Kommentar:Zurück zur Vernunft

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Der Tarifkonflikt bei der Bahn ist noch lange nicht ausgestanden. Die GDL argumentiert mit "Demokratie" und "Grundrechten" und ignoriert gleichzeitig die Mehrheitsverhältnisse. Mehr Mitglieder hat die EVG.

Von Daniela Kuhr

Ulrich Weber, Personalvorstand bei der Deutschen Bahn, ist 65 Jahre alt. Eigentlich könnte er seit ein paar Monaten seinen Ruhestand genießen - wäre da nicht der 18. September 2013 gewesen. An diesem folgenschweren Tag beschloss der Aufsichtsrat des Konzerns, den Mitte 2014 auslaufenden Vertrag des damals 63-jährigen Weber vorzeitig zu verlängern. Weber erklärte sich bereit, noch bis 2017 weiterzumachen. Heute darf man getrost annehmen: Kaum eine Entscheidung in seinem Leben dürfte Weber mehr bereuen als diese.

Seit mehr als zehn Monaten steckt er in einem Tarifkonflikt, in dem die Fronten kaum verhärteter sein könnten. Und obwohl die Lokführergewerkschaft GDL bereits achtmal zum Streik aufgerufen hat, ist ein Ende nicht absehbar. Im Gegenteil. Momentan droht die Situation sich sogar noch weiter zuzuspitzen. Denn während alles nur auf die GDL schaut, arbeitet die weitaus größere Eisenbahngewerkschaft EVG gerade zielstrebig darauf hin, mit der Bahn zu einem Abschluss zu kommen. Sollte sich die Bahn dem verweigern, droht nun auch diese Gewerkschaft mit Streik. Damit steckt Weber in einem klassischen Dilemma: Gibt er der einen Gewerkschaft nach, setzt er die andere unter Druck. Und umgekehrt.

Die GDL argumentiert mit "Demokratie", ignoriert aber die Mehrheitsverhältnisse

Was diese Tarifverhandlungen so schwierig macht: Erstmals muss die Bahn mit zwei Gewerkschaften parallel über ein- und dieselben Berufsgruppen verhandeln. Bislang hatte die GDL ausschließlich die Lokführer tarifiert und die weitaus größere Eisenbahngewerkschaft EVG das gesamte andere Bahnpersonal. Doch weil die GDL auch ein paar Zugbegleiter, Bordgastronomen und Lokrangierführer unter ihren Mitgliedern hat und umgekehrt die EVG auch ein paar Lokführer organisiert, haben beide Gewerkschaften beschlossen, diesen "Burgfrieden" aufzukündigen und ab sofort für jede von ihnen vertretene Berufsgruppe selbst zu verhandeln. Dazu ist Weber prinzipiell auch bereit. Er will jedoch erreichen, dass am Ende vergleichbare Tarifverträge dabei herauskommen, damit nicht innerhalb einer Berufsgruppe plötzlich unterschiedliche Regeln für Arbeitszeiten, Urlaub und Gehälter gelten.

Das aber empfindet die GDL als Provokation, weil sie glaubt, sich dann dem Tarifdiktat der mächtigeren EVG unterwerfen zu müssen. GDL-Chef Claus Weselsky sagte kürzlich, selbst wenn er in einer Berufsgruppe nur ein einziges Mitglied hätte, hätte er das Recht, für dieses Mitglied einen eigenen Tarifvertrag abzuschließen. Keine Frage, das stimmt. Aber gerade weil die GDL-Mitglieder in dem Zusammenhang gern mit "Grundrechten" und "Demokratie" argumentieren, ist es ein wenig befremdlich, dass sie die Mehrheitsverhältnisse völlig ausblenden. Schließlich kann ein Wähler, der bei der letzten Bundestagswahl vielleicht die Grünen gewählt hat, auch nicht darauf bestehen, dass für ihn nur Gesetze gelten sollen, die von den Grünen beschlossen wurden. Soll heißen: Die Demokratie wird nicht gleich "mit Füßen getreten", wie manche GDL-Mitglieder schimpfen, nur weil am Ende für alle das gilt, was eine Mehrheit beschlossen hat.

Doch was das Bahnpersonal anbelangt, sieht Weselsky das offenbar anders. Bisher rückt er von seinem Ziel eigenständiger Tarifverträge keinen Millimeter ab. Wie gesagt, das ist sein Recht. Allerdings ist auch nachvollziehbar, dass die Bahn an dem Ziel festhält, einheitliche Regeln für die einzelnen Berufsgruppen zu bewahren. Denn alles andere würde zu ständigem Unfrieden in der Belegschaft führen, weil sich, je nachdem ob es um die Schichtplanung, die Wochenendplanung oder irgendwelche Zulagen geht, immer jemand benachteiligt fühlen würde.

Wird dieser Konflikt also noch ewig fortgesetzt? Dagegen sprechen mehrere Punkte. So wird der Deutsche Beamtenbund, der als Dachorganisation die bisherigen Streiks der GDL finanziell unterstützt hat, allmählich ungeduldig. Auch wollen die GDL-Mitglieder endlich Ergebnisse sehen. Hinter den Kulissen sprechen Weber und Weselsky daher bereits wieder miteinander. Der GDL-Chef wäre gut beraten, umgehend an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Denn noch ist die Bahn bereit, zwar nicht alle, aber doch wenigstens viele seiner Forderungen in einem Tarifvertrag aufzugreifen. Sollte der Konzern hingegen tatsächlich bald mit der EVG zu einem Abschluss kommen, hätte Weber diesen Spielraum nicht mehr. Dann liefe die GDL Gefahr, dass tatsächlich das eintritt, wovor sie die ganze Zeit gewarnt hat: dass sie sich nur noch dem Tarifdiktat der größeren Gewerkschaft unterwerfen kann. Weselsky ist hoffentlich zu klug dafür, um es so weit kommen zu lassen.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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