Kommentar:Verhängnisvoller Filz

Die hohen Managergehälter bei VW sind skandalös. Aber sie zeigen nur, dass einiges schiefläuft bei VW. Das Kernproblem ist ein anderes.

Von Karl-Heinz Büschemann

Worum geht es bei VW? War da nicht ein gewaltiger Skandal um gefälschte Abgaswerte? Derzeit wird in Wolfsburg aber über Gehälter gestritten, hohe Boni und gierige Manager. Der Aufsichtsrat fordert von den Vorständen einen Verzicht auf einen Teil ihrer Bezahlung.

Das klingt gut. Millionengagen der Chefs in einem Krisenkonzern sind ein Reizthema, vor allem wenn die Arbeiter um ihre Jobs und die Aktionäre um ihre Dividende fürchten müssen. Allerdings kommt die Aufforderung zum Verzicht der Vorstände von überraschender Seite. Sie kommt vom Aufsichtsrat, der für genau diese hohen Gehälter verantwortlich ist. Das oberste VW-Kontrollgremium hat selbst für die üppige Bezahlung der Vorstände gesorgt, und zwar alle Beteiligten: Eigentümer, Arbeitnehmervertreter und das Land Niedersachsen, das am VW-Konzern beteiligt ist, haben in schöner Einmütigkeit für die Wolfsburger Gehaltsorgien gesorgt, die jetzt in der Krise die Gemüter erregen.

Der Aufsichtsrat hätte die hohen Managergehälter längst kürzen können

Es ist ja richtig, dass hohe Gehälter nicht zu einem Konzern passen, der viele Milliarden wird sparen müssen. Aber bei VW sind die Gehälter nicht erst jetzt, sie sind schon seit Jahren viel zu hoch. Der frühere Konzernchef Martin Winterkorn hat im Jahr 2011 mehr als 17 Millionen Euro verdient, und das hat für so gewaltigen Wirbel gesorgt, dass er selbst für die Senkung seiner Bezüge plädierte. Wenn der VW-Aufsichtsrat, vor allem der mächtige Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), sich jetzt über die Höhe der Bezüge der Vorstände aufregt, so hat die Debatte Züge von Heuchelei. Das hätten sie längst abstellen können. Sie hätten schon vor Monaten ankündigen können, dass die Zeit der Rekordgehälter bei VW vorbei sein müsse. Sie haben kein Wort dazu gesagt.

Die Boni bei VW sind skandalös, aber sie sind nur ein Indiz dafür, dass bei Europas größtem Autokonzern einiges gewaltig schiefläuft. Die Debatte verdeckt den Blick auf das Kernproblem des Konzerns, das in seinem Aufsichtsrat liegt. VW ist ein politisches Unternehmen. In keinem großen Unternehmen haben Arbeitnehmer und die IG Metall eine so starke Stellung. Zudem hat das Land Niedersachsen einen Anteil von 20 Prozent am Aktienkapital. Das sogenannte VW-Gesetz sorgt dafür, dass die Landesregierung im Aufsichtsrat des früheren Staatskonzerns VW noch immer mehr Gewicht hat als ihrem Aktienanteil entspricht. Das ist heikel: Wo Landesminister und Gewerkschafter maßgeblichen Anteil daran haben, dass Vorstände die höchsten Gehälter im Dax beziehen, stimmt etwas nicht.

Das ist ein grundsätzlicher Webfehler bei VW, der historische Gründe hat. Er führt dazu, dass Politiker, Gewerkschafter und Manager einander näher sind als in anderen Unternehmen. Dieser Webfehler führt dazu, dass sich Arbeitnehmer und Manager gegenseitig hohe Bezüge gewähren. Eine Folge ist auch eine mangelnde Kontrolle der Manager im Unternehmen. Dass bei VW immer wieder große Missstände deutlich werden - zuletzt war es der Skandal um bestochene Betriebsräte -, hat auch mit der Verfilzung der Macht in der Konzernspitze zu tun. Hier liegt ein Grund dafür, warum dieses Unternehmen sich mit der Aufarbeitung der Abgaskrise so schwer tut und es nicht schafft, einen Neuanfang zu machen.

Ein Schritt wäre, wenn die EU-Kommission endlich dafür sorgen würde, das VW-Gesetz und die Privilegien des Landes Niedersachsen abzuschaffen. Dieses Gesetz verhindert, dass bei VW entschieden werden kann wie in jedem anderen Unternehmen, nämlich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, und nicht danach, welches Interesse das Land hat, das die Schließung eines Werkes in seinen Grenzen verhindern kann. Das VW-Gesetz schadet VW mehr, als es dem Konzern und seinen Mitarbeitern hilft. Der Glaube an das segensreiche Miteinander von Politikern, Gewerkschaftern und Managern in einem Unternehmen wurde bei VW nachhaltig erschüttert. VW muss entpolitisiert und zu einem normalen Unternehmen werden. BMW oder Toyota sind nicht unsoziale Unternehmen, obwohl sie keinen Staat an Bord haben.

Der Neuanfang bei VW gestaltet sich schwierig. Er wird aber nicht gelingen, weil Vorstände auf Boni verzichten oder weil Heerscharen von Staatsanwälten die Schuldigen für die Abgasmanipulation vor Gericht bringen. VW kann sich nur erneuern, wenn sich die wichtigen Kräfte im Aufsichtsrat, also auch Arbeitnehmer und Politiker, zu ihrer Mitverantwortung für den Abgasskandal bekennen. Danach wird die Frage der Boni zu dem, was sie im Grunde ist: eine Randfrage.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: