Kommentar:Undankbares Erbe

Die britische Premierministerin Theresa May muss die kniffeligen Probleme lösen, die ihr Vorgänger hinterlassen hat. Die Renaissance der britischen Industrie lässt bislang noch auf sich warten, der Brexit macht die Aufgabe noch schwieriger.

Von Björn Finke

Die britische Wirtschaft sei "gut in Form", sagte David Cameron bei einer seiner letzten Reden, bevor er aus 10 Downing Street ausziehen musste. Das werde helfen, die Turbulenzen des EU-Austritts zu überstehen. Seine Nachfolgerin an der Spitze der Regierung, Theresa May, wäre aber gut beraten, Camerons selbstzufriedene Analyse zu vergessen. Denn die Premierministerin erbt von Cameron und seinem Schatzkanzler George Osborne kniffelige Probleme, mit denen diese sich bereits jahrelang herumschlugen - ohne bei der Lösung wirklich voranzukommen.

Zwei dröge Veröffentlichungen am Mittwoch erinnern schmerzhaft daran. So verkündete das Statistikamt, das Defizit im Staatshaushalt sei im August überraschend hoch gewesen. Und die Organisation OECD halbierte ihre Wachstums-Prognose für Großbritannien auf nur noch ein Prozent im kommenden Jahr: Die Unsicherheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen zur EU belasteten die Unternehmen, heißt es da.

Die Verhandlungen mit Brüssel über die Scheidung und die Regeln für die Zeit danach sind das wichtigste Thema, mit dem sich Mays Regierung beschäftigen muss. Schwierig genug.

Doch daneben warten auf May und ihren Schatzkanzler Philip Hammond große Herausforderungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Der Schatzkanzler muss schon froh sein, wenn das hohe Haushaltsdefizit nicht steigt

So müssen die beiden das Haushaltsdefizit in den Griff bekommen. Die Zahlen vom Mittwoch zeigen, dass dies nicht einfach wird. Bereits die Regierung Cameron versprach solide Staatsfinanzen. Und tatsächlich senkte der frühere Finanzminister Osborne den Fehlbetrag im Haushalt deutlich. Als die Konservativen 2010 die Macht übernahmen, mussten sie sich mit einem Defizit von fast elf Prozent herumschlagen - griechische Verhältnisse an der Themse, eine Folge der Finanzkrise. Im vergangenen Jahr betrug die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben nur vier Prozent. Eine klare Verbesserung, aber immer noch zu viel.

Zumal die Wirtschaft 2014 und 2015 kräftig wuchs. In solchen Aufschwung-Jahren gelingt es eher, den Haushalt auszugleichen, weil mehr Steuern gezahlt werden und weniger Sozialleistungen anfallen. Osborne ließ allerdings diese Chance verstreichen, das Defizit beherzter zu kappen. Jetzt hat Nachfolger Hammond den Ärger am Hals. Doch für ihn ist diese Aufgabe ungleich schwerer, denn wegen der Brexit-Querelen wird sich die Konjunktur abkühlen. Vielleicht muss Hammond die Wirtschaft sogar mit einem schuldenfinanzierten Programm stützen, um eine herbe Rezession zu vermeiden. Er kann also schon froh sein, wenn das Defizit nicht wieder steigt.

Cameron und Osborne versprachen zudem, der Wirtschaft eine gesündere Balance zu verpassen. Die Finanzkrise hatte gezeigt, dass das Königreich gefährlich abhängig von Banken ist. Das Duo wollte darum die lange vernachlässigte Industrie stärken. So wollten sie mehr gut bezahlte Jobs außerhalb Londons schaffen, in den darbenden Industrieregionen. Die Exporte sollten ebenfalls zulegen. Das ist wichtig, schließlich führt Großbritannien notorisch viel mehr ein als aus.

Zwar gibt es einige Erfolgsgeschichten; so boomen die Autohersteller im Königreich. Aber insgesamt lässt die Renaissance der Industrie auf sich warten. Wegen der Unsicherheit nach dem Brexit-Referendum werden manche ausländische Unternehmen zögern, in Fabriken auf der Insel zu investieren. Auch hier ist die Aufgabe für die neue Regierung also schwieriger geworden.

Ein weiteres hartnäckiges Problem ist die lausige Entwicklung bei Produktivität und Gehältern. Anders als in anderen Industriestaaten stagniert die Produktivität seit der Finanzkrise: Jeder Untertan Ihrer Majestät erwirtschaftet im Durchschnitt in etwa so viel wie 2007. Klingt nicht dramatisch, hat allerdings üble Folgen. Es ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Löhne kaum stiegen über die Jahre. Damit die Beschäftigten mehr Werte schaffen können, müsste die Regierung kräftig in Schulen und Universitäten investieren - und in Infrastruktur, in Straßen, Gleise, Datenleitungen, Kraftwerke.

Cameron und Osborne dampften die Ausgaben für solche Projekte ein. Der neue Schatzkanzler Hammond verspricht, mehr Geld für Infrastruktur bereitzustellen, doch das geerbte Haushaltsdefizit verbietet große Sprünge. Die Entscheidung über eins der wichtigsten Vorhaben im Lande schob Cameron auf die lange Bank: die politisch heikle Frage, ob der voll ausgelastete Flughafen Heathrow eine dritte Startbahn bauen darf.

Ein weiteres Problem, mit dem sich nun Theresa May herumschlagen darf.

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