzt Klieve.

Essen kann sich heute sogar diesen Zahlungsausfall leisten, weil die Stadt von Umständen profitiert, für die sie, räumt Klieve ein, "gar nichts kann": Die gute Konjunktur hält die Steuereinnahmen hoch. Zinsen dagegen sind so tief wie nie, von Kommunen verlangen die Banken oft weniger als ein Prozent. Der Bund befreit die Gemeinden zudem von einigen ihrer Soziallasten. Und schließlich hat die rot-grüne Landesregierung einen "Stärkungspakt" für schuldengeplagte Städte aufgelegt - freilich mit harten Auflagen. 2014 wird Essen 90 Millionen Euro aus diesem Pakt erhalten. "Das hilft uns natürlich sehr", sagt Klieve.

"Völlig überzogen und verfassungswidrig"

Monheims Bürgermeister Zimmermann ist weniger glücklich mit dem Stärkungspakt. Er soll, wie 59 weitere Gemeinden im Land, von 2014 an einen Solidarbeitrag für arme Städte wie Essen leisten - und zwar gleich 46 Millionen Euro. "Das ist völlig überzogen und verfassungswidrig", schimpft er.

2009 als Kandidat einer örtlichen Jugendpartei ins Rathaus gekommen, hat er den Stadthaushalt mit einem spektakulären Schlag ins Plus gebracht. Monheim senkte seine Gewerbesteuer auf den tiefsten Satz im Land. Die Folge: Die Einnahmen aus dieser Steuer verzehnfachten sich nahezu auf mehr als 150 Millionen Euro. Die niedrigen Sätze hätten Großkonzerne, die wie die Chemieriesen UCB, BASF oder Bayer Werke in der Stadt haben, dazu bewegt, wieder mehr örtliche Steuern in Monheim statt im Ausland zu zahlen, sagt der Bürgermeister. "Keinesfalls", so beteuert er, gehe die Niedrigsteuerpolitik auf Kosten der Nachbarn. Viele Freunde freilich hat er sich dort nicht gemacht, räumt er ein.

Er rechnet nun mit Jahresüberschüssen von etwa 20 Millionen Euro - wenn diese Solidarumlage nicht wäre: "Die würde uns wieder sofort ins Minus stürzen." Zimmermann will notfalls klagen gegen das Land.

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