Kommentar:Teile und herrsche

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Der Niedergang von Air Berlin könnte wichtige Reformen für die Branche in Gang bringen: Veraltete Gesetze, die internationale Investoren behindern, müssen weg.

Von Jens Flottau

Es gibt wenig, worauf noch Verlass ist bei Air Berlin, aber immerhin, es gibt die Ausreden. Die Luftverkehrssteuer, der teure Treibstoff, der Streit um die Gemeinschaftsflüge mit Etihad Airways - es gab immer neue Gründe für die immer größer werdenden Verluste. Zuletzt also musste die Türkei-Krise dafür herhalten, warum sich der Verlust im zweiten Quartal vervierfacht hat, obwohl Air Berlin selbst schon lange kaum noch in die Türkei fliegt.

Doch all die Ausreden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Air Berlin in der aktuellen Form keine Zukunft hat. Über die Einzelheiten wird noch verhandelt, aber es wäre für niemanden in der Branche mehr eine Überraschung, wenn Lufthansa schon zum Winterflugplan, der Ende Oktober in Kraft tritt, etwa ein Drittel des Air Berlin-Netzes übernehmen und in die Billigsparte Eurowings integrieren würde. Nach der Aufspaltung würde eine Rumpf-Air Berlin als enorme Verluste produzierendes Anhängsel von Etihad verbleiben. Die Überlebenschancen dieses Teils hängen davon ab, ob Etihad ihren Zubringer weiter subventionieren will und ob sie Wege findet, dieses auch im Einklang mit dem deutschen und europäischen Luftverkehrsrecht zu tun.

Der Aktionär Ethihad darf Air Berlin nicht helfen. Schuld sind veraltete Gesetze

So hart es klingen mag, aber aus Verbrauchersicht ist es nahezu irrelevant, ob und in welcher Form es Air Berlin künftig noch geben wird. Das liegt vor allem daran, dass es im deutschen Luftverkehrsmarkt in jedem Fall mehr als genug Wettbewerb geben wird, wenn man nicht gerade das Pech hat, in Frankfurt zu wohnen und unbedingt nonstop mit Lufthansa fliegen will. Ryanair, Easyjet, Vueling, Transavia, Wizz Air - die Billigfluggesellschaften sitzen alle schon in den Startlöchern und warten auf den Moment, an dem Air Berlin Teile ihres Netzes aufgibt. Vor allem im Winter hätte etwa Ryanair mehr als genug Flugzeuge zur Verfügung, um sie schnell nach Deutschland zu schicken, etwaige Lücken zu schließen und sich hierzulande endlich ähnlich breitzumachen, wie sie das in anderen Ländern schon längst getan hat.

Das weiß auch die Lufthansa. Die drohende Ryanair-Expansion in Deutschland dürfte einer der Hauptgründe für ihr Interesse am dezentralen Geschäft der Air Berlin sein. Steigt sie selbst ein und kontrolliert das Netz, kann sie für einen geordneten Übergang sorgen und später selbst ohne den akuten wirtschaftlichen Druck entscheiden, wie viel davon sie auf Dauer behalten will. Sie könnte auch einfach abwarten, wie Air Berlin immer kleiner wird, doch dann bestünde die Gefahr, dass andere doch noch zugreifen oder in frei werdende Strecken einrücken. Lufthansa muss abwägen, ob ihr das wichtiger ist oder die Chance auf die lukrativere Übernahme von Condor - beides wird das Bundeskartellamt nicht genehmigen.

Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, als sei der Niedergang der Air Berlin eine Gefahr für den Wettbewerb im deutschen Luftverkehrsmarkt. Doch in Wahrheit ist es genau andersherum: mit einer siechenden Air Berlin kann Lufthansa besser leben als mit den wirtschaftlich und strategisch stärkeren Alternativen.

Doch wären die Aufspaltungspläne, so sie denn Realität werden, auch die Rettung für den anderen, den größeren Teil der Air Berlin? Etihad hat ein Vermögen in das Projekt gesteckt, aus Air Berlin einen ernsthaften europäischen Zubringer zu machen und sie als hochqualitative Alternative für Geschäftsreisende zu etablieren - die geplante Expansion auf dem Nordatlantik und die Einführung einer Business Class im Europaverkehr sind die jüngsten Belege dafür, dass sie es immer noch nicht aufgegeben hat. Es gibt wenig bis nichts, was dafür spricht, dass so ein Flugbetrieb profitabel werden kann, also ist er wohl auf lange Zeit auf die Zuschüsse aus Abu Dhabi angewiesen. Schon bislang musste Etihad originelle Wege finden, dem Anhängsel in Deutschland via Kredite oder Anleihen neues Geld zukommen zu lassen, denn nichteuropäische Investoren dürfen nicht die Mehrheit an hiesigen Fluggesellschaften halten. Eine Kapitalspritze ist damit praktisch ausgeschlossen.

Die Regel stammt aus einer Zeit, als die meisten nationalen Airlines im Staatsbesitz waren und ist weiterhin die Basis für die meisten staatlichen Luftverkehrsabkommen, die regeln, welche Airline wie oft zwischen zwei Ländern fliegen darf. Die Europäische Kommission hat als Teil ihrer Luftverkehrsstrategie nun angedeutet, die sogenannten Ownership and Control-Richtlinien überarbeiten zu wollen. Der Schritt ist längst überfällig und würde kriselnden Airlines wie der restlichen Air Berlin eine neue Perspektive bieten. Ob die Investitionen im Einzelfall sinnvoll sind oder nicht, ist nicht ihr Problem.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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