Kommentar:Weg von Putin

Fachleute sagen dem Flüssiggasmarkt ein rasantes Wachstum voraus. Doch an Deutschland wird der Boom vorbeigehen. Das ist gefährlich.

Von Björn Finke

Die Fusion wird eine ganze Branche umkrempeln. 64 Milliarden Euro ist es dem Öl- und Gaskonzern Shell wert, den britischen Gasförderer BG zu kaufen. Den hohen Preis rechtfertigt BGs starke Position in einem Zukunftsmarkt: Flüssiggas. Fachleute sagen diesem Geschäft rasantes Wachstum voraus. Doch an Deutschland wird der Boom vorbeigehen. Denn hier gibt es trotz jahrzehntelanger Planungen bis heute kein Terminal, um diesen Rohstoff anzulanden. Das ist blamabel - und gefährlich, weil es die Abhängigkeit von Gaslieferungen via Pipeline aus Russland zementiert.

Die Bundesregierung sollte sich also von Shells milliardenschwerem Vertrauensbeweis in diesen Energieträger inspirieren lassen und das Land endlich vorbereiten auf die Flüssiggas-Revolution.

Die Technik dahinter ist alt. Der Rohstoff wird auf minus 162 Grad abgekühlt, woraufhin er flüssig wird und drastisch an Volumen verliert. Besondere Tankschiffe können den hoch konzentrierten Energieträger über weite Strecken transportieren; am Zielhafen wandelt ein spezielles Terminal Flüssigkeit wieder in Gas um und speist es ins Pipeline-Netz ein.

Dieses Verfahren ist teurer als Gas einfach direkt von der Quelle in die Röhre zu schicken. Aber es erlaubt, den Rohstoff von weit entfernten Ländern über Ozeane hinweg zu importieren - und verringert so Europas Abhängigkeit vom unfreundlichen Nachbarn Russland.

Es geht nicht darum, Russland zu boykottieren. Der Staat war für Deutschland immer ein verlässlicher Lieferant, selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges.

Es geht nur darum, Alternativen aufzutun, um nicht erpressbar zu sein. Bislang bezieht Deutschland fast 40 Prozent seines Gasverbrauchs aus Russland. Die Bundesregierung kann es sich deswegen nicht erlauben, Präsident Wladimir Putin zu sehr zu verärgern. Ihn so sehr zu reizen, dass er den Gashahn zudreht, obwohl sein Land die Einnahmeausfälle schwer schmerzen würden. Doch vielleicht ist genau so eine harte Haltung der Bundesregierung in nicht allzu ferner Zukunft gefragt. Niemand weiß schließlich, wie sich die Krise in der Ukraine entwickeln wird. Putin weiß dafür ganz genau, dass er mit seinen Gaslieferungen Druck auf Deutschland und andere europäische Staaten ausüben kann.

Flüssiggas verringert die Abhängigkeit von Russland, aber Deutschland hat kein Terminal

Darum muss Deutschland in der Lage sein, Flüssiggas aus Australien oder Katar, aus den USA oder Brasilien einzuführen. Zwar gibt es in Europa bereits gut 20 Hafenterminals, bei denen Schiffe LNG - die Abkürzung steht für den englischen Begriff Liquefied Natural Gas - entladen können. Eines etwa im Hafen Rotterdam, nur 100 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.

Aber bei aller Begeisterung für die europäische Idee: Eine sichere, vor Erpressungsversuchen gefeite Energieversorgung ist für die nationale Sicherheit Deutschlands von höchster Bedeutung. Daher sollte die größte Volkswirtschaft des Kontinents ruhig ein Flüssiggas-Terminal im eigenen Land unterhalten.

Zumal in den kommenden Jahren immer mehr Flüssiggas auf den Weltmarkt strömen wird - sind die Terminals in Europa bisher noch schlecht ausgelastet, wird sich das also ändern. Auch der Kostenunterschied im Vergleich zum billigeren Gas aus der Pipeline wird weiter abnehmen, schätzen Fachleute.

Seit vierzig Jahren liegen Pläne in der Schublade, in Wilhelmshaven ein Terminal zu errichten. Doch der Energieversorger Eon beerdigte das Projekt schließlich, weil der Konzern keine Chance sah, die Hunderte von Millionen Euro dafür wieder hereinzubekommen. Nun hat der Brunsbütteler Hafen Pläne vorgestellt, eine derartige Anlage zu bauen. Er wirbt um die Unterstützung der Regierung.

Das Problem all dieser Vorhaben: Solange russisches Gas via Pipeline zuverlässig ins Land strömt und dessen Preis schön niedrig ist, rentieren sich die Riesensummen für ein Terminal nicht. Darum wird keines errichtet. Erhöht Russland in Zukunft die Preise oder würde gar die Versorgung einschränken, wäre so ein Terminal hingegen enorm wichtig. Aber dessen Bau dauert Jahre.

Dieses Dilemma kann nur der Staat lösen. Indem er den Bau dieses strategisch bedeutenden Stücks Infrastruktur subventioniert. Im deutschen Energiemarkt fließen Milliardenhilfen an Ökostrom-Anbieter. Da sollte auch noch ein wenig Unterstützung für die Zukunft der Gasversorgung drin sein.

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