Kommentar:Verletzliche Welt

Die digitale Technik ist bequem - und extrem fehleranfällig. Und doch wächst die Abhängigkeit von Netzen. Dagegen helfen nur Back-ups - und Demut.

Von Helmut Martin-Jung

Man wird Gründe finden, gewiss. Wird dafür Sorge tragen, dass beim nächsten Mal das Notfallsystem auch anspringt. Kann ja nicht sein, dass Millionen Kunden der Telekom ihr Smartphone eine Nacht und einen halben Tag lang bloß eingeschränkt nutzen können. Nämlich: nicht zum Telefonieren und vor allem nicht im mobilen Internet.

Kann nicht sein?

Oh doch, und es wird weitere Ausfälle geben, so wie es sie auch bei der Konkurrenz gab und wie es sie gab bei der Bahn, wo vor einigen Jahren ebenfalls ein Problem mit zentralen Rechnern dafür verantwortlich war, dass bundesweit keine Fahrkarten mehr ausgegeben werden konnten. Oder bei den Sparkassen, als 2015 in mehreren Bundesländern Geldautomaten den Dienst versagten - auch dort wegen Netzwerkproblemen.

Gegen die Abhängigkeit von digitalen Netzen helfen nur Back-ups - und Demut

Die Liste ließe sich fortsetzen, und das zeigt zweierlei: Zum einen ermöglicht es die vernetzte Welt heute, Dienstleistungen sehr komfortabel und zeitsparend in Anspruch zu nehmen. Um etwa eine Überweisung auf den Weg zu bringen, tippt und wischt man ein wenig auf einem Smartphone herum, und schon ist die Sache erledigt. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass man dafür Papierformulare ausfüllen und in einer Bankfiliale abgeben musste (von denen es damals freilich noch mehr gab).

Zum anderen aber wird auch klar, dass noch so redundant und ausfallsicher geplante Systeme nicht gefeit sind gegen Störungen. Es gibt einfach zu viele kritische Punkte, an denen unvorhergesehene Fehler auftreten können. Und es gibt vor allem das größte Risiko überhaupt: den Menschen. In den meisten Fällen versagt nämlich nicht die Technik als solche, sondern Menschen machen Fehler im Umgang mit ihr.

Die Menschen aber begeben sich in eine immer größere Abhängigkeit von dieser Technik. Weite Teile des modernen Lebens funktionieren nur, wenn die Netze halten, wenn der Strom fließt. Die Energieversorgung zählt daher völlig zu Recht zu den kritischen Infrastrukturen. Besonders von den Datennetzen und anderen elektronischen Systemen macht sich die Menschheit mehr und mehr abhängig.

Ein Tanker ohne GPS? Kaum vorstellbar. Für viele kommt es ja schon einer Horrorvorstellung gleich, wenn ihr Handy-Akku leer wird und sie nicht mehr kommunizieren oder in der Stadt navigieren können. Die kleinen elektronischen Wunderdinger werden genutzt wie ein zweites Gehirn, in das wesentliche Funktionen ausgelagert werden. Fällt es aus, heißt es dann, ohne diese Fähigkeiten über die Runden zu kommen. Etwas weniger selbst gewählte Abhängigkeit würde sicher nicht schaden, keiner braucht ja dadurch zum Digital-Eremiten zu werden.

Das Rad im großen Maßstab zurückzudrehen, ist aber unmöglich. Wenn nicht eine Naturkatastrophe die Menschheit ins vorindustrielle Zeitalter zurückwirft, wird die Vernetzung zunehmen und mit ihr die Abhängigkeit davon. So wie niemand auf die Idee käme, Pullover für den Massenmarkt von Hand stricken zu lassen, so wie die Globalisierung nahezu alle Bereiche der Wirtschaft erfasst hat, wird sich kaum ein Unternehmen dem zunehmenden Kostendruck entziehen können, der von der Vernetzung ausgelöst wird.

Wer seine Lieferkette anhand von Daten aus vernetzten Systemen besser plant, ist im Vorteil gegenüber der Konkurrenz, die das nicht tut. Die Supermarktkette Kaufland zum Beispiel spart allein beim Fleisch einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr ein, seit sie die Bestellungen der Märkte zentral und per Big-Data-Analyse organisiert. Und sie ist nicht allein: Jedes dritte Unternehmen in Deutschland trifft mittlerweile einen Teil seiner Entscheidungen aufgrund von Datenanalysen, berichtet der IT-Branchenverband Bitkom.

Die Frage ist also, wie der Spagat zwischen nutzbringender Umarmung der Datenwelt und gefährlicher Abhängigkeit von ihr zu bewältigen wäre. Wer fürchtet, dass seinem Handy-Akku unterwegs der Saft ausgeht, packt einen Zusatzakku ein. Ähnlich ist es in der vernetzten Welt: Die Systeme sollten so ausgelegt sein (und sind es ja meist auch), dass es Reserven gibt. Das ist teuer, solange nichts passiert, aber unbezahlbar, wenn etwas passiert.

Back-up-Systeme helfen allerdings nur dann, wenn sie auch anspringen - sie müssen daher regelmäßig getestet werden. Kritische Systeme wie etwa die Wasser- oder Energieversorgung müssen so gut wie nur irgend möglich geschützt werden. Für Ausfälle müssen Notfallpläne her und für all die Fälle, die trotzdem schiefgehen, braucht es eine Haltung, die dem zur Hybris neigenden Menschen auch ganz gut ansteht: Demut.

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