Kommentar:Warnen reicht nicht

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Mario Draghi hat die Europäer gewarnt: Wer die Währungsunion verlässt, muss zahlen. Es braucht mehr als das, um den Zusammenhalt zu verteidigen.

Von Cerstin Gammelin

Mario Draghi hat wissen lassen, dass ein Land, das die Euro-Zone verlassen will, vorher alle Rechnungen zu begleichen hat. Das ist eine klare Ansage des Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Normalerweise wäre sie keiner besonderen Erwähnung wert, schließlich zahlt jeder selbstverständlich seine Rechnung, bevor er geht. Aber im Kontext der sich gerade auflösenden Weltordnung hört sich Draghis Satz geradezu explosiv an. In dieser Ordnung ist bisher eine europäische Währungsunion vorhanden, die auf ewig Bestand haben sollte. Ist die Ansage des obersten Währungshüters jetzt ein Indiz dafür, dass die Ewigkeit sich dem Ende nähert?

Die Antwort darauf ist eine Gleichung mit vielen Variablen. Rein formal hat sich nichts am Zustand der Währungsunion geändert. Sie ist ein Klub, aus dem es keine Ausstiegsklausel gibt. Es gilt nach wie vor: einmal Mitglied, immer Mitglied.

Ebenso wenig ist zu bestreiten, dass die Euro-Zone in einer Zeit gegründet wurde, als das gemeinsame Vorangehen der Staaten in Europa als Garant für Frieden und Wohlstand unumstritten war. Das hat sich geändert. Nationalistische Parteien wollen das europäische Projekt auflösen und zur Kleinstaaterei vergangener Jahrhunderte zurückkehren. Es wäre Realitätsverweigerung, nicht anzuerkennen, dass sie auch die Euro-Zone infrage stellen.

Jetzt braucht es einen guten Plan, um den Kritikern des Euro etwas entgegenzusetzen

Deren Verteidigung lässt sich miserabel an. Die Chefs in den Hauptstädten schweigen zur Zukunft des Euro, als würde es sich um einen Flug zum Mars handeln. Die Bundesregierung flüchtet sich in den Satz, dass die Europäer ihr Schicksal selbst in der Hand haben, lässt dem allerdings weder konkrete Worte noch Taten folgen, sondern blickt wie erstarrt auf die täglichen Nachrichten aus der neuen Welt des Protektionismus. Wenn aber die mächtigste Volkswirtschaft Europas keinen Plan hat, gibt es nichts, worüber die Europäer zusammen reden können.

In dieser Stille sind die Nationalisten umso lauter zu vernehmen, der französische Front National, die österreichische FPÖ, die niederländische Partei für die Freiheit, die deutsche AfD, die italienische Fünf-Sterne-Bewegung. Alle spielen offen mit der Idee, aus der Währungsunion auszutreten, sollten sie bei den nächsten Wahlen an die Macht kommen. Sie versprechen den Bürgern, dass nur der Euro weg muss, damit alles besser wird. Draghi versucht den Versprechungen ein kraftvolles Nein entgegenzusetzen, indem er Fakten präsentiert und eine Rechnung aufmacht: Bevor jemand gehen kann, wird abgerechnet. Und das wird teuer.

Draghi begründet das mit dem Zahlungsverkehr im Euro-System. In dem Zahlungssystem, auch Target 2 genannt, werden jeden Tag Massen von Geld hin und her gebucht. Weil jedes Land eine eigene Zahlungsbilanz hat, ist deutlich zu erkennen, dass Staaten wie Deutschland klar im Plus stehen, andere wie Italien dagegen im Minus. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Es landet besonders viel Geld in Finanzzentren wie Frankfurt. Und natürlich fließt es dahin, wo die Wirtschaft gut läuft. Sollte Rom die Währungsunion also verlassen wollen, müsste die italienische Zentralbank einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag an das Euro-System zahlen. Italien wäre pleite.

Es ist ein Gedankenspiel, das in Deutschland wie eine späte Bestätigung des umstrittenen Ökonomen Hans-Werner Sinn erscheint. Sinn hatte jahrelang davor gewarnt, dass die auseinanderstrebenden Target-Salden eine schwere Krise des Währungssystems anzeigen. Er hatte sie mit Überziehungskrediten gleichgestellt, die stärkere Euro-Länder den schwächeren gewähren, und prophezeit, dass Deutschland irgendwann auf Milliardenforderungen sitzen bleiben könnte.

Viel spricht dafür, dass es so weit nicht kommt. In der Realität ist es deutlich schwerer, eine Gemeinschaft zu verlassen, als es in theoretischen Modellen erscheint. Schon der Brexit gerät zum Desaster, und da geht es nicht einmal um eine gemeinsame Währung, sondern nur das Loslösen wirtschaftlicher Bande. Zudem spielen Zahlungsbilanzen einzelner Staaten nur eine Rolle, wenn tatsächlich abgerechnet werden soll. Das ist in der Konstruktion der Währungsunion nicht vorgesehen.

Das ist kein Freibrief zum Ausruhen. Im Gegenteil. Die Zustimmung zum Euro wird weiter erodieren, weil die einen eine Transferunion fürchten und die anderen Sparknuten. Die Chefs der Euro-Staaten müssen endlich beginnen, diesen Sorgen ernsthaft zu begegnen. Wer nicht riskieren will, dass die Währungsunion scheitert, muss den Nationalisten jetzt mit einem überzeugenden Plan entgegentreten. Draghis Warnung reicht nicht.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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