Musterverfahren:Die VW-Aktionäre entdecken plötzlich die Moral

Ja, der Autokonzern hat sich schäbig verhalten. Doch die Großaktionäre, die jetzt Geld sehen wollen, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt: Solange der Gewinn stimmte, waren ethische Probleme egal.

Kommentar von Angelika Slavik

Wenn an diesem Montag in Braunschweig der Musterprozess gegen Volkswagen beginnt, werden viele Menschen das Geschehen mit Genugtuung verfolgen. Dieser Konzern, der für den wohl größten Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte verantwortlich ist, muss sich endlich vor einem deutschen Gericht rechtfertigen. Und es könnte für VW, sollten sich die Kläger durchsetzen, richtig teuer werden: Die Forderungen summieren sich auf neun Milliarden Euro. Bekommt hier also ein amoralischer Konzern, was er verdient? Niedergestreckt von heroischen Aktionären, die Recht und Anstand auf ihrer Seite haben?

Tatsächlich hat sich Volkswagen nicht nur bei der Dieselaffäre selbst, sondern auch beim Umgang damit schäbig verhalten. Die Aufklärung erfolgt in Scheibchen, wichtige Unterlagen werden mit allen Mitteln vor der Öffentlichkeit und vor der Justiz verborgen, und die Idee, europäische Kunden zu entschädigen, scheint bei den Herren in der Führungsetage partout nicht zu verfangen.

Wenn Volkswagen nun also vor dem Braunschweiger Oberlandesgericht zerlegt wird, hat dieser Konzern kein Mitleid und keine Nachsicht verdient. Im Gegenteil: Man darf hoffen, dass dieses Verfahren ein wenig Licht bringt in jene Vorgänge rund um den Dieselbetrug, die VW offensichtlich lieber im Dunkeln lassen würde. In dem Prozess geht es ja vorrangig nicht darum, die Verantwortlichen für die manipulierten Motoren zu finden, sondern um die Frage, ob VW seine Aktionäre rechtzeitig informiert hat, dass es wegen des Dieselmotors Ärger gibt. Doch um das zu bewerten, ist entscheidend, wer wann wie viel über den Betrug wusste - deshalb darf man hoffen, dass das Verfahren neue Erkenntnisse bringt.

Trotzdem wäre es falsch, diesen Prozess in Braunschweig als einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen amoralisch und rechtschaffen zu betrachten. Denn die, die Volkswagen hier verklagen, sind keineswegs arme Kleinaktionäre, die sich von einem Konzern, an den sie geglaubt haben, getäuscht fühlen. Der größte Teil der Forderungen stammt von institutionellen Anlegern, die ihre moralischen Ansprüche erst entdeckt haben, als diese neue Rechtschaffenheit lukrativ zu werden versprach.

In all der Zeit, als Volkswagen mit dem Diesel fette Gewinne geliefert und den Aktienkurs oben gehalten hatte, haben diese Investoren nicht danach gefragt, wie groß die Umweltbelastung ist, die durch VW-Autos entsteht. Denn dass Dieselautos echte Dreckschleudern sind, war auch schon vor der VW-Affäre kein Geheimnis. Sie haben auch nicht gefragt, wie es um die Diversität in diesem Unternehmen bestellt ist - bevor der Betrug aufflog, gab es jahrzehntelang nicht eine einzige Frau im Vorstand - oder welche Bedeutung Kritik, Widerspruch, Selbstreflexion in der Konzernkultur hatten. Den gleichen Aktionären, die nun Volkswagens ethische Verfehlungen anprangern, waren all diese Fragen über Jahre egal, solange die Gewinne stimmten.

Es ist einfach, mit dem Finger auf die Dieselbetrüger von VW zu zeigen

Dazu kommt, dass man die juristischen Scharmützel der Klägerseite schon vor Prozessbeginn mindestens kritisch sehen darf. So versuchen die Kläger eine Verbindung zwischen der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW vor gut einem Jahrzehnt und dem Dieselbetrug herzustellen. Legen sie keine weiteren Belege für diese Theorie vor, drängt sich der Gedanke auf, dass damit der Zeitraum des Betrugs und der Kreis der potenziell Verantwortlichen künstlich vergrößert werden soll, um die Entschädigungssumme zu erhöhen. Das mag juristisch ein legitimer Schachzug sein, moralisch ist es zweifelhaft. Es verdeutlicht vielmehr: Die, die sich von Montag an in Braunschweig gegenüber stehen, sind aus dem selben Holz geschnitzt. Hier streiten Parteien, die sich in der Vergangenheit gleichermaßen wenig geschert haben um alles, was jenseits ihrer Bilanzen passiert.

Was also kann man nun von diesem Spektakel-Prozess erwarten? Zum einen, natürlich, dass dieses Verfahren einen Beitrag zur Aufklärung der Dieselaffäre leistet. Zum zweiten darf man hoffen, dass VW seine vielen Beteuerungen, nun ein anständigerer Konzern werden zu wollen, erfüllt - und sei es nur, weil man in Wolfsburg verstanden hat, dass alles andere ein wirtschaftliches Risiko darstellt. Und, drittens, ist da noch der Denkanstoß für das geneigte Publikum: Es ist verdammt einfach, jetzt mit dem Finger auf die Dieselbetrüger von VW zu zeigen. Komplizierter ist es, das eigene Verhalten, sei es als Kleinanleger oder als Konsument im Supermarkt, kritisch zu betrachten. Wie ist es da bestellt um das Verhältnis zwischen Ethik und Gewinnmaximierung? Die Antwort wird nicht immer angenehm sein.

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