Kommerzienrat :Wie ein Titel den Kapitalismus prägte

Kommerzienrat : Eingebildet: Eine Karikatur der damaligen Zeit zeigt, was man von den Kindern der Kommerzienräte hielt.

Eingebildet: Eine Karikatur der damaligen Zeit zeigt, was man von den Kindern der Kommerzienräte hielt.

Ein Buch erklärt, wie sich die deutsche Monarchie die Treue der Unternehmer kaufte.

Von Nikolaus Piper

Es war eine Entscheidung des Märchenkönigs Ludwig II von Bayern. Im Jahre 1880 verfügte er, dass verdiente Unternehmer aus dem Königreich mit dem Ehrentitel "Kommerzienrat" ausgezeichnet werden konnten. Die Idee dazu stammte von Ludwigs Kabinettssekretär Friedrich von Ziegler, einem bayerischen Adligen, der die Tochter des Augsburger Papierfabrikanten Georg Haindl geheiratet hatte und so Teil einer sehr wohlhabenden Familie geworden war. Es lag für ihn also nahe, nach einer Form zu suchen, die die Nähe von Thron und Unternehmertum manifestierte. Insgesamt 1850 mal wurde der Titel Kommerzienrat (später auch: "Geheimer Kommerzienrat") seit 1880 in Bayern verliehen. Auch im übrigen Deutschen Reich und in Österreich (dort als "Kommerzialrat") war er verbreitet.

Ein Unternehmer, der infrage kam, musste großzügig für soziale Zwecke spenden

Nun hat die Augsburger Historikerin Marita Krauss eine umfassende Monografie herausgegeben, die sich erstmals mit der regional- und wirtschaftshistorischen Bedeutung der bayerischen Kommerzienräte befasst (Krauss, M.: Die bayerischen Kommerzienräte. Eine deutsche Wirtschaftselite von 1880 bis 1928, Volk Verlag München, 848 Seiten).

Wichtigstes Ergebnis: Die Einführung des Titels hat den deutschen Kapitalismus nachhaltig geprägt - im Guten wie im Schlechten. Durch die Verleihung der Titel, so schreibt Marita Krauss, "fand also eine substanzielle Auslese durch die Wirtschaftsvertreter und die Bürokratie statt. Dies trug dazu bei, die bürgerliche Führungsschicht in Bayern zu homogenisieren, die Wertorientierung des idealen Beamten und des Ehrbaren Kaufmanns aneinander heranzuführen." Ein idealer Kommerzienrat sollte nach den Vorstellungen der bayerischen Bürokratie loyal sein, seriös und gesellschaftlich arriviert, 50 bis 60 Jahre alt, erfolgreich und sehr vermögend. Vor allem musste ein Unternehmer, der für den Titel infrage kam, großzügig für soziale Zwecke spenden. Dabei ging es unter anderem darum, die Lage der Arbeiter zu verbessern und so der Agitation der Sozialdemokraten die Grundlage zu entziehen. Später spielen auch Spenden für kulturelle Zwecke eine Rolle.

Ein gutes Beispiel ist der Augsburger Georg Käß, Inhaber einer Bleicherei und Kommerzienrat. Er stiftete das Alte Krankenhaus Haunstetten, Vorgänger des heutigen Klinikums Augsburg. Auch die Künstlerhäuser in München und Nürnberg verdanken ihre Gründung Stiftungen bayerischer Kommerzienräte. Nach den Maßstäben der Zeit wurden die Titel in liberalem Geist vergeben: Protestanten, Katholiken und Juden waren gleichberechtigt; es wurde sogar eine Frau ernannt, Lina Pfaff aus Kaiserslautern.

Die Titelei hatte aber auch eine problematische Seite: Die Monarchie kaufte sich damit Loyalität. In Bayern war dieser Aspekt nicht so ausgeprägt, schreibt Marita Krauss, wohl aber in Preußen. Dort verlangte man "unverbrüchliche Treue" zum Königshaus; die mächtigen und selbstbewussten liberalen Unternehmer sollten gezähmt werden. Kein Wunder, dass die Kommerzienräte im Artikel 109 der Weimarer Verfassung von 1919 abgeschafft wurden. Nur in Bayern lebte der Titel noch einmal kurz auf, bis er 1928 endgültig verschwand.

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