Kommentar:Steuerzahler zweier Klassen

Uwe Ritzer

Uwe Ritzer ist strikt dagegen, dass Wasser zur reinen Handelsware wird. Illustration: Bernd Schifferdecker

Es geht immer ungerechter zu. Klein-, Normal- und sogar Gutverdiener kommen dem Fiskus nicht mehr aus. Für wirklich Reiche wird es dagegen zunehmend einfacher, den Staat zu betrügen.

Von Uwe Ritzer

In dem Land, das seit Jahren von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel träumt, roch es am Gründonnerstag nach Sensation. Ein Dönerverkäufer aus Berlin-Kreuzberg habe seine Steuererklärung in der Weltrekordzeit von fünf Minuten und 23 Sekunden ausgefüllt, verbreitete ein Online-Steuerdienstleister und rühmte an dem Beispiel die Effizienz seiner Angebote. Dummerweise ist die Geschichte ein (vorgezogener) Aprilscherz, erkennbar schon daran, dass der Döner-Mann Vergi Beyannamesi heißen soll, der türkische Begriff für Steuererklärung.

Bis 31. Mai muss jeder hierzulande Steuerpflichtige dem Fiskus erklären, welche Einkünfte er im Jahr zuvor hatte, und steuermindernde Ausgaben gegenrechnen. Immer mehr Menschen tun das online; in den Kanzleien der Steuerberater, wo die komplizierteren Fälle landen, vollzieht sich die Offenbarungsarbeit immer papierloser, und auch die Finanzbehörden rüsten digital auf. Normalbürger werden im Zuge dessen immer gläserner. Ihre Kontobewegungen, Einkünfte von Arbeit- oder Auftraggebern, Abgaben oder Leistungen von Sozialkassen oder -versicherungen - alles digital vernetzt und stets abrufbar. Die Finanzen der meisten Menschen sind kontrollierbar geworden bis hinter die Kommastelle.

Diese Transparenz macht es Normalbürgern schier unmöglich, den Staat in nennenswertem Umfang um das zu bringen, was dem Staat zusteht. Dagegen wäre prinzipiell auch nichts zu sagen; Steuern sind nun einmal die finanzielle Basis für ein funktionierendes Gemeinwesen. Doch es geht dabei immer ungerechter zu. Im Zuge der Digitalisierung ist eine steuerliche Zweiklassengesellschaft entstanden, die dramatisch auseinanderdriftet. Die einen zahlen brav, die anderen verschleiern kräftig.

Denn während Klein-, Normal- und sogar Gutverdiener dem Fiskus nicht mehr auskommen, wird es für wirklich reiche Menschen immer einfacher, Geld in riesigen Summen am Fiskus vorbei zu schleusen. "Asset Protection" heißt das Zauberwort, und meint den Schutz großer Vermögen - im Zweifel nicht nur vor gierigen Familienangehörigen oder Geschäftspartnern, sondern auch vor Gläubigern, dem Finanzamt und der Justiz.

Nationale Finanzbehörden sind machtlos. Also gehen sie den einfachen Weg

International agierende Anlageberater und Juristen haben daraus ein lukratives Geschäftsmodell gemacht. Sie packen die Millionenwerte ihrer Klienten in raffinierte, über den Globus verteilte Konstrukte aus Stiftungen, Briefkastenfirmen und Beteiligungsgesellschaften, und die gehören nicht selten zu Offshore-Gesellschaften. Namen und Verantwortliche dieser Vehikel wechseln ständig. Das Vermögen wird digital über Länder und Kontinente hin- und hergepumpt, Immobilien, Firmen- und Geschäftsanteile wechseln in rasender Geschwindigkeit so oft ihre Besitzer, bis selbst der findigste Finanzbeamte seine Nachforschungen entnervt aufgibt.

Die kaum oder gar nicht versteuerten Erträge aus alledem fließen entweder wieder in das System oder werden für den Kauf von Luxusgütern verwendet, oder die Mittel füllen in Form von Gold oder Edelsteinen Tresore und Bunker. Die Schweiz ist voll davon. Panama und Paradise Papers, auch die Football-Leaks haben offenbart, wie dieses System funktioniert. Auch Wirtschaftskriminelle nutzen es, wohlwissend, dass grenzübergreifende Zusammenarbeit bei Steuerdelikten oft sehr lange dauert - in dieser Zeit können alle Spuren beseitigt werden.

Nationale Finanzbehörden sind demgegenüber machtlos. Also gehen sie den einfachen Weg. Sie bitten jene Normalos zur Kasse, denen Mittel und Möglichkeiten fehlen, sich am Steuerbetrug zu beteiligen. Denn den Großen kommen sie nicht mehr hinterher.

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