Kommentar:Währungshüter als Preistreiber

Illu Zydra

Die Zentralbank fordert stets eine Inflation von zwei Prozent: Das ist übertrieben, zumal gerade Geringverdiener darunter leiden.

Von Markus Zydra

Es dürfte einigen Menschen schmerzhaft aufgefallen sein, dass die Butterpreise in Deutschland deutlich gestiegen sind. Im Juli lag der Aufschlag bei enormen 64 Prozent verglichen zum Vorjahresmonat, meldete das Statistische Bundesamt gerade. Auch für Molkereiprodukte, Fisch und Fleisch mussten Käufer deutlich mehr bezahlen. Insgesamt zogen die Verbraucherpreise um 1,7 Prozent an, was sich wenig anhört. Doch höhere Preise sind unbeliebt, weil man weniger für sein Geld bekommt. Auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB) dürften die aktuellen Zahlen mit einer Portion Unzufriedenheit aufgenommen werden. Allerdings aus einem anderen Grund: Die Notenbank möchte, dass die Preise noch stärker steigen, weil sie sich ein Ziel gesetzt hat: Die Inflationsrate soll im europäischen Schnitt auf zwei Prozent klettern.

Dieses Ziel war nachvollziehbar vor der Finanzkrise. Damals galt die Schwelle als Bollwerk gegen Inflationsraten von drei oder vier Prozent. Doch in den vergangenen Jahren sind die Preise kaum noch gestiegen, sondern zeitweise sogar gesunken. Zwei Prozent Inflation wurden seit Jahren nicht erreicht, obwohl die EZB den Leitzins auf null Prozent gesenkt und ein Anleihekaufprogramm in Billionenhöhe beschlossen hat. Dennoch macht die Notenbank unbeirrt weiter. Sie will mit dem Kopf durch die Wand.

Unter dem Diktat der Zentralbank leiden Menschen, die wenig haben

Verrückte Welt, die Währungshüter als Preistreiber. Aber warum müssen es zwei Prozent Inflation sein? Geld ist doch erst dann stabil, wenn es keine Entwertung gibt. Warum kämpft die EZB nicht für null Prozent Inflation?

Das Problem ist, dass sich Inflation im Nachkommabereich kaum exakt messen lässt. Es sind Situationen denkbar, in denen die Euro-Zone null Prozent Inflation ausweist, die Preise in Wirklichkeit aber schon leicht sinken. Die EZB möchte eine solche Deflation verhindern, weil Verbraucher ihre Einkäufe in Erwartung stetig sinkender Preise aufschieben könnten, was dem Wachstum schadet. Daher bestehen Notenbanker auf einem Puffer zur Nulllinie.

Allerdings wirkt das störrische Festhalten just an den zwei Prozent unzeitgemäß. Es gibt Indizien, dass sich die Inflationsraten künftig eher bei ein Prozent als bei zwei Prozent bewegen werden. Die Welt hat sich verändert. Der Produktivitätszuwachs ist gering, die Löhne steigen daher wenig. All das erzeugt im Durchschnitt in allen Industriestaaten geringen Preisdruck.

Aber was heißt das schon - im Durchschnitt? Jeder Mensch empfindet Preisveränderungen anders. Ein junger Mann kauft andere Dinge als eine junge Frau. Eine Familie erwirbt Waren, die ältere Personen nicht benötigen. Doch alle Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, Kleider und Strom. Deshalb spüren Leute mit geringen Einkommen die Preiserhöhungen bei diesen lebensnotwendigen Dingen besonders stark. Es stimmt zwar, dass viele Preise sinken, etwa für Elektronikgeräte. Doch wie oft braucht man einen neuen Computer oder Fernseher?

Vor einer Weile gewährte eine Kindergärtnerin in einem Leserbrief an die SZ Einblick in ihr Haushaltsbuch. Sie beklagte, dass von den Jahren 2015 bis 2016 beispielsweise der Preis von Bastelpapier von 2,95 auf 3,95 Euro und der für das Kilo Brot von vier auf sechs Euro gestiegen sei. Das ist ein Plus von 33 und 50 Prozent - von wegen niedrige Inflation.

Die Fixierung der EZB, eine Teuerungsrate von zwei Prozent zu erreichen, führt dazu, dass Menschen mit wenig Geld den höchsten Preis bezahlen. Die EZB sollte ihr Inflationsziel auf ein Prozent reduzieren. Das ist genug.

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