Kommentar:Vorboten des Winters

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank sorgt zwar für billiges Geld, aber eine Sonderkonjunktur reißt bei vielen Löcher in die Altersvorsorge. Die Regierung müsste so bald wie möglich gegensteuern.

Von Stephan Radomsky

Der Frühling ist da! Das behauptet nicht irgendein Wetterfrosch, sondern EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici beim Blick auf die Konjunktur. In seinem Ausruf schwingt all die Hoffnung und Erleichterung mit, dass die Zeit der Härten und Entbehrungen endlich vorbei sein möge. Um 1,5 Prozent werde die Wirtschaft der Euro-Zone in diesem Jahr wachsen, 2016 sollen es gar 1,9 Prozent sein. Und mit der Konjunktur in Deutschland soll es noch schneller voran gehen. Zugleich wird die Arbeitslosigkeit weiter sinken, prognostiziert die EU-Kommission.

Kein Wölkchen am Himmel also? Mitnichten. Im Moment mag die Lage zwar freundlich sein, so dürfte es aber nicht bleiben. Denn der aktuelle Aufschwung Europas basiert vor allem, das gibt auch Moscovici zu, auf der extrem lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Und die schafft - auch wenn es paradox klingen mag - nicht nur Wachstum und Jobs. Sie zehrt auf lange Sicht auch das für später zurückgelegte Kapital von Anlegern und Sparern auf. Damit finanzieren diesen Aufschwung ungewollt alle jene mit, die wissen, dass ihnen die staatliche Rente nicht reichen wird und die deshalb anderweitig für ihr Alter vorsorgen.

Dass besonders sichere Geldanlagen wie Sparbücher und Festgeld nach Abzug der Inflation negative Zinsen - sprich Verluste - bringen, ist ein bekanntes Phänomen. Daten der Bundesbank belegen solche Konstellationen etwa für weite Strecken der Siebziger-, die erste Hälfte der Neunzigerjahre sowie den Zeitraum um die Jahrtausendwende.

Große institutionelle Anleger wie Versicherungen hatten dagegen traditionell nie Schwierigkeiten, auf ihre Kosten zu kommen. Auch deshalb konnten sie Garantiezinsen von in der Spitze bis zu vier Prozent anbieten. Seit einigen Jahren sind die Assekuranzen durch die Geldpolitik der EZB aber ebenfalls heftig unter Druck. Nur noch mit Mühe erwirtschaften sie die zugesagten Renditen auf viele der weit über 80 Millionen Policen. So fiel die durchschnittliche laufende Verzinsung zwischen 2009 und 2015 um einen Prozentpunkt auf nun noch gut 3,3 Prozent. Das reißt bei vielen Menschen eine Lücke in ihre Planungen für eine private Altersvorsorge.

Und nun schlagen die Ersten auch für die dritte Säule des Systems Alarm: die betriebliche Altersvorsorge. Auch hier fressen die von der EZB verursachten Minizinsen immer tiefere Löcher in die Bilanzen. Das trifft neben den Beschäftigten auch die Wirtschaftsunternehmen. So stiegen im vergangenen Jahr die Pensionsverpflichtungen der 30 Dax-Konzerne um ein Viertel auf 372 Milliarden Euro. In den Kassen liegen aber nur 228 Milliarden Euro. Zwar ist diese Lücke bisher noch rein buchhalterisch, weil nicht alle Ansprüche gleichzeitig und nicht sofort fällig werden. Dennoch müssen die Unternehmen vorsichtshalber hohe Summen für ihre Vorsorge nachschießen. Denn die Aussichten, den Fehlbetrag über die Zeit durch Zinseinnahmen aufzuholen, sind derzeit düster. Das zusätzlich zurückgelegte Geld fehlt den Firmen dann aber an anderer Stelle.

Es ist an der Zeit, dass die Regierung die Gefahren erkennt und handelt

Die Politik der EZB macht damit zwar Kredite billig und kurbelt die Konjunktur an. Sie bremst die Unternehmen aber zugleich und bürdet der Gesellschaft zudem eine bisher kaum kalkulierbare Hypothek für die Zukunft auf. Die Konsequenzen dessen werden nur so lange verborgen bleiben, wie die Sonderkonjunktur des billigen Geldes anhält. Danach könnte der Frühling schnell vorbei sein und vielen Menschen eine karge und frostige Zeit im Alter drohen.

Es wäre an der Zeit, dass die Politik die Gefahr erkennt und handelt. Natürlich kann die Regierung in Berlin weder das Geschehen auf den Finanzmärkten noch die Entscheidungen der EZB bestimmen. Mit dem staatlichen Teil der Altersvorsorge kann sie aber einen entscheidenden Teil des Gesamtsystems sinnvoll gestalten.

Dass eine überwiegend kapitalfinanzierte Altersvorsorge allein zu riskant wäre, zeigen die aktuellen Verwerfungen. Und kaum ein Beobachter rechnet derzeit ernsthaft damit, dass sich die Lage hier bald wieder beruhigt. Zugleich dürfte die althergebrachte umlagefinanzierte Rente der demografischen Belastung nicht dauerhaft standhalten, egal wie weit das Rentenalter hinausgeschoben wird.

Einen Ausweg könnte die Umstellung des staatlichen Teils der Vorsorge auf ein steuerfinanziertes Modell bieten. Solch ein radikaler Einschnitt sollte aber am besten jetzt geschehen, in Zeiten der Blüte. Denn wenn erst der Winter da ist, könnte es dafür zu spät sein.

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